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Die Redl Papers (IV): Abfang, Abschuss und der Zeitgeist

Am 7. Juli 2017 hat Verteidigungsminister Doskozil den Ausstieg aus dem Eurofighter bekanntgegeben, am 13. Juli 2017 beendete der zweite parlamentarische Untersuchungsausschuss zu diesem Thema seine Arbeit. Ein guter Anlass, jetzt diesen bisher unveröffentlichten Text zu veröffentlichen. Er entstand während des ersten Eurofighter-Untersuchungs-Ausschusses 2006/07 und stammt von einem Österreicher mit Heimat- und Verantwortungsbewusstsein und besten Verbindungen zum militärisch-ministeriellen Komplex. Es ist natürlich immer davon auszugehen, dass sich hier der Erkenntnis-Horizont von vor zehn Jahren widerspiegelt – was aber eher ein Vorteil ist, denn dadurch ist historische Authentizität gegeben. Alles ist original, es wurde nichts aus heutiger Sicht hinzugefügt. In dieser Folge geht es darum, wer was machen kann und darf, wenn es hart auf hart geht.

Die Papers sind dem "Tagebuch" von dritter Seite zugespielt worden und werden an dieser Stelle in Fortsetzungen veröffentlicht.

Im Luftraum über Österreich gibt es im Schnitt 3.000, in Spitzenzeiten bis zu 4.000 Flugbewegungen täglich. Über 95 Prozent dieses Luftverkehrs sind kontrolliert: nämlich alles, was – im Gegensatz zu Segelfliegern – nach Instrumentenflug-Regeln fliegt. Das Spektrum reicht vom kleinen Sportflugzeug bis zum Jumbojet, von der Linien-Passagiermaschine bis zum gecharterten Frachtflugzeug. Dass das alles in geordneten Bahnen verläuft, darüber wacht die zivile Flugsicherungs-Behörde Austrocontrol. Dass in diesem Luftraum keiner gegen die Lufthoheit verstößt, darüber wacht das militärische Überwachungs-System Goldhaube.

Ein cordon sanitaire

Es war ein genialer Wurf der Politik in den 70er Jahren, damals ausgehandelt zwischen Verkehrs- und Verteidigungsministerium: Bei der Organisation der Kontrolle unseres Luftraums – dessen intensive Benützung in dieser Zeit erst richtig losging – sollten von Anfang an zivile und militärische Interessen und Bedürfnisse koordiniert werden. So entstand eine gemeinsame Infrastruktur mit Beobachtungsstationen, Radar- und Funksystem.

Als Tüpfelchen auf dem i wurde in St. Johann im Bundesland Salzburg ein Regierungsbunker gebaut, in den sich im Krisen- und Kriegsfall die Spitzen des Staates zurückziehen und diesen aufrechterhalten sollten. Das nächste Mal sollte es keine Ausrede geben, dass man "der Gewalt weichen" müsse. Um diesen Bunker hat uns damals die ganze Welt beneidetet – er war state of the art, jene Qualität, über die die USA in ihren Top-Schutzräumen verfügten, wenn nicht sogar noch besser. Wenn heute etwas passiert, wird die Regierung jedoch in Wien bleiben, denn inzwischen ist auch der Bunker in der Stiftskaserne im siebten Wiener Bezirk hervorragend ausgebaut, und mit dem Nichtverlassen der Hauptstadt soll ein Zeichen gesetzt werden.

In diesem gewaltigen Salzburger Bunker, eineinhalb Kilometer in den Berg getrieben, vier Stockwerke hoch, auf Pylonen gelagert als Schutz gegen Erschütterungen bis Stufe 11 der zwölfteiligen Mercalli-Skala, ist auch die Zentrale der Goldhaube untergebracht. Selbst wenn es draußen halb Europa nicht mehr gäbe, wäre sie immer noch intakt. Hier sitzen Tag und Nacht, 365 Tage im Jahr, Identifikations-Offiziere vor riesigen Bildschirmen und beobachten, was sich da so auf Österreich zubewegt. Der cordon sanitaire reicht dabei im Nordwesten bis Frankfurt, im Westen bis Bern, im Südwesten bis Perugia, im Südosten bis Sarajewo, im Osten bis Debrecen und im Nordosten bis Breslau.

