Sebastian Kurz will die Österreicher vor Extremismen schützen. Doch was er unter diesem Schlagwort vorhat und mit jedem Tag weiter ausbaut, je länger der Wahlkampf andauert, übersteigt alles, was die politische Linke in den letzten Jahren (ohnedies zusammen mit der ÖVP!) an Einschränkungen der Freiheit durchgesetzt hat. Findet Kurz willige Koalitionspartner, droht der eisige Frost eines nicht mehr für möglich gehaltenen Totalitarismus Recht und Gesellschaft zu überformen.
Türkises Wahlkampfthema Nummer eins sind offenbar die "Identitären". Jetzt will Kurz nicht nur deren Vereine auflösen (was bedeutet, dass jedes weitere politische Engagement führender "Identitärer" als strafbare Fortsetzung der Vereinstätigkeit angesehen werden kann), sondern auch noch deren Symbole verbieten und mit einer Aufnahme in das "Symbolegesetz" Symbolen des Islamischen Staates oder der Hamas gleichsetzen. Dem "politischen Islam" (was immer dies konkret sei) droht überhaupt ein völlig unbestimmtes Pauschalverbot im Strafgesetzbuch.
Die "Identitäre Bewegung" steht als der oberste Staatsfeind schon fest, ohne dass es hierfür irgendeiner Begründung bedürfte. So wie die Gülen-Bewegung in der Türkei, von der man ebenfalls nicht weiß, was sie eigentlich so Schlimmes verbrochen habe, dass niemand nur jemals mit ihr in Berührung gekommen sein darf. (Hinzu kommt die weitere Analogie zu Österreich, dass die Gülen-Bewegung im Grunde genommen ein ähnliches Programm vertritt wie die AKP Erdoğans.)
Jeder Berührpunkt zu den "Identitären" wird zur Staatsaffäre, ja zu einer Gefährdung der nationalen Sicherheit aufgeblasen. Oberösterreichs VP-Landeshauptmann erklärt in einem oberlehrerhaften Tonfall: "Sollte es sich bewahrheiten, dass ein Identitärer für die FPÖ kandidiert, erwarte ich unverzüglich die notwendigen Konsequenzen." Doch was ist so verwerflich daran, wenn ein subalterner Funktionär Geldbeträge an einen legalen Verein spendet? Wofür hat die FPÖ sich hier zu entschuldigen?
Die "Identitäre Bewegung" sei "eine extremistische Bewegung mit einer Ideologie fernab unserer Grundrechte", so der aus den Reihen der Wiener Polizei stammende ÖVP-Sicherheitssprecher Karl Mahrer. Geht es nach ihm, sollen "extremistische" Vereine generell verboten werden, doch was genau "Extremismus" sei und was (noch) nicht, wird in keinster Weise präzisiert. Erst recht wird keine Reflexion darüber angestellt, was an manchem "Extremismus" so schlimm sei, dass er verboten werden müsse, zumal der "Extremismus" mit jedem neuen Verbot immer weiter in die Mitte rücken wird.
Es geht immer nur – geradezu identitär! – um "unsere Werte", die, wodurch immer, bedroht seien. Auch das von Kurz geforderte neue Unterrichtsfach "Staatskunde" soll "Werte und Traditionen der österreichischen Kultur" vermitteln, und der Grundwehrdienst solle eine "Schule der Nation" sein.
Man kann sich nur noch an den Kopf greifen, welch etatistisch-autoritäre Wendung die ÖVP innerhalb kürzester Zeit genommen hat – und diese ist nicht nur eine Wendung nach links, was gegen das nun Gebotene beinahe harmlos wäre. Lange hatte der Verfasser dieses Kommentars die Austrofaschismus-Vorwürfe gegen Kurz für substanzloses Gerede gehalten, doch genau in eine solche Richtung geht es jetzt tatsächlich. Staat, Nation und Identität gehen über alles – auf Kosten immer weiterer bürgerlicher Freiheiten (man denke zum Beispiel auch an die von der ÖVP geforderte Klarnamenpflicht im Internet) und auf Kosten des liberalen Rechtsstaats.
