Gastkommentare

Corona und die verführerische Kraft des Sozialismus

16. Mai 2020 08:00 | Autor: Georg Vetter
14 Kommentare

Den französischen Erfindern des Sozialismus war von Anfang an klar, dass diese Ideologie nur durch eine wohlüberlegte Reorganisation der Gesellschaft und durch Ausübung geistigen Zwangs durchgesetzt werden könnte. Warum dennoch viele Liberale der Verführung des modernen Sozialismus erlegen sind, analysierte der österreichische Nobelpreisträger Hayek im zweiten und dritten Kapitel seines berühmten Werks "Der Weg zur Knechtschaft". Er lieferte zwei Erklärungsansätze, die ziemlich unverändert auf unsere Corona-Zeiten anwendbar sind.

Zunächst weist Hayek unter der Kapitalüberschrift "Die große Illusion" nach, wie es dem Sozialismus mit einem semantischen Trick gelungen ist, viele Liberale zu verwirren und auf seine Seite zu ziehen. Die Unvereinbarkeit von Sozialismus und Liberalismus wurde durch eine subtile Umdeutung des Begriffs Freiheit zu Wege gebracht. Bedeutete der Begriff der Freiheit für den Liberalen die Abwehr von Willkür, versprachen die Sozialisten unter dem Begriff der neuen(!) Freiheit die Abwesenheit von Not. Die Menschen sollten nicht mehr hungern, Angst vor Krankheit und Alter haben oder irgendeiner materiellen Zwangslage ausgesetzt sein. Damit stand auch freiheitsliebenden Menschen der sozialistische Weg offen.

In Zeiten von Corona fühlen sich viele freiheitsliebende Menschen davon angetan, dass Gesundheit das oberste Gut sein soll. Anders gewendet: Die Freiheit von Krankheit – zumindest einer – ist das wichtigste Ziel. Mit dieser Prämisse können scheinbar auch Liberale leben. Dass diese Prämisse tatsächlich falsch ist, wird zunächst gar nicht überprüft. Wäre sie richtig, hätte es der Staat in der Hand, auch das Autofahren oder das Rauchen oder das übermäßige Essen von Süßigkeiten zu verbieten. Gesundheit ist also nicht das höchste Gut, sondern muss immer gegen andere Güter einer freien Gesellschaft in Relation gesetzt werden. Nicht einmal das Leben ist das höchste Gut. Andernfalls müsste man nicht nur das Autofahren verbieten, sondern auch jeder Geiselnahme von Terroristen nachgeben.

Im dritten Kapitel liefert Hayek einen weiteren Erklärungsansatz, indem er unter dem Begriff des Sozialismus nicht nur dessen Ziele, sondern auch die Methode zu deren Erreichung versteht. "In diesem Sinne bedeutet Sozialismus die Abschaffung der Privatunternehmen und des Privateigentums an den Produktionsmitteln und die Schaffung eines Planwirtschaftssystems, in dem an die Stelle der für seinen Gewinn arbeitenden Unternehmers eine zentrale Planwirtschaftsbehörde tritt".

Die Verführungskraft der sozialistischen Methode scheint der wirklich schwache Punkt bei vielen Liberalen zu sein. Wenn ein gesellschaftliches Ziel wie die Priorität der Gesundheit einmal definiert und akzeptiert ist, erscheinen die Methoden zweitrangig. Reorganisation der Gesellschaft und geistiger Zwang werden billigend in Kauf genommen. Der Zweck heiligt die Mittel. Von den absurd hohen Strafen über die Geringachtung der Grund- und Freiheitsrechte (insbesondere der Meinungsfreiheit) bis hin zur angedachten Impfpflicht scheinen die Methoden des Kollektivismus tief in die Gesellschaft eingedrungen zu sein.

