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Der Umgang mit Religionslehrern in Wien

Lautstark bejammern die Verantwortlichen der Erzdiözese Wien seit Jahren den Priestermangel, der sie zwinge, Pfarren aufzugeben und priesterliche Aufgaben durch Laien erledigen zu lassen. Dabei ist dieser Priestermangel zumindest teilweise selbst verschuldet. Ein Beispiel ist der Fall von Martin D., der aus vorauseilendem Gehorsam gegenüber kirchenfeindlichen Kritikern von den eigenen Vorgesetzten „abgeschossen“ wurde.

Der Vorfall erinnert an die Szene im Asterix-Comic, in der die Piraten auf hoher See wieder einmal einem Schiff mit den gallischen Helden Asterix und Obelix an Bord begegnen. Um der obligaten Schlägerei mit den Galliern zu entgehen, die immer mit der Zerstörung und Versenkung des Piratenschiffes endet, beschließen die Piraten, sich diesmal gleich selbst zu versenken. Vom untergehenden Schiff aus ruft der Piratenkapitän hinüber zu den Galliern: „Diesmal haben wir euch drangekriegt!“

Martin D. hat Theologie studiert. Er war bis vor kurzem Priesterseminarist der Erzdiözese Wien. Und er war Religionslehrer, zuletzt an der Vienna Business School (ehemals Handelsakademie) in der nach der Familie des Kardinals benannten Schönborngasse im achten Wiener Gemeindebezirk.

Nachdem Martin D. bereits an einigen Schulen in Wien gearbeitet hatte – stets zur Zufriedenheit und mit Lob seiner Vorgesetzten, Kollegen und sehr guten Anmeldezahlen für den Religionsunterricht – wurde er im September 2013 an die VBS Schönborngasse versetzt. Die Vorgängerin kam nicht mehr wieder und wollte auch nicht mehr an die Schule zurück. Überhaupt gestaltete sich dort das Klima von vornherein nicht besonders angenehm.

Im Oktober war es so weit: Es traf die Beschwerde einer Schülerin ein. Sie hatte oft den Unterricht gestört und war daher auch einmal gemaßregelt worden. Die Schülerin behauptete, dass der Lehrer sich vor sie gesetzt und gefragt habe, ob denn bei ihr und ihrem Freund, der neben ihr saß und sich ebenfalls angeregt im Unterricht unterhielt, alles in Ordnung sei. Dadurch fühlte sich die Schülerin in ihrer Privatsphäre gestört und beschwerte sich.

Eine erste Untersuchung durch das Schulamt der Erzdiözese verlief sachlich, ruhig und konnte zur Beilegung der Affäre führen – vorerst.

Doch das war der anderen Seite nicht genug. So wurde der Vorwurf gegen den Lehrer in unkonkreter Form an den Regens des Wiener Priesterseminars herangetragen. Wenn sich eine Schülerin gestört fühlt, müsse das Belästigung sein. Und wenn schon Belästigung, dann wäre doch gleich auch sexuelle Belästigung möglich. Nach Einschaltung des gesamten Priesterseminars, Kollegen, des Pfarrers, des Generalvikars und des Kardinals Schönborn ging eine Eingabe an die Ombudsstelle und zugleich eine Meldung an die diözesane Stabsstelle für Prävention von sexuellem Missbrauch und Gewalt. „Der Anzeiger war dabei nicht die Betroffene oder Zeugen, sondern kein Geringerer als der Regens des Wiener Priesterseminars, Dr. Richard Tatzreiter persönlich“, weiß Martin D., der bereits die aufkommenden Mediengewitter ängstlich roch.

Zuerst musste der Lehrer weg. Aber wie? Ein Bundesbedienstetenverhältnis kann nicht einfach aufgrund unbegründeter Annahmen, die keinem zweiten Blick standhalten, beendet werden. Also bat Herr Tatzreiter das Schulamt der Erzdiözese, Martin D. abzuziehen.

D. wurde ins Schulamt gebeten. Die Lage sei belastend für ihn und seine Gesundheit, erklärte man ihm, und es wurde ihm zugesprochen. Er solle doch das Dienstverhältnis einvernehmlich beenden. Man werde sich um ihn kümmern. Zur Not finde man eine Beschäftigung im Schulamt und ab Februar eine neue Schule. Natürlich müsse D. das nicht sofort entscheiden, aber nach 24 Stunden sollte man dann schon wissen, ob er das Angebot nicht annehmen möchte.