Der Luftraumüberwachungs-Offizier, der in der Goldhaube sitzt, hat in seinen elektronischen Unterlagen sämtliche regulären Flugpläne, sämtliche angemeldeten Charterflüge, sämtliche Bewilligungen für "Staatsluftfahrzeuge" (das sind alle von Staaten oder Organisationen in Auftrag gegebenen Flüge, also auch und vor allem Militärmaschinen). Wenn da nun ein merkwürdiger Flieger erscheint, der in keiner dieser Unterlagen – reguläre und temporäre Flugpläne und Einzelbewilligungen – auftaucht, sondern nur am Radarschirm, dann ist Handlungsbedarf gegeben, und zwar unmittelbarer. Der Diensthabende Leiter der Luftraumüberwachungszentrale löst sofort Alarm aus: um keine Sekunde zu verlieren, gibt er sofort und direkt den Befehl zum Aufsteigen der Alarmrotte.

Die Austrocontrol ist die ganze Zeit "plugged", hört also mit und ist ebenfalls alarmiert. Dann erst informiert er über Standleitung den Diensthabenden Offizier im Luftstab beim Streitkräfte-Führungskommando in Salzburg-Siezenheim. Der kann den Einsatz noch abbrechen, und wenn er dies nicht tut, dann informiert er weiter: den Verteidigungsminister oder/und Innenminister und den Generalstab im Kommandogebäude "General Körner" in Wien-Hütteldorf.

Die Radarleitoffiziere der Goldhaube berechnen mittels eines "Kraft-Zeit-Raum-Kalküls" den Treffpunkt der Abfangjäger und des zu identifizierenden Flugobjekts. Das heißt, wozu man früher noch händisch geraume Zeit brauchte, das macht heute natürlich der Computer in Sekundenschnelle – aber die Flugzeuge waren damals auch noch langsamer. Die Flugverkehrsleiter der Austrocontrol müssen nun so schnell wie möglich den zivilen Verkehr praktisch anhalten und schauen, wie sie die beiden Maschinen durch den Luftraum schleusen. Denn ein Grundsatz gilt immer (natürlich in Friedenszeiten, aber auch bei Krisen, wenn der zivile Flugverkehr ohnehin eingeschränkt ist): Die Sicherheit der Luftfahrt hat Vorrang.

Bei ganz normalem Dienstbetrieb sitzen die Piloten im Aufenthaltsraum in Zeltweg. Dann ertönt dieses Horn, wie man es aus Filmen kennt: dieses schnarrende Tut-Tut-Tut-Tut. Die Piloten rennen zu ihren Maschinen und die Rotte ist spätestens in sieben Minuten in der Luft, vom Alarm bis zum Einziehen des Fahrwerks (bei einer Einzelmaschine sind es fünf Minuten). Dass das so lange dauert, liegt nicht daran, dass die Piloten zu langsam rennen, sondern dass der Eurofighter nicht von einer Sekunde auf die andere losdonnern kann, denn das Führungssystem benötigt eben Zeit für die Koordination.

Im Krisenfall jedoch sitzen die Piloten der Rotte rund um die Uhr in ihren Maschinen (Wechsel alle zwei Stunden), dann dauert der Start zwei Minuten. Und bei laufenden Triebwerken (was man allerdings nur im Extremfall macht, da das ja Unmengen an Sprit kostet) fünf Sekunden. Andere Möglichkeit sind der Einsatz aus einer Warteposition in der Luft ("airborne alert") in unmittelbarer Nähe des zu erwartenden Treffens, oder der Einsatz von Flugzeugen, die sich gerade zu einer Übung in der Luft befinden.