Dazu passt, dass der Staat als Geldautomat angesehen wird, der unbegrenzt (Geschenk)Pakete schnüren kann. Hannes Androsch stellt in einem Gastkommentar in der "Presse" zahlreiche finanzpolitische Forderungen auf und beruhigt die Bourgeoisie auch gleich mit dem Hinweis, dass dies NIEMAND (kein Scherz) bezahlen wird. Der ehemalige ÖVP-Landeshauptmann von Salzburg Franz Schausberger schlägt in eine ähnliche Kerbe, wenn er die Abkehr des Sebastian Kurz von neoliberaler Politik lobt. "Koste es, was es wolle" scheint mitten in der Gesellschaft angekommen zu sein.

Die viruszentrierte Politik der heutigen Sozialingenieure wird uns weder eine neue Normalität noch eine neue Freiheit bringen, sondern lediglich eine folgenschwere Rezession mit der alten kollektivistischen Methode. Ob wir uns unter diesen Umständen ein anspruchsvolles Gesundheitssystem auf Dauer leisten können, erscheint fraglich. So wie Ludwig Erhard einst formulierte, dass nur ein liberaler Staat ein sozialer Staat sein könne, gilt heute: Nur ein liberaler Staat kann ein gesunder Staat sein.

Georg Vetter ist Rechtsanwalt, Vorstandsmitglied des Hayek-Instituts und Präsident des Clubs Unabhängiger Liberaler. Bis November 2017 ist er in der ÖVP-Fraktion Abgeordneter im Nationalrat gewesen.

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die besten Kommentare

  1. Ausgezeichneter KommentatorRiese35
    5x Ausgezeichneter Kommentar
    16. Mai 2020 15:06

    Hervoragend. Danke für diesen Verweis.

    Ein Lehrbeispiel der sozialistischen Argumentation ist auch Lisa Mittendrein, die als "Ökonomin und Attac-Aktivistin" vorgestellt wird:
    https://www.servustv.com/videos/aa-22qz2x67h1w12/

    Letzteres, "Attac-Aktivistin", trifft mehr zu, denn wer einmal eine Ökonomie am eigenen Leib erlebt hat, die von den Forderungen dieser Aktivistin geleitet wurde, ist geheilt. Denn wenn das Streben von Unternehmen nach Gewinn einmal der "Gerechtigkeit" wegen ausgeschaltet ist und die "Reichen" ihren "Zwangssolidarbeitrag" geleistet haben, indem ihre Unternehmen und Liegenschaften an die Chinesen verscherbelt, verstaatlicht oder zerstört sind, dann konnte man bis 1989 am eigenen Leib erleben, daß selbst Klopapier rationierte Mangelware war. Eine tolle Ökonomie, die uns da vorgestellt wurde.

    Ich frage mich nur, warum diese noch gar nicht so lange zurückliegenden Beispiele aus unserer unmittelbarsten Nachbarschaft geistig weder präsent sind noch solchen "Ökonomen" entgegengehalten werden.

    Könnte man solche Leute nicht auf Auslandseinsatz nach Pjöngjang schicken, anstatt sie hier bei uns in Talk Shows auftreten zu lassen? Dort wären sie sicher sehr willkommene Experten, Berater und könnten in den dortigen ThinkTanks hervorragende Arbeit leisten.

  2. Ausgezeichneter Kommentatorotti
    4x Ausgezeichneter Kommentar
    16. Mai 2020 08:34

    Herr Vetter - ganz besonderen Dank für diesen Beitrag und den Literaturhinweis.

    (schade, daß ein Konrad Lorenz keinen Kommentar dazu mehr schreiben kann !)

  3. Ausgezeichneter KommentatorHegelianer
    2x Ausgezeichneter Kommentar
    16. Mai 2020 12:56

    Vielleicht noch ein Punkt, den der an sich gute Kommentar verschweigt: Wenn die elementaren Voraussetzungen wie Nahrung, Wohnung, Partnerschaft und Familienleben, Partizipation an Welt und Gesellschaft nicht erfüllt sind, bleibt auch die sonstige Freiheit (von welcher die Freiheit von Zwang selbst nur ein Moment ist), hohl. Die Freiheit ist dann nur die Freiheit sehr weniger.

