Rede Viktor Orbáns am Kongress der Europäischen Volkspartei

Die wichtigsten Passagen der Rede, die der ungarische Premier vor dem Kongress der Europäischen Volkspartei in Madrid am 22. Oktober 2015 gehalten hat. Diese Rede hat dort viel Aufmerksamkeit ausgelöst.

Heute möchte ich über die Migrationskrise sprechen. Diese Frage wird die Zukunft unserer politischen Familie bestimmen. Wir stecken in großen Schwierigkeiten. Die Migrationskrise könnte Regierungen, Länder und auch den gesamten europäischen Kontinent destabilisieren. Wir brauchen eine starke und eindeutige Antwort, einen klaren Fahrplan und einen Aktionsplan für die Europäische Volkspartei. Die ungarische Delegation begrüßt den Beschluss des Kongresses, der deklariert, dass die spanische Annäherung an das Problem die richtige ist.

Die Gefahr, der wir bereits seit einiger Zeit ins Auge blicken, erfordert, dass wir offen und ehrlich reden.

Erstens, meine lieben Freunde, ist die Sache, der wir hier gegenüberstehen, keine Flüchtlingskrise. Dies ist eine aus Wirtschaftsmigranten, Flüchtlingen und ausländischen Kämpfern bestehende große Völkerwanderung. Dies ist ein unkontrollierter und unregulierter Prozess. Ich möchte Sie daran erinnern, dass die Wahl des Aufnahmelandes kein Bestandteil des internationalen Rechts ist. Weiterhin möchte ich unterstreichen, dass diese Flut über einen unerschöpflichen Nachschub verfügt: Nach Syrien, dem Irak, Pakistan und Afghanistan hat sich jetzt auch schon Afrika auf den Weg gemacht. Der Umfang und die Größe der Gefahr übersteigen unsere Erwartungen bei weitem.

Dies ist der richtige Zeitpunkt, damit wir die Beschaffenheit und die Dimension unserer moralischen Verantwortung klären. Wir sind Christdemokraten, deshalb müssen wir auch die Frage der moralischen Verantwortung als wichtigen Gesichtspunkt beachten. Wir fühlen aus tiefstem Herzen mit jenen Menschen, die gezwungen wurden, ihr Zuhause zu verlassen. Sie sind die Opfer der schlechten Regierung ihrer eigenen Länder. Sie sind Opfer der schlechten internationalen politischen Entscheidungen. Und zugleich auch Opfer unserer schlechten europäischen Politik, die Erwartungen entstehen lässt, die man unmöglich erfüllen kann. Offensichtlich sind diese Menschen auch Opfer der Menschenschlepper.

Jedoch darf der Umstand, dass wir sie als Opfer ansehen, nicht dazu führen, dass auch wir selbst zu Opfern werden. Nur weil wir sie nicht als Feinde betrachten, dürfen wir nicht gegen unsere eigenen Interessen handeln. Unsere moralische Verantwortung ist es, diesen Menschen ihr Zuhause und ihre Heimat zurückzugeben. Es kann nicht unser Ziel sein, ihnen ein neues europäisches Leben zu geben. Das Recht auf Menschenwürde und auf Sicherheit sind grundlegende Menschenrechte. Doch ist weder die deutsche noch die österreichische oder die ungarische Lebensweise ein Grundrecht für alle Menschen der Erde.

Dies ist nur das Recht jener, die dazu etwas beigetragen haben. Europa kann nicht jeden aufnehmen, der sich nach einem besseren Leben sehnt. Wir müssen ihnen dabei helfen, dass sie ihr eigenes Leben in Würde zurückerhalten, und deshalb müssen wir sie in ihre eigene Heimat zurückschicken.

Erlauben Sie mir, Sie darauf aufmerksam zu machen, dass die europäische christdemokratische Annäherung keinerlei moslemfeindliche Politik toleriert. Der moslemische Glaube, den wir achten und respektieren, ist nicht für die grundlegenden Ursachen dieser Völkerwanderungswelle verantwortlich.

Es ist unvermeidlich, über die Qualität unserer Demokratien zu sprechen. Ob es wohl dem Grundsatz der Freiheit der Information und der Meinungsäußerung entspricht, dass die Medien im Allgemeinen Frauen und Kinder zeigen, während in Wirklichkeit siebzig Prozent der Migranten junge Männer sind und wie eine Armee aussehen? Wie ist es möglich, dass unsere Staatsbürger das Gefühl haben, ihre Meinung werde nicht beachtet? Doch wir müssen die Frage stellen, ob unsere Staatsbürger das wollen, was jetzt geschieht. Sind wir von ihnen dazu ermächtigt worden, Millionen von Migranten auf unseren Kontinent zu lassen? Haben wir dazu die Ermächtigung bekommen, über Monate hinweg die Schengen-Vorschriften nicht einzuhalten?

