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Meinungsfreiheit in Gefahr

In Österreich droht die schärfste Einschränkung der Meinungsfreiheit seit Jahrzehnten. Der Gesetzesentwurf ist schon durch den Ministerrat gegangen; jetzt hängt es nur noch am Nationalrat, ob der Entwurf nun endgültig in Geltung tritt. Mit diesem Thema befasst sich heute Abend eine hochrangig (und mit mir) besetzte Podiumsdiskussion. Eintritt frei.

Vorweg die Daten der Diskussion: Montag,  28. Juni, 18:00 Uhr im Palais Daun-Kinsky, Freyung 4, 1010 Wien.
Es diskutieren:
Dr. Dieter Böhmdorfer, Rechtsanwalt, Justizminister a.D.
Univ.-Prof. Dr. Andreas Khol, Präsident des Nationalrats i.R.
Hon.-Prof. Dr. Gottfried Korn, Medienanwalt, Mitherausgeber der Zeitschrift „Medien & Recht“
Dr. Johann Rzeszut, Präsident des Obersten Gerichtshofes a.D.
Rosemarie Schwaiger, Redakteurin „Die Presse“
Dr. Andreas Unterberger, Internet-Blogger „andreas-unterberger.at“
Moderation: Dr. Barbara Kolm, Generalsekretärin F.A.v. Hayek Institut.

Dem Hayek-Institut sei Dank, dass diese Veranstaltung zustandekommt. In diesem Land hat schon fast jede Fliegenart und jeder südamerikanische Stamm ein aktive Lobby. Nur die Freiheit nicht, für die unsere Vorfahren 1848 auf die Barrikaden gestiegen sind. Und die in den letzten Jahrzehnten das zentrale Fundament unseres gesamten Rechtsstaates und auch des wirtschaftlichen Wohlstandes gewesen ist. Aber offenbar ist uns diese Friheit schon zu selbstverständlich geworden, als dass sich noch jemand dafür engagieren würde.



Laut Regierungsvorlage soll der §283 des Strafgesetzbuches in folgender Weise neugefasst werden:

Verhetzung


§ 283. (1) Wer öffentlich auf eine Weise, die geeignet ist, die öffentliche Ordnung zu gefährden, oder wer für eine breite Öffentlichkeit wahrnehmbar zu Gewalt oder zu einer sonstigen feindseligen Handlung gegen eine Kirche oder Religionsgesellschaft oder eine andere nach den Kriterien der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der Staatsangehörigkeit, der Abstammung oder nationalen oder ethnischen Herkunft, des Geschlechts, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung definierte Gruppe von Personen oder gegen ein Mitglied einer solchen Gruppe ausdrücklich wegen dessen Zugehörigkeit zu dieser Gruppe auffordert oder aufreizt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen.

(2) Ebenso ist zu bestrafen, wer öffentlich gegen eine der im Abs. 1 bezeichneten Gruppen oder gegen ein Mitglied einer solchen Gruppe ausdrücklich wegen dessen Zugehörigkeit zu dieser Gruppe hetzt oder eine solche Gruppe in einer die Menschenwürde verletzenden Weise beschimpft oder verächtlich zu machen sucht.

Das erscheint aus folgenden Gründen bedenklich:



  1. Mit diesem Paragraphen kann künftig versucht werden, jede pointierte Kritik als Beschimpfung, Verächtlichmachung oder Verhetzung zu  interpretieren und vor den Strafrichter zu bringen.

  2. Damit werden Meinungsdelikte, die rund um das Medien- und Ehrenbeleidigungsrecht bisher nur zu Geldstrafen geführt haben, mit zwei Jahren Haft bedroht.

  3. Auch sehr viele parlamentarische Reden (einmal abgesehen von der Immunität), Leitartikel und sonstige öffentliche Debatten drohen nun, als Verletzung dieses Paragraphen inkriminiert zu werden.

  4. Damit werden Geschmacklosigkeiten, schlechtes Benehmen, wilde Polemiken und Meinungen auf die Ebene von Verbrechen gehoben.

  5. An der Strafbarkeit ändert sich auch nichts, wenn die inkriminierten Meinungsäußerungen voll den Tatsachen entsprechen.

  6. Für die Strafbarkeit des „Hetzens“ gilt auch nicht die im restlichen Paragraphen erwähnte Einschränkung, dass eine Beschimpfung „in einer die Menschenwürde verletzenden Weise“ erfolgt.

  7. Aber auch diese Verletzung der Menschenwürde geschieht nach dem Standardkommentar zum StGB (Wiener Kommentar) schon dann, wenn jemand als wertloser Teil der Gesamtbevölkerung dargestellt wird. Was etwa bei polemischen Debatten über das Pensionssystem, Börsehändler, kapitalistische Ausbeuter, Manager oder Banken, Tierschützer und andere Gruppen sehr leicht der Fall sein kann.

