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Der Koalitionsmotor läuft nun voll an - samt etlichem Knirschen

Die Koalition hat in den vergangenen Tagen viel Positives geschafft oder begonnen. Das ist eindeutig anzuerkennen – genauso wie nüchtern festzuhalten ist, dass erstmals an anderen Stellen deutliches Knirschen in der Koalition zu vernehmen ist, zwischen den Partnern ebenso wie in etlichen Sachfragen. Und dass die allergrößten Aufgaben offenbar wieder liegenbleiben.

Beginnen wir mit dem Positiven, das ja von vielen Medien rasch weggewischt worden ist:

  • Endlich ist das so lange von der SPÖ blockiert gewesene Sicherheitsgesetz unter Dach und Fach. Das ist für viele Österreicher besonders nach dem neuen Massenmord in der bisher als sicher geltenden Stadt Toronto wichtig. Aber schon lange davor hatte die Mehrheit der Österreicher kein Verständnis dafür, dass die Polizei keinen raschen Zugriff etwa auf öffentliche Überwachungskameras hatte, dass – auch bei richterlicher Genehmigung – nur Telefon-, und SMS-Kommunikation, aber nicht solche über WhatsApp abhörbar war, dass Prepaid-Telefonkarten anonym erworben werden konnten. Der Widerstand etlicher Parteien und NGOs dagegen war nichts anderes als Beihilfe für Straftäter.
  • Mit einigem Bauchweh kann man auch das Doppelbudget ins Positive einordnen. Zwar ist dieses angesichts einer Hochkonjunktur recht unambitioniert ausgefallen. Zwar geht die positive Budgetentwicklung – "dank" EZB – vor allem zu Lasten der Sparer, denen durch das Fehlen von Zinsen in Kombination mit der Inflation allein im letzten Jahr wieder satte 4,5 Milliarden Euro geraubt worden sind. Aber wenn man die SPÖ-Redner und ihre zahllosen Vorschläge gehört hat, wofür man noch viel mehr Geld ausgeben und welche Steuern man noch erhöhen sollte, dann kann man nur froh sein, dass die SPÖ beim Budget nichts mehr mitzureden hat.
  • Bisher in der Öffentlichkeit untergegangen, aber jedenfalls positiv ist eine Ankündigung von Verkehrsminister Hofer: Wenn Deutschland die PKW-Maut auf Autobahnen in Kraft setzt und gleichzeitig die Steuern für deutsche Fahrzeugbesitzer reduziert, wird Österreich dasselbe tun. Die bisherigen Verkehrsminister hatten sich ja hingegen lediglich in Jammern erschöpft, dass die deutschen Pläne EU-widrig wären. Was sie aber höchstwahrscheinlich nicht sind.
    Es ist nicht nur als Retorsion richtig, in Österreich Ähnliches zu machen wie Deutschland. Die von Hofer angekündigte Umstellung würde überdies die österreichischen Autofahrer zulasten der Millionen nur im Transit durchfahrenden Ausländer entlasten. Und sie wäre auch umweltpolitisch völlig richtig: Nur fahrende, nicht stehende Autos belasten die Umwelt. Also sollte auch das Fahren, nicht das Stehen belastet werden.
  • Nach einem kraftvollen Zupacken klingt auch (zumindest) die Ankündigung, jetzt als eines der ersten Länder Europas einen raschen Ausbau des G5-Funknetzes einzuleiten. Das ist Voraussetzung für zahllose neue technologische Entwicklungen, bis hin zum automatisierten Fahren. Und wenn 5G nicht nur in den Zentren, sondern sehr bald auch am Land funktionieren sollte, wäre es die wichtigste Voraussetzung, um die Landflucht zu stoppen.
  • Eindeutig positiv, wenngleich noch dringend ausbaubedürftig, sind auch die diversen Ankündigungen des Innenministers, das Leben der Asylanten ein wenig zu erschweren (Abnahme von Bargeld bei Bezug der Mindestsicherung oder Kontrolle der Fluchtgeschichten durch erzwingbaren Blick in das Handy der "Flüchtlinge"). Interessanterweise haben die Linksparteien nicht mehr, wie stets in den letzten Jahren, gegen diese Vorhaben lautstark protestiert.
  • Positiv ist auch eindeutig eine weitere auf der gleichen Linie liegende Absicht der Regierung. Sie will jetzt eine einheitliche Mindestsicherung festlegen, nachdem die Länder das jahrelang nicht geschafft haben. Dass jetzt alle Linksradikalen des Landes – die Grünen sowie linke SPÖ-Politiker – dagegen wild protestieren, kann geradezu als Bestätigung gewertet werden, dass die Regierung da richtig unterwegs ist. Die Linken bedauern es nämlich, dass jene Länder, wo sie (noch) etwas zu sagen haben, künftig nicht mehr so viel Geld an Migranten ausgeben können. Grotesk, aber wahr.
    Das zentrale Argument der Regierung in dieser Frage ist zweifellos richtig: Wenn Menschen neu ins System kämen, dürften sie nicht das Gleiche erhalten wie jene, die hier seit Jahrzehnten lebten (auch wenn der Teufel natürlich im Detail liegt). Mit dem künftigen Wiener Bürgermeister könnte es sogar Hoffnungen auf einen Konsens der Regierung mit dem gemäßigten Flügel der SPÖ geben. Der wird nämlich recht froh sein, die Lasten auf dem Wiener Budget reduzieren zu können.
    Pikant ist freilich, dass es damit nun schon wieder ein neues Themenfeld gibt, wo die Koalitionsspitze an der Sozialministerin vorbei das Handeln an sich gerissen hat. Die Ministerin hatte ja eigentlich den Ländern Handlungsfrist bis zum Sommer gegeben. Und steht jetzt als endgültig irrelevant da.