    Problematisch wird es erst, wenn diese Bedingung von Freiheit zum Hauptzweck politischen Handelns wird und die Freiheit substituiert. Wenn man z.B. fanatisch nach angeblich immer noch Benachteiligten sucht, die wiederum nicht mehr straffrei kritisiert werden dürfen.

    Problematisch wird es insbesondere, wenn die selbsternannten Befreier sich als Erlöser (natürlich gleich der Menschheit) inszenieren. Dann wird die Befreiung von den Befreiern zum obersten Gebot der Freiheit.

  4. Ausgezeichneter KommentatorErnst Gennat
    2x Ausgezeichneter Kommentar
    16. Mai 2020 09:51

    Großartige Aufarbeitung des Themas. Leider ist Hayek in Vergessenheit geraten worden....
    Seit Kreisky gilt: Nur ein roter Bürger ist ein guter Bürger

  5. Ausgezeichneter KommentatorJosef Maierhofer
    1x Ausgezeichneter Kommentar
    16. Mai 2020 20:46

    Wirkliche Freiheit ist die Voraussetzung für eine 'Auferstehung'.

  1. Zraxl (kein Partner)
    18. Mai 2020 15:35

    Diese Aufstellung ist gut und schön, aber mir fehlt dabei der Gesichtspunkt, dass der Sozialismus für die kleine Schicht der Spitzenfunktionäre ein sehr lukratives Geschäftsmodell darstellt.



  2. Christian Peter (kein Partner)
    18. Mai 2020 12:51

    Und das aus dem Mund eines Bürgers, der selbst jahrelang als Abgeordneter dem Steuerzahler auf der Tasche lag.



    • Georg von Frundsberg
      20. Mai 2020 11:31

      Falsch, Abgeordneter ja, aber mit einer gut funktionierenden Rechtsanwaltskanzlei



    • Christian Peter (kein Partner)
      20. Mai 2020 23:07

      @Georg

      Kann schon sein, als ehemaliger Beschäftigter in geschützten staatlichen Werkstätten groß von Liberalismus zu faseln ist ein wenig verdächtig..



  3. Josef Maierhofer
    16. Mai 2020 20:46

    Wirkliche Freiheit ist die Voraussetzung für eine 'Auferstehung'.



  4. Riese35
    16. Mai 2020 15:06

    Hervoragend. Danke für diesen Verweis.

    Ein Lehrbeispiel der sozialistischen Argumentation ist auch Lisa Mittendrein, die als "Ökonomin und Attac-Aktivistin" vorgestellt wird:
    https://www.servustv.com/videos/aa-22qz2x67h1w12/

    Letzteres, "Attac-Aktivistin", trifft mehr zu, denn wer einmal eine Ökonomie am eigenen Leib erlebt hat, die von den Forderungen dieser Aktivistin geleitet wurde, ist geheilt. Denn wenn das Streben von Unternehmen nach Gewinn einmal der "Gerechtigkeit" wegen ausgeschaltet ist und die "Reichen" ihren "Zwangssolidarbeitrag" geleistet haben, indem ihre Unternehmen und Liegenschaften an die Chinesen verscherbelt, verstaatlicht oder zerstört sind, dann konnte man bis 1989 am eigenen Leib erleben, daß selbst Klopapier rationierte Mangelware war. Eine tolle Ökonomie, die uns da vorgestellt wurde.

    Ich frage mich nur, warum diese noch gar nicht so lange zurückliegenden Beispiele aus unserer unmittelbarsten Nachbarschaft geistig weder präsent sind noch solchen "Ökonomen" entgegengehalten werden.

    Könnte man solche Leute nicht auf Auslandseinsatz nach Pjöngjang schicken, anstatt sie hier bei uns in Talk Shows auftreten zu lassen? Dort wären sie sicher sehr willkommene Experten, Berater und könnten in den dortigen ThinkTanks hervorragende Arbeit leisten.