Bemerkenswert daran: D. wird empfohlen, sich als Ratgeber an jenen Regens Tatzreiter zu wenden, der als Anzeiger des angeblichen sexuellen Missbrauchs die Sache hintenherum angestoßen hat und nun den Unparteiischen spielen darf. Martin D. nimmt verstört an. Als er am nächsten Morgen ins Schulamt geht, wird ihm bereits das vorgefertigte Schriftstück in seinem Namen zur Unterschrift vorgelegt. Ab da an darf Martin D. sich mit monatsweise befristeten Dienstverhältnissen in der Diözese, die auf Wohlwollen des Herrn Regens angewiesen sind, durchs Leben kämpfen – in Teilzeit versteht sich.

Währenddessen untersuchen die Ombudsstelle und die diözesane Kommission die Vorwürfe – jedoch ohne Einbeziehung des „Verdächtigen“. Zur Erinnerung: Es gab weder ein klagendes Opfer eines angeblichen sexuellen Missbrauchs, noch Zeugen oder Beweise. Das Gegenteil ist der Fall: Sämtliche Mitschüler geben ihren Unmut über die Geschehnisse kund. Es gibt eine Petition an die Erzdiözese, in der die Schuldlosigkeit des Lehrers glaubhaft belegt wird.

Unterschriftenlisten und ein Schreiben der Obfrau des Elternvereins räumen zudem von Beginn an jeglichen Verdacht aus. Doch das interessiert in der Erzdiözese niemanden.

Was genau untersucht wird, bleibt unklar. Auf Anfrage bei der Ombudsstelle bekommt Martin D. lediglich die Auskunft, dass es ihn nichts angehe. Die Kommission scheint auch keinen Bedarf an objektiver Aufklärung zu haben. Bis zuletzt wird Martin D. dort nicht einmal vorgeladen. Auf sein persönliches Drängen hin erhält er die Auskunft, dass man sich bei ihm melden werde.

Selbst vor der Heiligen Inquisition durfte seinerzeit der Angeklagte wenigstens eine Aussage erbringen und sich irgendwie verteidigen. Doch nicht in diesem Fall: Keine Auskünfte, keine Einvernahme, keine Rechtfertigung. Stattdessen wird von Seiten des Herrn Regens des Priesterseminars mit vereinnahmendem Vokabular gespielt: „das Opfer", „der Täter", „der Übergriff".

Zu guter Letzt schaltet Martin D. einen Rechtsanwalt ein, um wenigstens Auskunft darüber zu erhalten, was ihm denn genau vorgeworfen wird, wer was gesagt hat und mit welcher Faktenlage denn überhaupt gearbeitet wird.

Nach monatelangem Zittern dann doch die Entlastung: Der Vorwurf, der niemals genauer definiert, dargestellt, von der Betroffenen so auch nie behauptet und auch nicht geäußert wurde, lässt sich leider nicht halten. Doch mittlerweile ist das ja auch egal. Martin D. hat seine Stelle verloren, sein Ruf ist eingeäschert, jede Zukunftsperspektive in der Wiener Kirche ist ihm genommen. Nachdem auch noch der Lebenslauf von Martin D. überprüft und weitere Fehlersuchen vonstatten gegangen waren, blieb nur noch die schmale Behauptung von Regens Tatzreiter, dass es zu einer „verbalen Übergriffigkeit" gekommen sei. Auf Nachfrage, wie eine solche verstanden werden kann, führt Herr Tatzreiter aus, dass es sich um frauenfeindliche Sätze handeln könne, wie man sie in katholischen Studentenverbindungen erlernt, denen Martin D. angehört.

Eine schriftliche Entlastung, eine Entschuldigung oder gar eine Wiedergutmachung darf Herr D. nicht erwarten, und auch eine Einsicht in die Untersuchung oder in den Abschlussbericht wird ihm verwehrt.

Dem Vernehmen nach ist der Fall Martin D. in der Erzdiözese Wien kein Einzelfall. Kardinal Schönborn und sein Regens Tatzreiter mögen mit dem Priesternachwuchs umgehen wie sie wollen. Aber dann sollen sie sich nie wieder darüber beschweren, wenn sie zu wenige und zu wenige geeignete Priester für die Seelsorge in ihrer Erzdiözese haben.

Ralf Siebenbürger, geboren 1960 in Wien, studierte dortselbst Rechtswissenschaft, Publizistik und Kunstgeschichte. In den 1980er Jahren war er Kommunaljournalist, 1990 bis 1998 Pressesprecher des ÖVP-Klubs im Wiener Gemeinderat und Landtag. Seit 1999 lebt Ralf Siebenbürger als freier Journalist in Wien.

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