Es wäre also völlig falsch zu sagen, es wäre nichts geschehen. Es ist mehr in Bewegung kommen als seit vielen Jahren.

Aber die Regierung scheint - siehe etwa die erwähnte Rolle der Sozialministerin bei der Mindestsicherung - nun auch zu einigen heikleren Fragen gekommen zu sein, wo sich die Dinge spießen, wo man falsch unterwegs ist. Zwar sind wir es im Grund von allen Koalitionen der Vergangenheit gewohnt, dass sich die Koalitions-"Partner" ständig gegenseitig blockiert haben, weil sie ja völlig konträre Vorstellungen davon hatten, was gut für das Land (oder die Partei) wäre. Bei Schwarz-Blau waren die ersten Monate hingegen überaus harmonisch verlaufen.

Jetzt jedoch beginnt es in der Koalition gleich in mehreren Fragen zu knirschen. Ist das ein Rückfall in alte Zeiten? Ist man nur unprofessionell? Oder ist dieser Eindruck entstanden, weil jemand mit Maßnahmen vorgeprescht ist, die eigentlich erst nach der letzten Landtagswahl des heurigen Jahres auf den Tisch kommen sollten? Die nächsten Wochen werden es zeigen.

Einige Punkte, wo es sich abgesehen von der Problemzone Sozialministerin zwischen den Koalitionsparteien zu spießen scheint, wo man unkoordiniert agiert:

  • Neben der Sozialministerin wirkt Justizminister Moser derzeit am überfordertsten. Und das überrascht bei ihm speziell, bewegt er sich doch am längsten von allen Ministern im Nahfeld der Politik. Aber ihn zerreißt es anscheinend. Da sind einerseits die gewaltigen Probleme in der Strafjustiz, von der Moser keine Ahnung hat. Da ist andererseits der Zwiespalt zwischen einem, der sich immer als Sparefroh gesehen hat, und den beinharten Forderungen von Richtern und Staatsanwälten, die alles sind, nur nicht sparwillig. Und da ist schließlich der Mann, der auf dem Papier immer Hunderte Ideen für Staatsreformen geäußert hat, der nun aber solche plötzlich auch umsetzen soll. Was ein gewaltiger Unterschied ist. Und wo alle Seiten ihm insgesgeim beweisen wollen, dass der einstige Rechnungshof-Präsident immer wie der Blinde von der Farbe gesprochen hat.
  • Das Außenministerium wollte den Schutz österreichischer Konsuln künftig auch Südtirolern zugutekommen lassen. Es ist dabei von der ÖVP zurückgepfiffen worden. Unklar ist: Warum hat die ÖVP das getan? Genügt es, dass Italien protestiert, und schon geht Österreich in die Knie? Hat Italien gedroht, im Gegenzug Flüchtlingsmassen nach Österreich zu schieben? Oder gibt es andere Gründe?
    Tatsache ist, dass der konsularische Beistand für Südtiroler im Ausland eigentlich eine folgerichtige Konsequenz des Südtirolpakets ist. Dieses sichert nämlich Südtirolern das Recht zu, bei allen Kontakten mit italienischen Behörden und Gerichten Deutsch sprechen zu können. Diese Garantie wird aber in italienischen Konsulaten nicht umgesetzt. Daher ist es eigentlich logisch, dass Südtiroler im Ausland auch zu österreichischen Konsulaten gehen können, solange Italien nicht die Zweisprachigkeit seiner eigenen Konsulate realisiert.
  • Wenige Lorbeeren hat sich die Koalition auch bei den EU-Sanktionen gegen den – höchstwahrscheinlichen – Giftanschlag von Salisbury geholt.
    Zuerst bricht Österreich die europäische Solidarität mit den Briten, was innereuropäisch nicht gerade helfen wird, und was den Verdacht verstärkt hat, dass ein Teil der Regierung Moskau allzu blauäugig gegenübersteht. Dann begründet die Regierung das damit, dass man "vermitteln" wolle. Dann bekommt die Außenministerin ausgerechnet von den Russen als ersten zu hören, dass man gar keine Vermittlung in der Syrienfrage wolle. In der Tat werkt doch schon seit Jahren der Syrien-Vermittler der UNO seit Jahren tapfer wie erfolglos.
    Damit wurde ein Anfänger-Fehler begangen, den Österreich bisher immer vermieden hat: Man sollte sich niemals öffentlich als internationaler Vermittler andienern, wenn man nicht ausdrücklich darum gebeten worden ist. Man betreibt maximal stille Diplomatie hinter den Kulissen, wie die Schweiz, das Rote Kreuz oder der Vatikan.
  • Zu spießen beginnt es sich auch noch in einer weiteren Frage mit internationalem Bezug: nämlich rund um den Investor Soros. Der freiheitliche Klubobmann Gudenus hat Soros vorgeworfen, die Massenmigration nach Europa zu fördern. Worauf ihm zumindest zwei ÖVP-Abgeordnete Antisemitismus nachgesagt haben.
    Beide Seiten handeln da vorsichtig ausgedrückt seltsam: Einerseits kann Soros nicht außerhalb der Kritik stehen; es ist nicht jede Kritik an ihm Antisemitismus – aber sehr wohl kann sich ein solcher dahinter tarnen. So wie sich ja auch der Antisemitismus der Linken als Antizionismus tarnt. Andererseits sollte Gudenus aber einen solchen Vorwurf nur erheben, wenn er klare Indizien dafür vorlegt. Was er bisher nicht getan hat. Dass in Ungarn eine Anti-Soros-Kampagne läuft, ist noch kein Beweis. Und außerdem gibt es auch in Österreich etliche Organisationen, welche die Massenmigration fördern. Daher sollte auch ein österreichischer Spitzenpolitiker primär sich diese und deren Finanzierung auch aus österreichischen Steuergeldern anschauen.
  • Ein ganz großes Konfliktthema werden der ORF und die Pflichtgebühren für diesen. Die FPÖ will in Einklang mit der Bevölkerungsmehrheit deren Abschaffung; in der ÖVP dominieren vorerst erstens die Meinungslosigkeit, zweitens die Illusion, durch zwei, drei Personalwechsel (wobei man nicht einmal überzeugende Kandidaten findet) im ORF etwas ändern zu können, und drittens die Landeshauptleute, die auf den ORF setzen, weil sie halt de facto über die jeweiligen ORF-Landesstudios verfügen können.
    Wenn sich nicht bald die Parteispitzen auf etwas Substanzielles einigen können, wird der ORF zum Koalitionsdesaster. Wenn die Regierung wirklich ohne VORHERIGE Strategie in eine offene ORF-Enquete gehen sollte, wird sie dort auf die Nase fallen. Dann wird dort jeder Experte mit offenen Worten zögern, weil er weiß, dass die Rache des ORF an ihm fürchterlich sein wird. Und er wird endgültig verstummen, solange die ÖVP den Eindruck erweckt, nichts ändern zu wollen.
  • Weiteres, ebenso großes Konfliktthema werden alle Fragen rund um die Sozialversicherungen. Ohne deren Reform kann eine Sanierung der Staatsfinanzen langfristig nicht gelingen. Aber die FPÖ und deren häufig für Verwirrung sorgende Sozialministerin glauben noch immer, dass man das Problem mit ein paar Zusammenlegungen lösen kann. Was lächerlich ist und in Wahrheit Zusatzkosten bewirken wird, auch wenn man bei ein paar Privilegien der Sozialpartner-Funktionäre sparen kann.
    Ohne direkte oder indirekte Erhöhung des Pensionsantrittsalters kann keine Sanierung des Pensionssystems gelingen. Ebensowenig kann das Gesundheitssystem ohne Wettbewerb und ohne mehr Selbstbehalte gesunden. Freilich gibt es auch noch immer keine klar erkennbare ÖVP-Linie in diesen zentralen Fragen.
  • Spießen dürfte es sich auch bei allen anderen Fragen, wo jetzt unpopuläre Maßnahmen notwendig wären. Etwa bei der Pflege und den Folgen der Abschaffung des Pflegeregresses. Dessen Abschaffung wenige Tage vor der Wahl war eindeutig ein schwerer Fehler. Aber die ohnedies nur zarten Versuche der ÖVP, die Abschaffung wieder zumindest teilweise zurückzunehmen, sind bisher auf ein Nein der FPÖ gestoßen, die fürchtet, dass das unpopulär wäre (weil die Mehrheit vorerst nicht begreift, dass sie dann auch für jene eine jahrelange Pflege zahlen müssen, die eigentlich das Geld dazu hätten).
  • Der allerschlimmste Fehler ist aber, dass die Regierung den zwei weitaus wichtigsten und für eine Sanierung Österreichs entscheidenden Themen so wie alle Vorgänger aus dem Weg geht. Das ist das Pensionsthema, das man nicht einmal anzugreifen versucht. Und das ist die notwendige Bundesstaatsreform, die Entflechtung der Kompetenzen und Finanzierungen zwischen Bund und Ländern. Der Verzicht darauf bedeutet aber mit Sicherheit nicht nur knirschenden Sand, sondern Steine auch im künftigen Getriebe der Republik.
  • Und nichts zu sehen ist schließlich von Bemühungen, auf EU-Ebene die eigenen Absichten umzusetzen, die man nicht im österreichischen Alleingang angehen kann. Das wären etwa das Thema "australisches Modell" gegen die Völkerwanderung. Das wären Konventionsänderungen, damit die europäischen Gerichtshöfe nicht so viel Möglichkeiten mehr zur Migration nach Europa ermöglichen würden. Das ist gewiss schwierig, aber umso wichtiger. Und nur für die leichten Aufgaben sind Schwarz-Blau ja nicht gewählt worden.