Was sich am Himmel so abspielt

Dabei sind die Dinge meistens nicht so dramatisch, wie sie jetzt klingen mögen. In der überwiegenden Zahl der Fälle wird kein feindlicher Akt gesetzt, es treten einfach technische Probleme mit der Navigation und/oder dem Funk auf, der Pilot verliert die Übersicht und verirrt sich. Oder es geht darum, dass sich ein Flugzeug nicht an Einschränkungen bei der Benützung des zugeteilten Luftraums hält, weil der Pilot "schläft", überfordert ist oder dergleichen. Bis zu fünfzig Mal im Jahr gibt es den Fall "no radio contact", also den Ausfall der Funkverbindung: ein Flugzeug nähert sich, aber es meldet sich nicht, und das ist eventuell nicht nur eine Maschine, das könnten auch mehrere sein, wenn sie eng im Verband fliegen. Der Radarschirm kann das nicht so fein differenziert erfassen.

Es kann sich aber eben auch um eine absichtliche Provokation handeln, wenn sich etwa eine Maschine durch den heimischen Luftraum schwindeln will, indem sie ihren Transponder (das heißt den automatischen elektronischen Signalgeber, der Position und Identität anzeigt) abstellt. Dann ist sie für die zivile Flugkontrolle einfach nicht vorhanden, wird aber vom Radar der Goldhaube immer noch erfasst. Oder es verletzt gar eine ausländische Luftmacht den österreichischen Luftraum.

So geschehen beim NATO-Einsatz während des Serbien-Konflikts, als Flugzeuge, die von Südwesten kommend an unserer Grenze entlang auf den Balkan flogen, – unbeabsichtigt – den bei Radkersburg herausragenden Zipfel österreichischen Bundesgebietes übersahen. Hier kann man nicht einfach ein Auge zudrücken und alle Fünfe grade sein lassen. Wer in solchen Fällen nicht Flagge zeigt, verliert seine Glaubwürdigkeit. Entweder es ist jemand im Luftraum drinnen, und wenn es nur ein Meter ist, oder er ist es nicht. Hier kann man schön die oft gebrauchte Metapher anwenden, dass es "ein bisschen schwanger sein" nicht gibt. Souveränität ist unteilbar.

Eins wird deutlich: Auch und gerade in der Luft ist der bereits reflektierte Unterschied zwischen Polizei- und Militär-Funktion ein gradueller, hauchdünner und oft erst aus zeitlicher Distanz richtig zu beurteilender. Wenn ein Flugzeug ein technisches Gebrechen hat, oder der Pilot einem menschlichen Versagen unterliegt, ist der Einsatz nur rechtlich ein militärischer, faktisch aber ein polizeilicher, wenn dagegen eine ausländische Militärmaschine den Luftraum verletzt, handelt es sich rechtlich wie faktisch um militärisches Vorgehen. Die Folgen sind jedenfalls durchwegs sehr ähnlich.

Der Athen-Vorfall

Lebhaft in Erinnerung ist etwa noch der Fall jenes zypriotischen Passagierflugzeugs, das in der Nähe von Athen in unwegsamem Bergland zerschellte. Ein die Maschine in einem Kampfjet begleitender Pilot hatte Sichtkontakt mit der Kanzel und meldete, dass die Besatzung den Eindruck mache, als schliefe sie, während er in der Kabine eine Bewegung wahrnahm. Was war da los? Ein "ziviler" Mord, ein Akt des Terrors? Es war ein Ausfall der Druckkabine, wie sich später herausstellte. Der Schlaf war eine Ohnmacht. Die Maschine flog mit dem Autopiloten. Bevor sich die führerlose Maschine selbstständig machen konnte und daraufhin die griechische Luftwaffe eingreifen hätte müssen, stürzte sie von selbst ab, weil der Treibstoff ausgegangen war.

