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Österreich und die EU: kluge Worte, wenig Mut

Blickt man wenige Tage vor der EU-Wahl aus der Distanz zurück auf Österreichs Ratspräsidentschaft, so kommt man zu einem sehr ambivalenten Urteil. Je nach Maßstab und Perspektive. Es zeigt sich, wie schwer es ist, einen einmal in eine Richtung rollenden Panzer umzulenken. So man es überhaupt versucht.

In der klassischen Perspektive der Diplomatie und EU-Politik hat Österreich eine exzellente Präsidentschaft hingelegt. Es hat organisatorisch gut gearbeitet. Etliche Minister haben neue Richtlinien – also neue EU-Gesetze – vorangetrieben und beschlussfertig gemacht. Es ist nur lächerlich, wenn Rumänien, der Nachfolger Österreichs als Präsidentenland, sich schon nach wenigen Wochen seiner eigenen Amtszeit berühmt, dass in seiner Periode mehr Richtlinien in Rechtskraft erwachsen seien als unter Österreich, das diese aber alle schon fixiert hatte. Das ist ungefähr so logisch, wie wenn sich die Druckerei des Bundesgesetzblattes berühmen würde, die darin stehenden Gesetze gemacht zu haben …

Österreich bekam am Ende auch von allen Seiten, insbesondere der Kommission und deren Präsidenten Juncker, viel Lob. Es stand glücklich wie ein Vorzugsschüler bei der Zeugnisverteilung da. Auch die von vielen Seiten anfangs böse beaugapfelten freiheitlichen Minister fügten sich harmonisch in den Ablauf. Sie gelten auf EU-Ebene inzwischen als völlig problemlos. Lediglich der Innenminister hat gegen Ende der Präsidentschaft einmal Kanten gezeigt. Aber auch diese haben keine erkennbaren Kratzspuren hinterlassen.

Also alles bestens? Wenn man den Job einer EU-Präsidentschaft traditionell interpretiert, kann man nur mit Ja antworten. Österreich hat eine hervorragende Diplomatie, kein Regierungsmitglied hat sich blamiert – obwohl sie bis auf den Bundeskanzler alle keine Amts- und Europaerfahrung hatten.

Zu einem positiven Urteil trägt es auch bei, wenn man die Funktionsweise europäischer Mechanismen besser versteht, als es viele in der Öffentlichkeit tun. Links wie rechts gibt es viele, die meinen, das Präsidentenland würde sechs Monate lang die EU so leiten, wie etwa der französische oder amerikanische Präsident ihr Land führen. Diese Vorstellung ist dumm. Das Präsidentenland hat nämlich sogar weniger Rechte als der österreichische Bundespräsident. Überdies dauert sie nur sechs Monate, während der Bundespräsident die Hofburg gleich für sechs Jahre bezieht.

Aber auch in diesen sechs Monaten lenkt ein Präsidentenland die EU nicht. Diese ist ein sehr komplizierter Mechanismus mit vielen eifersüchtig ihre Rechte wahrenden Akteuren. Sie hat:

  • neben dem Präsidentenland gleich zwei weitere Präsidenten;
  • zahllose Räte, wo jeweils 28 Minister oder Regierungschefs sitzen;
  • eine Kommission mit dem exklusiven Recht, Gesetzesvorschläge zu erstellen;
  • ein großes Parlament, aber ohne fixe Koalitionen und damit automatische Mehrheit für die "Regierung";
  • ein Gericht, das sich die Rolle eines obersten Gesetzesmachers und Rechtssetzers usurpiert hat, das die nationalen Rechtssysteme immer weiter beiseiteschiebt;
  • und – neben unzähligen weiteren Agenturen und Institutionen (wie dem Rat der Regionen) – einen selbst- und machtbewussten Beamtenapparat, der die Politiker steuert.

Das Land, das da ein halbes Jahr den Vorsitz im Rat – und zwar nur im Rat! – führt, ist also bloß ein kleines funktionales Rädchen. Daher ist es nur absurd, wenn jetzt – beispielsweise – Grüne kritisieren, dass unter Österreichs EU-Präsidentschaft die Atomenergie nicht abgeschafft worden ist.