Noch ist die Regierung im Honeymoon. Und der könnte angesichts der Fundamentalkrise von Rot und Grün auch weitergehen. Aber ebenso wahrscheinlich ist, dass beide Parteien auch langsam ein kritischeres Bild abgeben könnten:

In Hinblick auf die ÖVP beginnt die Sorge zu wachsen, dass der von Sebastian Kurz annoncierte Mut für "Neues" in rhetorischen Ankündigungen steckenbleibt und vergessen wird. Wirkliche Reformen drohen an den Partikularinteressen der Länder und der Kammern zu zerschellen, an der mangelnden Kompetenz der Politiker, die sich Kurz ins Team geholt hat, sowie an der traditionellen Feigheit der ÖVP-Politik. Es ist zu befürchten, dass sich immer nur dann etwas bewegen wird, wenn Kurz selber die Hand an den Hebeln hat (und auch den Mut zum Handeln, was ja nach seinem Rückzieher bei der direkten Demokratie auch nicht selbstverständlich ist). Angesichts der vielen dringenden Aufgaben bräuchte Kurz aber ein paar Dutzend Hände, die auch er nicht hat.

Bei der FPÖ ist zwar mehr Mut zu finden. Und auch die richtige Erkenntnis, welche Probleme wirklich anzugehen wären. Aber dafür scheint sie vielfach erschreckend ahnungslos, was konkret zu tun wäre. Ihr fehlen noch viel mehr als der ÖVP die Fachleute, sitzen doch in den meisten Ministerien Feinde der FPÖ mit verstecktem Messer. Bei der FPÖ herrscht vor allem ein oft erschreckend simpler Glaube, dass man mit ein paar einfachen Sagern und Sprüchen schon die richtige Antwort auf die erkannten Herausforderungen formuliert hätte. Die FPÖ hat zugleich panische Angst vor irgendwelchen unpopulären Maßnahmen, selbst wenn diese noch so notwendig wären. Viele ihrer Politiker scheinen wirklich zu glauben: Seit sie in der Regierung sitzt, ist alles automatisch gut.

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