Was wäre jedoch geschehen, wenn sie in diesem Zustand auf Athen zugerast wäre? Hätte sie ein Abfangjäger abschießen dürfen/sollen/müssen? Auf jeden Fall hätte man erst nachträglich gewusst, dass das kein Terror-Flugzeug war, sondern ein Unglücksflugzeug, und die Diskussion über die Berechtigung dieses Militäreinsatzes würde heute noch geführt.

Worum immer es sich auch handeln könnte, es muss rasch reagiert werden. Die Alarmrotte steigt auf, das sind zwei Maschinen. Zuerst bemüht man sich, oben in der Luft mittels Sichtkontakt eine Identifikation vorzunehmen. Gelingt das, wird die Maschine in den harmlosen Fällen technischen oder menschlichen Versagens zur Landung geleitet oder über das Bundesgebiet eskortiert und an der Grenze der jeweiligen Luftwaffe übergeben. Gelingt das nicht, oder es handelt sich um einen feindseligen Akt, kommt es zum Abdrängen und Wegführen der Maschine oder zur Ausübung von Landezwang.

Der eine Abfangjäger setzt sich hinter das Flugzeug, um die Situation unter Kontrolle zu haben, zur Deckung seines Kameraden. Der setzt sich vor das Flugzeug und gibt mittels Wackeln mit den Tragflächen dem "gegnerischen" Piloten zu verstehen, dass der ihm folgen und auf seinen Kurs einschwenken soll. Nützt dies nichts, setzt er sich neben das Flugzeug und versucht, mittels Handzeichen Kontakt aufzunehmen. Diese Manöver können sich mehrmals wiederholen. Zeigt das alles keine Wirkung, weiß man endgültig, dass da was nicht stimmt.

Jetzt wird's brenzlig. Weniger für den Aggressor, sondern eher für die beiden Militärpiloten. Denn jetzt müsste man dem unfolgsamen Luftraumgefährder eigentlich "die Wadln fürerichten", wie man bei uns so schön sagt. Der Eurofighter ist mit einer Bordkanone mit Munition für einige Feuerstöße ausgerüstet. Der vorne fliegende Pilot müsste auf den roten Knopf in seinem Cockpit drücken und eine Warnsalve abgeben. Man könnte sich jetzt fragen, ob man sie in der Luft überhaupt hören kann. Man kann sie begrenzt hören, vor allem aber sehen, wenn mit Leuchtspurmunition geschossen wird.

Wenn das nichts nützt, müsste er mit einem gezielten Treffer das Flugzeug so beschädigen, dass eine Landung nahe läge. Und wenn das immer noch nichts nützt und sich alles über halbwegs freiem Gelände und nicht über urbanem, dicht besiedeltem Gebiet abspielt, müsste er das Flugzeug abschießen. Wobei der Grad der Zerstörung auch mit der modernsten Computerausstattung noch immer nicht präzise kalkuliert werden kann. Man bemüht sich, auf die Ruder zu zielen (Seitenruder, Höhenruder). Aber im Grunde genommen ist jeder Waffengebrauch in der Luft lebensgefährlich.

Befugnisse

So einfach geht dieses Szenario nun aber doch nicht durch. Denn es gibt da das wunderbare "Bundesgesetz über Aufgaben und Befugnisse im Rahmen der militärischen Landesverteidigung", kurz Militärbefugnis-Gesetz. In seinem Paragraphen 26 schreibt es vor, dass die Souveränität der Republik im Luftraum zu wahren beziehungsweise wieder herzustellen ist. Bereits bei Verdacht muss reagiert werden:

  • § 26. (1) Die militärische Luftraumüberwachung dient der ständigen Wahrung der Lufthoheit der Republik Österreich, insbesondere zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Souveränität.

