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Die Türkei in der Doppelfalle

Die Medien berichteten mehrmals über die Absicht der Türkei, die Evolutionstheorie aus den Unterrichtsplänen zu streichen, weil sie angeblich zu kontrovers und kompliziert sei. Insgesamt gab es aber relativ wenige der Bedeutung der Meldung angemessene Kommentare, denn die Türkei tappt damit nach der Wirtschafts- in eine zweite Falle. Diese ist weit gefährlicher, denn eine geschädigte Wirtschaft lässt sich mit einer nationalen Anstrengung in überschaubaren Zeiträumen reparieren, aber verschwundene wissenschaftliche Eliten lassen ein Land tief nach unten fallen.

Das große Problem des Islams ist die umfassende Oberaufsicht der Theologen über Kunst und Wissenschaften. Es gibt in der Geschichte viele Beispiele. Galileo Galilei hatte behauptet, dass er die Bewegung der Erde um die Sonne beweisen könne. Er machte aus der kopernikanischen Hypothese eine belegbare Theorie, und das ließ sich die Kirche nicht gefallen. Galilei wurde der Prozess gemacht.

Das hatte zur Folge, dass England lange Zeit die Nase vorne hatte, denn dort gab es keine Verfolgung von Freigeistern. Newton (Physik), Hume (Philosophie), Davy (Chemie), Hutton (Geologie), Joule (Thermodynamik) und andere wären in Festlandeuropa wahrscheinlich verfolgt worden, daher entstanden die modernen Wissenschaften in Großbritannien. Zentraleuropa folgte erst mit Verzögerung.

Trotz aller Bremsversuche der Kirche hat Europa seine Renaissance aber auch der katholischen Theologie zu verdanken. Thomas von Aquin, auch als "erster Theologe der Kirche" bezeichnet, hat im Spätmittelalter behauptet, dass es zwei Wahrheiten gebe. Die jenseitige Wahrheit ist in der Bibel dokumentiert, die diesseitige bei Aristoteles. Die Oberaufsicht über diese Wahrheitswelten sollte auf ewige Zeiten der Kirche obliegen. Es kam anders, aber das konnte Thomas von Aquin damals noch nicht ahnen. Im Islam hingegen gibt es nur eine Wahrheit, und die steht im Koran und in den "Hadithen" (Überlieferungen über Mohammed und seine Umgebung).

Der gebürtige Ägypter Professor Ahmed Zewail, einer der ganz wenigen muslimischen Nobelpreisträger, kam zu Beginn des Jahrtausends aus den USA, wo er sein berufliches Leben verbracht hatte, nach Ägypten und wollte dort den Ausbau und die Entwicklung der Naturwissenschaften vorantreiben. Ägyptische Politiker ließen sich gerne mit ihm fotografieren.

Nachdem er aber die Pläne zur Gründung eines wissenschaftlichen Zentrums in Ägypten vorgestellt hatte, gingen die muslimischen Geistlichen auf Distanz, und die Politiker mussten folgen. Zewail hatte verlangt, was im Westen selbstverständlich ist: Die Professoren und Angestellten des Wissenschaftszentrums sollten frei und unabhängig arbeiten können. Das aber war und ist in den Ländern des Islams unmöglich. Die Widerstände wurden so groß, dass Professor Zewail Ägypten wieder verließ. Vor einem Jahr starb er in Pasadena, Kalifornien.

Die Türkei, unter den moslemischen Staaten seit Kemal Pascha Atatürk relativ offen, wird nun ebenfalls den arabischen Weg einschlagen. Erdogan, dem eine geistige Nähe zu den Moslembrüdern nachgesagt wird, verwandelt die Türkei in einen Staat, in dem die Theologen das ideologische und politische Kommando übernehmen werden.

Ein Erlebnis anlässlich eines Schulausflugs vor einigen Jahren zeigte mir, wie weit die Macht der Imame und Religionslehrer reichen kann. Mehmet[1], ein muslimischer Schüler, kam mit mir ins Gespräch. Er fragte mich sinngemäß, ob ich das alles glaube, was da in Biologie und Physik gelehrt wird. Er erwähnte dabei die Elektronen, die sich um einen Atomkern bewegen und die Tierarten, die aus anderen Arten hervorgehen können.

Ich erklärte ihm, dass diese Erkenntnisse mit einem religiösen Glauben nichts zu tun haben. Die Existenz von Elektronen kann man beweisen. Mit schnellen Elektronen werden sogar Röntgenstrahlen erzeugt, die für die Medizin unverzichtbar sind. Was die Entstehung von Arten betrifft, so war er bei mir schon deshalb an der richtigen Stelle, da ich früher einmal genetische Grundlagen der Entstehung von Tierarten untersucht hatte.

Mehmet meinte nach meinen Ausführungen, dass er bis zur Matura alles brav aufsagen werde, was ich auf die Tafel und den Overhead schreibe, dass er das alles aber nicht glauben werde. Nur Allah sei im Besitze allen Wissens und aller Macht. Er entfernte sich schließlich mit seinen muslimischen Klassenkameraden mit der Bemerkung: "Eigentlich darf ich mit Ihnen darüber gar nicht reden".