So wie das Dollfuß-Schuschnigg-Regime einen Zweifrontenkrieg gegen die Nationalsozialisten und gegen die Sozialdemokratie geführt hatte, inszeniert Kurz einen Zweifrontenkrieg gegen die "Identitären" und gegen die Islamisten. Es rächt sich bitter, dass die Phase des Austrofaschismus ganz in den Windschatten des Nationalsozialismus gestellt wird und viel zu wenig als eine eigenständige totalitäre Ideologie wahrgenommen wird, die sich im Rahmen des allgemeinen Erstarkens faschistischer Bewegungen in Europa durchaus unabhängig von der Entwicklung in Deutschland etabliert hatte.
Wie brüchig die Grundrechtssituation (und zwar gerade der klassischen Grundrechte des Bürgers gegen einen überbordenden Staat!) in Österreich bereits geworden ist, sieht man nicht nur an den vielen Gummiparagraphen der zurückliegenden rot-schwarzen Jahre ("Terrorismusprävention", Verhetzungsparagraph, Staatsfeinde-Paragraph ...), sondern auch am weitgehenden Gleichklang aller Medien. Weder gibt es heute eine Polarität von ORF und Printmedien noch eine nennenswerte Meinungsvielfalt innerhalb der letzteren.
Namentlich eine Gefahr von "Rechts" wurde so lange und so erfolgreich als Feindbild aufgebaut, dass auch von den angeblich liberalen NEOS nur verhaltene und flaue Kritik an den Kurzschen Verbotsplänen kommt. Lob gebührt in diesen Tagen ausgerechnet Bundespräsident Van der Bellen und Justizminister Clemens Jabloner, die sich beide klar gegen diffuse Vereinsverbote ausgesprochen haben.
Das Vereinswesen ist kein Lehenssystem, wo der Kanzler in seiner allerhöchsten Gnade einen Verein gewähren lässt und den Vereinsstatus jederzeit wieder entziehen kann, wenn ihm der Verein persönlich missfällt. Individuelle Grundrechte wie die Vereins- und Versammlungsfreiheit sollten nach allen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts nicht mehr verhandelbar sein. Auch das Strafrecht (als die härteste Waffe des Staates gegen seine Bürger) sollte einem Ultima-ratio-Gedanken folgen, mindestens aber konkrete Tatbilder präzise beschreiben.
Sind unter dem Titel des "Extremismus" einmal Vereinsauflösungen möglich geworden, kann man davon ausgehen, dass als Nächstes Entlassungen aus dem Staatsdienst ermöglicht werden. Dann folgen Hausdurchsuchungen und Inhaftierungen, wozu es lediglich eines strafrechtlichen Verbots "extremistischer" Betätigung bedarf, das überall dort greift, wo bereits bestehende Gummiparagraphen noch immer nicht hingelangen. Erdoğan lässt grüßen!
Natürlich stellt sich auch die Frage, was Kurz gerade jetzt – im Wahlkampf! – mit seiner autoritären Programmatik taktisch erreichen will. Ist ihm klar geworden, dass er FPÖ-affine Wähler, die 2017 noch türkis gewählt hatten, nach seiner mutwilligen Koalitionsaufkündigung ohnehin nicht halten würde, und versucht jetzt, sich für linksaffine Wähler als wählbar darzustellen? Aber warum dann unverhohlen totalitäre Verbotsphantasien? Glaubt Kurz tatsächlich, mit derlei bei FPÖ-kritischen Mitte-Links-Wählern punkten zu können, bloß weil es gegen die "Identitären" geht?
Oder ist das Hauptziel der ÖVP darin zu sehen, mit den "Identitären" die FPÖ ins allerhinterste Eck zu stellen, auf dass diese im Wahlkampf nicht auf die Beine kommt und, vom Wähler geschwächt, winselnd um jeden Preis in eine Koalition geht, wenn die ÖVP von ihrer obersten "Koalitionsbedingung" abrücken sollte und den "Identitären" gnädigerweise doch noch einmal eine "Chance" gegeben wird? Andererseits wäre wohl auch die SPÖ willig, wie schon in den langen rot-schwarzen Jahren vor 2017 vieles von dem angedachten Unsinn mitzumachen, wenn sie nur wieder mitregieren darf.
Was auch immer Kurz antreibt: Es ist ungeheuerlich, mit einem diffusen Extremismus-Begriff anno 2019 wieder politische Gegner verfolgen zu wollen. So paradox es gerade in diesem Blog auch scheint: Einem liberalkonservativen Wähler kann zusehends die Frage kommen, ob eine ÖVP-geführte Regierung unter diesen Vorzeichen überhaupt gut für Österreich wäre, oder ob angesichts einer immer unverhohleneren Fratze des Totalitarismus nicht jede andere Regierungsform (durchaus unter Einschluss der FPÖ!) das kleinere Übel wäre.