(2) Die mit Aufgaben der militärischen Luftraumüberwachung betrauten militärischen Organe (...) dürfen

  1. jene den österreichischen Luftraum benützenden Luftfahrzeuge stellen, die einer Verletzung der Lufthoheit oder einer Gefährdung der Einsatzbereitschaft des Bundesheeres verdächtig sind, und
  2. die maßgeblichen Umstände dieser Luftraumbenützung einschließlich der Identität des Luftfahrzeuges feststellen.

(3) Die militärischen Organe nach Abs. 2 dürfen zur Durchsetzung ihrer Befugnisse die Maßnahmen zur Befugnisausübung nach den §§ 16 bis 19 anwenden.

Diese Paragraphen 16 bis 19 regeln den Waffengebrauch im Allgemeinen und den "lebensgefährdenden Waffengebrauch" im Besonderen. Sie besagen, dass nach Beachtung aller Warnmaßnahmen gegenüber dem Gegner und Vorsichtsmaßnahmen gegenüber unbeteiligten Dritten das in der heutigen Zeit Unaussprechliche getan werden darf: es darf geschossen werden. Und zwar zur Überwindung von Widerstand, zur Verhinderung einer Flucht, zur Abwehr einer Gefahr für Dritte. Da braucht man gar nicht lange überlegen – in der Luft ist der Schießgrund "Verhinderung einer Flucht" immer gegeben. Aber in der Luft ist auch jede ungewöhnliche Maßnahme immer mit Lebensgefahr verbunden.

Juristische Fallstricke

So weit, so gut. Damit wäre eigentlich alles klar. Das Dumme ist nur, dass diese Regelung nur für den "Ernstfall" gilt – den Krisenfall, Kriegsfall, oder welchen Fall man immer aus dem juristischen Deklinations-Paradigma hervorzieht. Im "Frieden" ist das Innenministerium zuständig. Das Wahnsinnige dabei ist, dass laut Artikel 38 unserer Verfassung die Bundesversammlung, das sind National- und Bundesrat gemeinsam, in einer Sitzung so eine Kriegserklärung beschließen müsste.

Das kann man vergessen. Worauf übrigens aktuell auch der oberösterreichische Bundesrat Gottfried Kneifel hingewiesen hat. Er meint, dass diese Bestimmung nur aus der Entstehungszeit der Bundesverfassung unmittelbar nach dem 1.Weltkrieg erklärbar ist und sich im Zuge der gesamteuropäischen Entwicklung überlebt hat. So kommt im gesamten EU-Recht das Wort "Kriegserklärung" kein einziges Mal vor.

Beim Einsatz der Abfangjäger kann es sich also theoretisch tatsächlich um eine Assistenzleistung für das Innenministerium handeln. Nämlich in speziellen Fällen, etwa wenn zwei sich im Flugzeug streiten und einander den Schädel einschlagen wollen. Denn nach der Verfassung dürfen alle Behörden und Organe des Bundes, der Länder und der Gemeinden innerhalb ihres jeweiligen Wirkungsbereiches das Bundesheer anfordern, wenn sie glauben, sie können eine bestimmte Situation nur mit dessen Hilfe in den Griff bekommen.

Nun ist es ja aber in Wirklichkeit so, dass in der Luft das Bundesheer allein die Situation in den Griff bekommen muss und die Etzes des Innenministeriums dazu in keiner Weise braucht. Wollte man jedoch die Befehlskette exakt nach Vorschrift durchspielen, wäre die bühnenreife Groteske offensichtlich. Die Goldhaube des Verteidigungsministeriums stellt einen Einsatzfall fest, meldet diesen ans Innenministerium, das wiederum das Verteidigungsministerium zur Assistenzleistung auffordert. Komplizierter geht's nicht. Und wenn dann die Ämter- und Befehlskette endlich durchlaufen ist, ist der Übeltäter schon wieder weg.