  8. Diese mit Terrorismusbekämpfung in nicht erkenntlichem Zusammenhang stehende  Einschränkung der Meinungsfreiheit wird unter der irreführenden Überschrift „Terrorismusprävention“ verfügt.

  9. Sie schützt im Gegenteil terroristische Gruppen gegen Kritik und wird kaum gegen Hassprediger eingesetzt werden können. Für den Schutz gegen diese würde zweifellos der Absatz (1) ausreichen.

  10. Auch jede andere in Kritik stehende Gruppe – ob Neonazis, ob Kommunisten, ob Islamisten – wird zumindest versuchen, sich mit dem Verhetzungsparagraphen zu wehren, vertreten sie doch zweifellos eine „Weltanschauung“.

  11. Dieser neue §283 kann zumindest theoretisch sogar wie ein Ermächtigungsgesetz – ähnlich zum Verhalten der Justiz in autoritären Staaten wie Venezuela oder  Iran – zum Mundtotmachen von politischen Oppositionellen benutzt werden. Dazu bedarf es nur einer leichten Verschiebung der Interpretation von „verächtlich machen“ durch die Justiz.

  12. Selbst wenn sich die österreichische Judikatur – wie zu hoffen ist – einer sehr extensiven Interpretation dieses Paragraphen verschließen sollte, so ist es doch fast sicher, dass damit eine Fülle von Strafanzeigen und staatsanwaltschaftlichen Untersuchungen ausgelöst wird. Was zumindest Unsicherheit auslösen wird und die ohnedies durch ein enormes Arbeitsaufkommen überlastete  Staatsanwaltschaft weiter belasten wird.

  13. Diese Einschränkung der Meinungsfreiheit wird – aus schlechtem Gewissen? – in der Regierungsvorlage so versteckt, so dass man nur durch Vergleich mit dem bisherigen Strafgesetzbuch ihre ganze Tragweite erkennt. Bisher waren dort im Wesentlichen nur Religionsgemeinschaften und „Rassen“, „Völker“ und „Volksstämme“  – was auch immer diese Begriffe genau bedeuten – geschützt. Überdies galt bisher der Schutz nur einer ganzen Gruppe, jetzt soll er auch auf jeden einzelnen ausgedehnt werden.

  14. Dieses schlechte Gewissen zeigt sich auch darin, dass in der – rechtlich irrelevanten – Zusammenfassung der Gesetzesvorlage durch die Parlamentskorrespondenz jeder Verweis ausgerechnet auf die Verschärfung der „Verhetzung“ fehlt.

  15. In besonders schlimmer Weise lässt sich das Gummi-Vokabel „Weltanschauung“ beliebig in alle Richtungen interpretieren.

  16. Verhaltensweisen, die bisher im gesellschaftlichen Konsens als Geschmacklosigkeit oder schlechtes Benehmen einzuordnen waren, werden nun plötzlich unter eine strenge zweijährige Strafdrohung gestellt werden. Selbst Blondinenwitze (siehe Schutz des „Geschlechts“) oder polemische Darstellungen des Pensionssystems (siehe Schutz des „Alters“) können ganz leicht als „verächtlich machen“ interpretiert werden.

  17. Aus all diesen Gründen liegt überdies auch eine massive Kollision mit den Bestimmungen der Verfassung und der Menschenrechtskonvention zur Meinungsfreiheit vor.

  18. In den erläuternden Bemerkungen wird der Eindruck erweckt, es bestünde eine internationale Pflicht zur Erlassung eines solchen Paragraphen. In Wahrheit gibt es aber nur eine Empfehlung einer – überaus umstrittenen – unabhängigen Kommission des Europarats ohne jede Bindungswirkung und einen Rahmenbeschluss der EU-Justizminister, der  im Gegensatz zum vorliegenden Entwurf ausdrücklich die Meinungsfreiheit unberührt lassen will. Der überdies nicht Kritik an jemandem seiner Weltanschauung wegen umfasst.

  19. Das Recht wird damit zur politisch-ideologischen Waffe, dessen erstes Opfer übrigens mit Sicherheit – würde das Gesetz schon gelten – ein Landtagsabgeordneter einer Regierungspartei wäre, der ein Hassvideo eines Rappers auf seine Homepage gestellt hat. Natürlich wären aber auch solche Rapper selbst strafbar.

  20. Wenn Angehörige des Justizministeriums ausstreuen, die meisten dieser Besorgnisse wären unberechtigt, denn mit „verächtlich machen“ wären Taten, nicht Worte gemeint, dann sollte dies unbedingt so klargestellt werden, dass es auch wirklich um Taten geht. Am einfachsten und klarsten dadurch, dass die ganze Ziffer (2) des §283 gestrichen wird.

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