Die Evolutionstheorie sei umstritten, hört man nicht nur aus muslimischen Kreisen. Dazu ein paar Anmerkungen:

  • Es liegt im Wesen von Wissenschaften, dass sie umstritten sind. Ohne Freiheit zum Irrtum gibt es keine Erkenntnisgewinne. Ideologien mit vermeintlich ewigen Wahrheiten haben daher in Wissenschaften nichts zu suchen.
  • "Die Evolutionstheorie" gibt es nicht. Es gibt inzwischen – so wie in der Thermodynamik, in der Elektrodynamik, in der Quantenphysik usw. - ein großes Theoriengebäude bestehend aus tausenden Einzeltheorien. Verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Tier- und Pflanzenarten sind durch die Entwicklung der Paläontologie, der Embryologie, der vergleichenden Anatomie und vor allem durch die Genetik sehr gut belegt und stehen inzwischen außer Frage.
  • In der öffentlichen Diskussion tauchen immer wieder die gleichen Irrtümer auf. "Der Mensch kann kein Produkt des Zufalls sein" heißt es. Tatsächlich hat Darwin den Begriff "Zufall" nie verwendet. Auch in der modernen Evolutionsbiologie spielt der Zufall nur eine untergeordnete Rolle. Die entscheidenden Mechanismen sind Selektion und genetische Regelkreise.
  • In den Wissenschaften spielt Gott deshalb keine Rolle, weil eine Beschränkung auf übernatürliche Erklärungen jede Wissenschaft im Keim ersticken würde. Überspitzt ausgedrückt: Das Mobiltelefon funktioniert, weil Allah es so will.

Es hat sich bei Fundamentalisten noch nicht herumgesprochen, dass es unmöglich ist, bestimmte Bereiche in den Naturwissenschaften völlig auszuklammern, ohne in Sackgassen zu gelangen. Wer die biologische Evolutionstheorie anzweifelt, muss auch die Existenz von Geschwister- und Halbarten leugnen, die es nachweislich gibt. Wer glaubt, dass die Erde in 6 Tagen zu je 24 Stunden erschaffen wurde, bekommt unweigerlich argumentative Probleme, denn die Sonne wurde am 4. Tag erschaffen. Wie lange haben dann die ersten drei Tage gedauert? Wenn es um das Alter des Universums von 13,8 Milliarden Jahren geht, gelangen Fundamentalisten besonders heftig ins Schleudern. Wer dieses Alter anzweifelt, muss die Messwerte der Raumsonde Planck genauso anzweifeln, wie die meisten Erkenntnisse aus der Hochenergie- und Quantenphysik. Ein Volksfest für selbsternannte Verschwörungsexperten.

Die Wissenschaftsfeindlichkeit in den Ländern des Islams hat zur heutigen rückständigen Situation im "Islamgürtel" von Marokko bis Indonesien geführt. Die ehemalige Sowjetunion und das Deutschland des Nationalsozialismus haben gezeigt, wohin eine Unterdrückung der Wissenschaften führen kann. Josef Stalin hielt sich einen obskuren Biologen namens Trofim Denissowitsch Lysenko, der dafür sorgte, dass die Theorien von Gregor Mendel - ein katholischer Mönch und daher ein "Reaktionär" - im Kommunismus untersagt wurden. Anstelle der Mendelschen Erbgesetze wurde eine paragenetische Pseudowissenschaft gelehrt. Diese fügte der sowjetischen Landwirtschaft, die ohnehin schon unter Misswirtschaft litt, zusätzlichen Schaden zu. Die Vertreibung und Ermordung jüdischer Wissenschaftler und Künstler hat dazu geführt, dass Deutschland, das vor dem Krieg eine der wissenschaftlichen Führungsnationen war, zwei ganze Generationen benötigte, um wieder an die Weltspitze zu kommen.

Für die Einmischung des Staates in die freien Wissenschaften hatte der britische Nobelpreisträger Joseph John Thomson (1856–1940) nur Hohn und Spott übrig. In einer 1916 gehaltenen Ansprache erwähnte er die mangelnde Effizienz staatlicher Stellen. Thomson berichtete, dass Entdeckungen wie die Röntgenstrahlen aus diesem Grunde nur aus einer Privatinitiative kommen konnten. Beamte, die Thomsons Labor besucht hatten, in dem immerhin das Elektron entdeckt worden war, was wiederum direkt zur Entdeckung der Röntgenstrahlen in Deutschland führte, gaben ihm mehrfach den Rat, sich lieber mit nützlichen Dingen zu beschäftigen. Thomsons sarkastisch: "Hätten Regierungslaboratorien bereits in der Steinzeit gearbeitet, wir hätten wunderbare Steinbeile, niemand hätte jedoch die Metalle entdeckt."

Wir wissen zurzeit nicht genau, was aus der Türkei noch werden wird. Aber eines kann mit Sicherheit vorausgesagt werden. Ein Land, in dem fundamentalistische Theologen politische Macht ausüben dürfen, wird weit zurückgeworfen. Die hellsten Köpfe werden auf Teufel-komm-raus die Türkei in Richtung Westen verlassen. Den Schaden nach dem "Brain drain" kann die Türkei nicht wie Deutschland in 2 Generationen reparieren. Deutschland (und Österreich) haben eine jahrhundertelange Bildungs- und Kulturtradition. Die Türkei hat schöne Strände, den Islam und einen Staatschef, der ein wenig an den legendären Herrscher von Mordor aus dem "Herrn der Ringe" erinnert.

Mag. Dr. Rudolf Öller ist promovierter Genetiker (Schwerpunkt Evolutionsgenetik), er war AHS-Lehrer für naturwissenschaftliche Fächer, und Lehrbeauftragter des Roten Kreuzes.

[1] Name vom Autor geändert.

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