Risken ausschalten durch Risiko nehmen

Die Auflösung des Gordischen Knotens: es muss faktisch gar keine Assistenzleistung angefordert werden, man kann sich auch selbst in diese stellen, wenn Gefahr im Verzug und keine Zeit zum lang Fragen ist. Und am Himmel ist nie Zeit. Da geht es um Sekunden. Die roten Handys, die die beiden Minister des Inneren und der Verteidigung Tag und Nacht mit sich herumschleppen, sind also im Grunde nur politische Camouflage. Die Diskussion, die im Sommer 2007 darüber geführt wurde, war es ebenso. Denn die rechtlichen Rahmenbedingungen sind schon längst ausdiskutiert und allen damit Befassten bekannt.

Aber was tut man nicht alles für die Medien. Und was tun diese nicht alles, um wieder einmal Aufregung zu stiften, die sich nur in Verwirrung auflösen kann.

Problematisch jedenfalls ist, dass für den Militärpiloten der Waffengebrauch in jedem Fall in einem rechtsunsicheren Raum stattfindet. Er kann sich, wie wir gesehen haben, nicht mehr auf das Militärbefugnis-Gesetz berufen, er kann aber auch nicht auf das für die Polizei geschaffene "Sicherheitspolizeigesetz" zugreifen, das auf ganz andere Bedürfnisse ausgerichtet ist. Und dazu hat er die Assistenzleistung von sich aus "aufgedrängt", was ja schon grundsätzlich einmal hinterfragbar sein könnte.

Sein einziger Haltegriff ist jetzt noch das übergreifende Rechtsprinzip der Notwehr. Er darf sich wehren, wenn er angegriffen wird, und er darf Nothilfe leisten, wenn sein Rottenkollege angegriffen wird. Das heißt im Umkehrschluss, wenn das Problemflugzeug weder schießt noch versucht, die beiden Abfangjäger durch gemeine Manöver ins Trudeln zu bringen, können deren Piloten eigentlich gar nichts machen. Der Problempilot kann ihnen ungestraft die Nase zeigen, was auch schon passiert ist.

Der Bundesheer-Pilot darf aber auch Nothilfe für Dritte leisten, das heißt für etwaige Passagiere in der Problemmaschine und/oder drunten am Boden, denen das Flugzeug – vielleicht, vermutlich, wahrscheinlich? – innerhalb weniger Minuten auf die Köpfe fallen könnte. Was soll er also tun, wenn das Luftfahrzeug nicht und nicht abdrehen will, wenn es sich einer Stadt, einem Stadion (um das inflationär zitierte Beispiel zu nennen) nähert? Und dort unten ebenso wie im Flugzeug selbst unbeteiligte Menschen in höchste Gefahr kommen können?

Soll ich oder soll ich nicht? Ist das, was ich tue, verhältnismäßig? Oder nur Ausfluss meiner übermäßigen Nervosität? Oder gar Rache für die Schwierigkeiten, die mir der andere macht? So nach dem Motto "Dem zeig ich's jetzt einmal"?

Für diese Fragen gibt es keine einfachen und eindeutigen Antworten, und vor derartigen Problemen steht jeder, der mit Waffen und Situationen, in denen diese eingesetzt werden können, zu tun hat. Der Polizist, der private Sicherheitsmann, der Bewacher eines Geldtransports, das sich wehrende Opfers eines nächtlichen Überfalls. Aber der Pilot in besonderem Maße: denn die Luft hat keine Balken, und am Himmel geht jede Aktion meistens ungleich fataler und letaler aus als auf der Erde.

Freibrief zum Abschuss

Des Pudels Kern ist einmal mehr die Unklarheit der Situationen, der Absichten, der Auswirkungen. Und auch in diesem Zusammenhang sehen wir wieder, dass Begriffe wie "Krieg" und "Frieden", "Polizei" und "Militär" in der heutigen Zeit teilweise obsolet geworden sind. Andererseits: das alles über einen Leisten zu schlagen, das geht ja auch nicht so einfach.