Wilfried Grießer, geboren 1973 in Wien, ist Philosoph und Buchautor.
Kurz sind nach der Trennung von der FPÖ, alle Ideen ausgegangen. Kurz ist ein leerer inhaltsloser Sack. Was er eigentlich schon immer war.
Kurz hat sich auf ein Thema fixiert. Deswegen müssen die Identitären, als Kurz Feind Nummer 1 aufgebaut werden. Die Identitären bedrohen niemanden. Die Identitären haben kein Gesetz verletzt, haben keine Straftat begangen, haben sich nur erlaubt Kurz zu kritisieren. Das ist bereits eine Verbrechen.
Nicht auf der Linie der staatlichen Ideologie zu sein, die Propaganda in Frage stellen, ist in einer Diktatur nicht erlaubt.
Weiter wird es nach den Wahlen gehen. Mit Kurz und seinen grünen Verbündeten.
WER SCHUETZT UNS VOR DEN LINKSEXTREMEN UND DEREN MOERDERISCHEN IDEOLOGIE?
Niemals wurden in so kurzer Zeit soviele Menschen wie durch linksextreme Ideologien WELTWEIT ermordet.
Mangels anderer Ablehnungsgründe wird den Identitären pausenlos das Etikett des Extremismus umgehängt. Extremismus ist aber kein Tatbestand, sondern ein schwammiger Begriff, der nirgends definiert ist. Umso leichter ist es, jeden unliebsamen Mitmenschen oder jeden Gegner damit zu verunglimpfen. Dieser Vorwurf kann daher niemals für eine Vereinsauflösung herangezogen werden.
Der Gülen-Vergleich passt ausgezeichnet.
Kurz ist zur nahen Konkurrenz besonders unduldsam. Wie der Diktatürk.
1/ Ich hätte früher nie geglaubt, daß ich die ÖVP einmal für die gefährlichste Partei in Österreich halten würde. Die ÖVP rüttelt an den Grundfesten der Demokratie und des Rechtsstaates.
2/ Ich hatte gestern die Gelegenheit, mit einem hochrangigen FPÖ-Politiker zu reden. Ich wollte schon immer wissen, was an den Identitären so schlimm sei. Seine Antwort: "Gar nichts." Es war wohl einmal eine einsame rein taktische Entscheidung von einem oder zwei Höchstrangigen, leider öffentlich geäußert, die man zumindest im Wahlkampf nicht mehr revidieren kann/will/darf. Immerhin ist die FPÖ dagegen, die Identitären verbieten zu lassen.
3/ Manchmal packt mich die Lust, Erdogan zu bitten, unsere Politiker einmal kräftig zu maßregeln, wenn sie sich wieder empört und entrüstet über ihn, Erdogan, äußern. Aber das wäre nun doch zu unanständig. Und unklug ist es immer, den Teufel (Kurz) mit dem Beelzebub (Erdogan) austreiben zu wollen.
Summa summarum: Danke für die schlüssige und logische Darlegung der Lage, Herr Grießer.
Er folgt ganz einfach Merkel nach um ihren Erfolg zu kopieren.
Der rote Rotz wird zunehmens extremistischer (vgl. den deutschen Präsidenten mit seiner Lieblingsband Feine-Sahne-Fischfilet) und deshalb wird die linke Mitte (zumeist Arbeiter) zunehmend abgestoßen. Und je stärker man verliert, umso stärker rücken die Parteioberen nach links. Die deutsche Parteiführung ist irgendwo zwischen Anarchismus und gewaltätigem Bolschewismus einzustufen.
Wenn er wo gewinnen kann, dann nur bei den Linken - und das hat er richtig erkannt. Und so werden wir gewissermaßen als historischen Ausgleich zur Zwischenkriegszeit den bolschewistischen Machtanspruch erleben - allerdings als "Volksbewegung" getarnt.
Die Linken müssten massiv nach rechts driften, das hat aber einzig Pilz erkannt.
Ich erlaube mir dazu zustimmend auf meinen kurzen Gastkommentar "Lechter und rinker Extremismus" hinzuweisen.