Nein, hierzu haben wir keine Ermächtigung erhalten. Und inzwischen ist es auch kein allzu überzeugendes Argument mehr, dass wir das, was wir getan haben, aus dem Grunde taten, weil eine Gefahrensituation bestand. Ich bin davon überzeugt, dass wir unseren gesamten Mut zusammennehmen, die politische Korrektheit über Bord werfen und eine große Debatte beginnen müssen. Ohne Scheinheiligkeit und Heuchelei müssen wir diskutieren, was unsere Absichten hinsichtlich unseres Kontinents sind. Was denken wir über das Erbe unserer Zivilisation? Kann die Veränderung des kulturellen Musters von außen erzwungen werden? Akzeptieren wir die Parallelgesellschaften? Oder verteidigen wir jene auf Toleranz und Rechtstaatlichkeit basierende Lebensweise, die wir bisher gelebt haben?

Europa ist gegenwärtig reich und schwach. Dies ist die gefährlichste Kombination. Es scheint so, dass wir nicht in der Lage sind, allein unsere Herausforderungen zu meistern. Die Türkei ist ein wichtiger strategischer Partner. Aber wenn wir in Ermangelung unserer eigenen Kraft von ihr die Lösung erwarten, dann werden wir hierdurch verletzbar.

Dies ist die gegenwärtige Situation in Europa. Wenn wir dies nicht wollen, dann müssen wir unsere Grenzen schützen. Wenn wir hierzu an den Grenzen Griechenlands, das das östliche Tor des Balkans und die erste Verteidigungslinie darstellt, nicht in der Lage sind, dann müssen wir dies am Westtor des Balkans machen, an den Grenzen Ungarns und Sloweniens.

Wir müssen klar aussprechen, dass die europäische Linke einen eindeutigen Plan hat. Sie unterstützt die Migration. Tatsächlich aber importiert sie, sich hinter der Maske des Humanismus versteckend, zukünftige Wähler der Linken. Dies ist ein alter Trick, aber ich verstehe nicht, warum wir ihn akzeptieren müssten. Sie erachten die Registrierung und den Schutz der Grenzen als bürokratisch, nationalistisch und die Menschenrechte verletzend. Sie träumen von einer politisch derart aufgebauten Weltgesellschaft, in der es keine Religionen, keine Grenzen und keine Nationen gibt. Sie attackieren die grundlegendsten Werte unserer europäischen Identität: die Familie, die Nation, die Subsidiarität und die Verantwortung.

Wir sind die Europäische Volkspartei. Unser Verhalten darf nicht durch die Meinung unserer Rivalen bestimmt werden. Wir sind eine starke und großartige Partei. Je heftiger der Angriff ist, mit umso größerer Kraft müssen wir ihn zurückschlagen. Wir müssen bereit sein, für unsere Prinzipien zu kämpfen.

Zugleich müssen wir auch innovativ sein. Mit dem Erscheinen der neuen Krisen funktionieren die alten Methoden nicht mehr. Wir brauchen Mut und neue Experimente, und wenn auch nicht jede unserer Ideen unbedingt zum Erfolg führt, so sollte uns dies nicht davon abhalten, es zu versuchen. Und wir dürfen nicht jene attackieren, die es versuchen. Ich möchte meinen Dank dem Herrn Vorsitzenden und jenen Schwesterparteien ausdrücken, die uns, Ungarn, in einem schwierigen Zeitraum verteidigt haben, in dem wir selbst nach neuen Lösungen suchten.

Wir sind die Europäische Volkspartei – Parti Populaire, Volkspartei, Partido Popular, Party of the People. Wir sind dem Volk gegenüber verantwortlich. Wir müssen auf die Menschen hören! Wir müssen entschlossen sein, wir müssen Europa schützen! Wir dürfen nicht zulassen, dass die Linke Europa zerstört und danach neu formt! Und wir dürfen nicht zulassen, dass sie den Geist Europas vertreiben! Wir dürfen nicht zulassen, dass die Liberalen und die Sozialisten den Menschen Europa wegnehmen!

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