Nehmen wir einmal an, für unsere Soldaten gelte das Militärbefugnisgesetz prinzipiell und generell, für alle Arten von Einsätzen. Dann hätten die Piloten praktisch einen Freibrief zum Abschuss jeder auch nur ansatzweise verdächtigen Maschine, wenn die nicht tut (oder eben in den meisten Fällen nicht mehr tun kann), was sie wollen. Im Grunde muss jeder einzelne Fall untersucht und aufgearbeitet werden, gar nicht so sehr aus potentiellen Bestrafungsgründen heraus, sondern um sich selber einmal klar zu werden, was da oben wirklich los war.

Um die Problematik, dass sie unter Umständen etwas tun müssen, was sie, wie sich vielleicht nachträglich herausstellen wird, nicht tun hätten sollen, kommen die Piloten einfach nicht herum. Das muss man einmal ganz offen aussprechen. Das ist Bestandteil der Job Description.

Aber dabei handelt es sich ja nicht nur um eine unerträgliche Belastung. Von einer anderen Warte aus betrachtet sind es gerade diese Facetten, die dazu beitragen, diesen Job reizvoll und spannend zu machen. Es gibt auch andere Berufe, die sich in einem vergleichbaren Spannungsfeld bewegen. Ein Chirurg etwa kann auch nicht genau kalkulieren, was bei einer Operation passieren wird, welche Unvorhersehbarkeiten auftreten werden. Er operiert trotzdem. Oder vielleicht sogar gerade deswegen? Wegen des dadurch ausgelösten Adrenalinschubs?

Und einer, der Offizier ist, muss erst recht gelernt haben und dazu bereit sein, die unmöglichsten Situationen zu bewältigen und darin möglichst "richtig" zu reagieren. Er verantwortet schließlich nicht nur sein eigenes, sondern zuallererst das Leben der ihm unterstellten Soldaten. Darauf zielt seine ganze Ausbildung ab, das ist das Ethos seines Berufs.

Berufe gegen den Zeitgeist

Es gibt Berufe in Grenzbereichen, bei denen in Bruchteilen von Sekunden weitreichende Entscheidungen getroffen werden müssen, von denen sogar Menschenleben abhängen. Und es muss Menschen geben, die Freude daran haben, diese Berufe auszuüben, weil die eben aufgrund ihrer Ausnahmestellung für die Gesellschaft besonders wichtig sind.

Eine derartige Einstellung zum Risiko ist freilich dem Grundtenor des gegenwärtigen Zeitgeistes diametral entgegengesetzt: Der strebt nach nahezu unendlicher Sicherheit, gesellschaftlich wie individuell, von der Wiege bis zur Bahre. Es ist wahrscheinlich eine Folge der Hochtechnisierung, die den Menschen glauben lässt, sich zunehmend vor allen Unwägbarkeiten des Lebens schützen zu können. Alles ist machbar, und wo dies anscheinend noch immer nicht möglich ist, bricht die kollektive Hysterie aus. Zugegeben, wer bereit ist, persönliches Risiko zu nehmen, der trägt wahrscheinlich auch ein gewisses Quantum Abenteurertum in sich. Aber das ist in Ordnung, wenn er bereit ist, eventuelle Folgen zu tragen.

Um aber bei solchen Folgen möglichst fair behandelt zu werden, muss den Angehörigen von Risiko-Berufen wie Ärzten und Offizieren unbedingt der Anspruch auf eine entsprechende juristische Unterstützung zustehen. Und die fehlt bei den Offizieren des Bundesheers noch vollständig. Es ist ein dringliches Desiderat, da strukturell – und nicht auf individueller Basis, die natürlich ohnehin jedem offen steht – etwas zu tun. Die Gesellschaft sollte sich mit einem, der sie beschützt, solidarisch erweisen.

Fortsetzung folgt.

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