Jedoch kommt man zu einem ganz anderen Urteil als "Alles bestens", wenn man die österreichische EU-Performance jenseits der Präsidentschafts-Rolle bewertet. Wenn man etliche Schritte zurücktritt und einen Überblick über den europäischen Wald zu bekommen versucht, statt bloß einzelne Bäume zu betrachten. Dann wird das Urteil viel kritischer. Dann ist gar nicht alles bestens.

Dann findet man nämlich fast keine Spuren eines Engagements für die daheim verkündeten Absichten der Koalition. Dann widersprechen einander Worte und Taten. Dann bleibt die Nicht-Zustimmung zum UNO-Migrationspakt so ziemlich der einzige auffallende Akzent. Und das war ein Akzent, der gänzlich außerhalb der EU gefallen ist. Aber immerhin hat Österreich bei diesem Pakt dem Druck der EU-Kommission widerstanden, die von Österreich unter Verweis auf seine Präsidentenrolle eine Zustimmung zu dem Pakt verlangt hatte. Österreich hat mit seinem Verhalten auch anderen EU-Ländern Mut gemacht, Nein zu sagen. Nachdem das anfangs nur Ungarn angekündigt hatte, waren es letztlich acht.

Dieses Nein erweist sich heute als umso wichtiger, als inzwischen die EU-Kommission versucht, den – an sich rechtlich nicht direkt verbindlichen – UNO-Migrationspakt in europäisches Recht zu verwandeln. Genau dieser Prozess einer rechtlichen Relevanz des Paktes war ja von Kritikern prophezeit worden. Die Acht können nun der Kommission entsprechend Widerstand entgegensetzen.

Aber sonst? Sonst hat Österreich die angekündigte neue EU-Politik entweder gar nicht versucht oder es ist mit seinen diesbezüglichen Versuchen hoffnungslos stecken geblieben, ohne dass man es überhaupt mitbekommen hätte.

So hat es beispielsweise keine erkennbaren Initiativen zum Abschluss von EU-Abkommen mit den Herkunftsländern der "Flüchtlinge" über deren Rücknahme gegeben. Das wäre aber eine Aufgabe, die nicht nur für alle Länder sehr wichtig ist, sondern die auch nur durch ein gemeinsames Auftreten, ein gemeinsames Druckausüben umsetzbar ist, die also zum Unterschied von vielem anderen nur durch die EU wahrgenommen werden kann.

So ist ausgerechnet in die Zeit der österreichischen Präsidentschaft eine neue Zensur-Initiative der EU-Kommission gefallen, ein "Aktionsplan gegen Desinformation". Dieser Plan der sozialistischen Außenkommissarin Mogherini ist ein massiver Anlauf zu einer weiteren Einschränkung der Meinungsfreiheit. Hat doch auch die EU-Kommission (entgegen ihrer eigenen Überzeugung) keine göttliche Weisheit, um "Information" von "Desinformation" unterscheiden zu können, daher kann sie nur willkürliche Zensur bedeuten.

So wäre es aktuell am dringendsten gewesen, in der EU für eine freundlichere Haltung gegenüber dem austrittswilligen Großbritannien zu kämpfen. Für Österreich war die Geschlossenheit der verbliebenen 27 stets wichtiger als Versuche, um die Briten vielleicht doch noch zu halten, oder um sie zumindest möglichst gut als Nichtmitglied an die Union zu binden. Die kritiklos tolerierte Brexit-Linie der Kommission "Friss oder stirb" war hingegen von rachsüchtigem EU-Fundamentalismus geprägt, der jedes weitere Land abhalten soll, auch an Austritt zu denken. Sie war aber schlicht dumm.

Gerade an Hand der Causa Brexit hätte Österreichs Regierung sehr konkret für das kämpfen können – nein müssen, was sie immer wieder als ihr Ziel verkündet hat: für mehr Subsidiarität. Diese würde eine Rückverlagerung von Kompetenzen nach unten zu den Mitgliedsländern bedeuten, also mehr EU dort, wo Gemeinsamkeit einen Sinn hat, und weniger EU in allen anderen Bereichen.

Das hätte konkret bedeutet: weniger Regeln dort, wo die Staaten genauso gut regeln könnten – oder wo überhaupt keine Gesetze notwendig sind. Siehe etwa den überflüssigen EU-Kampf gegen Plastiksäcke; gelangen diese doch nur in Afrika und Asien ins Meer, nicht in Europa. Siehe etwa die Duschköpfe, die nur noch wenig Wasser durchlassen; dabei ist eine Reduktion des Wasserverbrauchs nur in wenigen EU-Ländern notwendig oder sinnvoll.