    • Marille (kein Partner)
      18. Mai 2020 09:00

      Zustimmung. Die Erinnerung an den Ostblock ist leider nur mehr vage vorhanden. Aber der Flieger nach Pjöngjang - der wäre ausgebucht. Und für dieses Ziel gibt es nicht einmal eine Reisewarnung!!! :-))))



  5. 57er
    16. Mai 2020 14:46

    Eine hellsichtige Beschreibung. Danke.
    "Koste es, was es wolle" kann allerdings auch eine nicht-sozialistische Ansage sein, wenn die Einsicht gegeben ist, dass der Bankenbruch stattgefunden hat, nur noch nicht ausgesprochen wurde, weswegen der Bankenrun noch ausbleibt; als Verschleierungs-, Verzögerungstaktik sozusagen - für einen gut genutzten Zeitgewinn.



  6. Hegelianer
    16. Mai 2020 12:56

    Vielleicht noch ein Punkt, den der an sich gute Kommentar verschweigt: Wenn die elementaren Voraussetzungen wie Nahrung, Wohnung, Partnerschaft und Familienleben, Partizipation an Welt und Gesellschaft nicht erfüllt sind, bleibt auch die sonstige Freiheit (von welcher die Freiheit von Zwang selbst nur ein Moment ist), hohl. Die Freiheit ist dann nur die Freiheit sehr weniger.

    Problematisch wird es erst, wenn diese Bedingung von Freiheit zum Hauptzweck politischen Handelns wird und die Freiheit substituiert. Wenn man z.B. fanatisch nach angeblich immer noch Benachteiligten sucht, die wiederum nicht mehr straffrei kritisiert werden dürfen.

    Problematisch wird es insbesondere, wenn die selbsternannten Befreier sich als Erlöser (natürlich gleich der Menschheit) inszenieren. Dann wird die Befreiung von den Befreiern zum obersten Gebot der Freiheit.



    • Marille (kein Partner)
      18. Mai 2020 09:05

      Vielen Dank für die notwendige Ergänzung. Um mit Bert Brecht zu sprechen: "Zuerst kommt das Fressen, dann kommt die Moral", oder - wie in diesem Fall - die Freiheit. Dem sind nur mehr viele Sterne hinzuzufügen.



  7. Hegelianer
    16. Mai 2020 12:45

    Einen Punkt muss man hinsichtlich des Schuldenmachens allerdings konzedieren: Schulden zu haben, ist nicht per se ein Problem (außer ein psychologisches), sondern wird erst dann zu einem, wenn der Gläubiger auf Rückzahlung besteht. Wenn A dem B Geld borgt mit den Worten: "Zahl es mir irgendwann zurück", hat der B kein Problem, denn der Unterschied zwischen "irgendwann" und einem Geschenk liegt in den Worten. Zudem ist Corona ein Problem, das derzeit ALLE betrifft, was ein Denken in zwei Lagern hier der "bösen" Schuldner und dort der "guten" Gläubiger weiter relativiert.

    Die entscheidende Frage ist: Welches geistige Klima haben wir im weiteren Verlauf der Krise, und welches haben wir danach? Wenn es Freiheit gibt, wird es Innovationen und Ideen geben. Ohne Freiheit hingegen nicht, ganz egal, ob man Schulden macht oder nicht.



  8. Ernst Gennat
    16. Mai 2020 09:51

    Großartige Aufarbeitung des Themas. Leider ist Hayek in Vergessenheit geraten worden....
    Seit Kreisky gilt: Nur ein roter Bürger ist ein guter Bürger



  9. otti
    16. Mai 2020 08:34

    Herr Vetter - ganz besonderen Dank für diesen Beitrag und den Literaturhinweis.

    (schade, daß ein Konrad Lorenz keinen Kommentar dazu mehr schreiben kann !)






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