Und vor allem hätte (nicht nur den Briten zuliebe) die volle Freizügigkeit von Personen in der ganzen EU überdacht werden sollen. Es kann nicht Ziel einer langfristig überlebensfähigen EU sein, dass in Osteuropa ganze Landstriche entvölkert werden und in England Millionen zuziehen.

Es sind auch sonst kaum Beispiele zu finden, wo sich Österreich über Grundsatzreden hinaus im Sinne der Subsidiarität engagiert, wo es etwa konkret gesagt hätte: Da blockieren wir eine neue Richtlinie, weil sie überflüssig ist.

Gewiss kann man sagen: Diplomatische Klugheit ließ es angeraten erscheinen, sich angesichts der FPÖ-Regierungsbeteiligung stromlinienförmig zu verhalten. Aber wahrscheinlich bleibt man immer stromlinienförmig, wenn man es einmal tut. Wer einmal Konflikte scheut, bleibt gerne dauerhaft konfliktlos. Gewiss macht es keinen Sinn, überall rauflustig aufzutreten. Aber man sollte dort bereit sein dazu, wo es um die essenziellen Überlebens-Chancen der EU geht – die in wirtschaftlicher Hinsicht ja für Österreich unverzichtbar ist. Deregulierung wie Migrationsstopp sind dabei derzeit die wichtigsten Aufgaben.

Ein enttäuschendes Versagen hat Österreich auch in Hinblick auf Nachbarland Ungarn an den Tag gelegt. Seit Alois Mock nicht mehr am Leben ist, gibt es in der österreichischen Politik niemanden mehr, der die Wichtigkeit der ostmitteleuropäischen Nachbarschaft begriffen hätte und auch emotional leben würde. Dabei kann nur in einer gelebten Nachbarschaft mit diesem Raum eine gute Zukunft liegen. Dabei erleben wir gerade, wie Österreich von Tschechien, Ungarn und der Slowakei links und rechts überholt wird.

Wenn man für eine engere Partnerschaft mit diesen Ländern, auch mit Polen und der Ukraine plädiert, geht es nicht um lächerliche Habsburg-Nostalgie. Da geht es um die Logik der Geographie, um das Interesse an einem dynamischen Wirtschaftsraum, um das Begreifen der geistigen Verwandtschaft (auch ohne gemeinsame Sprache). Es geht aber auch um das Wissen, dass diese Länder beim europäischen Problemkreis Nummer eins, also Migration, Islamisierung und Demographie, ähnlicher zu Österreich denken als jede andere Nation.

Aber anstelle einer akzentuierten Wiederaufnahme der Mockschen Mitteleuropapolitik hat Österreich bei der lächerlichen Ungarn-Hatz der europäischen Linken und des (theoretisch christdemokratischen) Jean-Claude Juncker mitgemacht. Österreich hätte dieser Hatz umso energischer entgegentreten müssen, da die konkreten Vorwürfe des Femeberichts einer niederländischen Grünen(!) über Ungarn im Auftrag des EU-Parlaments einfach lächerlich sind – insbesondere im Vergleich zu den Zuständen etwa in Rumänien oder Katalonien. So wird in dem Bericht Ungarn vorgeworfen, Verfassungsgesetze zu beschließen, ohne vorher die "Zivilgesellschaft" gefragt zu haben – das sind auf deutsch die linken, von niemandem gewählten NGOs. Ebenso absurd ist der Vorwurf der (angeblichen) Nichtzulassung einer Privatuniversität durch Ungarn – gibt es doch diesbezüglich keinerlei EU-Rechtsvorschrift, die verletzt werden könnte, entscheiden doch alle anderen EU-Länder völlig eigenständig über solche Fragen.

Und dass Ungarn demonstrativ den christlichen Charakter Europas erhalten und verteidigen will, kann doch erst recht kein Grund sein, gegen Ungarn zu sein. Sondern müsste Anlass sein, Ungarn geradezu zuzujubeln.

Aber man hört aus Wien keinerlei Jubel.

Dieser Text ist in ähnlicher Form in der Wochenzeitung "Zur Zeit" erschienen.

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