Die Redl Papers(III): Der Abschuss lahmer Enten

Am 7. Juli 2017 hat Verteidigungsminister Doskozil den Ausstieg aus dem Eurofighter bekanntgegeben, am 13. Juli 2017 beendete der zweite parlamentarische Untersuchungsausschuss zu diesem Thema seine Arbeit. Grund genug, gerade jetzt diesen Text (in mehreren Folgen) zu veröffentlichen. Er entstand während des ersten Eurofighter-Untersuchungs-Ausschusses 2006/07 und stammt von einem Österreicher mit Heimat- und Verantwortungs-Bewusstsein und besten Verbindungen zum militärisch-ministeriellen Komplex. Es ist natürlich immer davon auszugehen, dass sich hier der Erkenntnis-Horizont von vor zehn Jahren widerspiegelt – was aber eher ein Vorteil ist, denn dadurch ist historische Authentizität gegeben. Alles ist original, es wurde nichts aus heutiger Sicht hinzugefügt. In dieser Folge: die Sinnhaftigkeit der Luftverteidigung. Die Papers sind dem "Tagebuch" von dritter Seite zugespielt worden und werden an dieser Stelle in loser Folge veröffentlicht.

Natürlich sind die finanziellen Mittel eines nicht einmal hunderttausend Quadratkilometer umfassenden Landes beschränkt, natürlich ist der Verteidigungswille eines kleinen Landes gehemmt ("was können wir schon ausrichten?"), und natürlich können deshalb gerade in einem solchen Land Populisten herumlaufen, die zur Existenz eines Militärs nur sagen: "Zer wos brauch ma des?”

Neuerdings zunehmend kräftig unterstützt von rot-grün-liberalen – laut Selbstbezeichnung – Intellektuellen, die tatsächlich glauben, dass sich die Menschen draußen in den Betrieben, auf den nahen Straßen und in fernen Kontinenten alle so lieb haben, dass es lieber nicht mehr geht. Trotzdem hat sich immer wieder ein Heeresbudget gefunden, weil schließlich konnte man ja damit auch dem Hauptziel österreichischer Politik dienen (oder zumindest den wahren Zweck verschleiern): der Sicherung von Arbeitsplätzen.

Von der Mechanisierung zur Elektronisierung

Bis zur Mitte der 90er Jahre war die große Zielvorgabe das sogenannte "Mech-Paket" (die Militärsprache scheint einen eigenen Reiz auf ihre Sprecher auszuüben, aber sie ist im Grunde auch nichts anderes als eine der vielen Fachsprachen, die es in den verschiedensten Berufsfeldern gibt): die moderne Ausrüstung der mechanisierten Kräfte, also der beweglichen Bodentruppen. Als man das dann ausgepackt hatte – nicht zur Zufriedenheit aller, denn es standen da einige neuwertige Panzer herum, die sich als überflüssig herausgestellt hatten und jetzt nicht einmal einer karibischen Bananenrepublik verkäuflich waren – wurde das "Luft-Paket" geschnürt.

Es bestand aus folgenden guten Absichten:

  • Der Anschaffung von – letztlich dann – neun Black Hawk Mehrzweck-Hubschraubern.
  • Der Modernisierung der 23 vorhandenen Agusta Bell 212 Hubschrauber.
  • Der Beschaffung eines Transportsystems mit Hercules-Flächenflugzeugen.
  • Der Modernisierung der Düsentrainer SAAB 105 Ö durch zeitgemäße Instrumenten-Ausstattung (zur Pilotenausbildung und als Sparringpartner der Überschallflugzeuge).
  • Und eben dem Ersatz der sich schon langsam in ihre Bestandteile auflösenden Überschall-Abfangjäger vom Typ Draken.

Dieser Modernisierungsschub würde die Einführung von modernen Technik- und Logistiksystemen mit sich bringen, und das sollte sich auf die ganze Armee auswirken.

Das Stichwort hieß aber auch: Elektronische Kampfführung. Was das ist, kann sich jeder unmittelbar vorstellen: wenn man moderne Elektronik an der Supermarktkassa einsetzen kann, dann erst recht in der Kriegsführung. Das heißt weniger in der offenen Feldschlacht, da regiert noch immer die nackte Gewalt, sondern bei der Erfüllung taktischer Aufgaben in sogenanntem "Unfriendly Environment".

Elektronische Kampfführung besteht aus zwei Komponenten: den technischen Mitteln und dem Wissen von Menschen. Oder, in heutiger Terminologie: Hardware und Software. Beides zusammen muss vorhanden sein, wenn man damit Erfolg haben will. Die sensitive Hardware kann man sich nicht ausleihen oder mieten oder über Freunde billiger bekommen, die muss man einfach knallhart mittels Scheck kaufen. Man bekommt sie aber nur, wenn die Dinge auch wirklich in den Fingern derer bleiben, die den Scheck unterschrieben haben. Das nennt man Zuverlässigkeit, und die wird unter Ehrenmännern, wie es Militärs nun einmal sind oder zumindest immer sein wollten (Stichwort: "Offiziersehrenwort"), groß geschrieben.

Wenn ein Herr Pilz, seines Zeichens führender Parteipolitiker und langjähriges Mitglied des Parlaments seines Landes, seitenweise geheime Dokumente ins Internet stellt, ist die Lust zu Geschäften mit jenem Land endenwollend. Und was das Wissen betrifft, da genügt nicht eine Art Volkshochschulkurs im Ausland bei einer Armee, die diese Dinge schon einsetzt, oder bei dem großen Unternehmen, das sie herstellt. Die Spezialisten, die über dieses Wissen verfügen und damit dann auch was anfangen können, brauchen nicht nur spezielle Grundkenntnisse, sondern müssen sich über Jahre damit beschäftigen, damit sie es schließlich für die eigenen Bedürfnisse adaptieren und weiterentwickeln können. Es ist eine Form von Learning by doing.

Der Feind in der Bibliothek

Ein Beispiel dazu: Im Ausland werden sogenannte "Bedrohungsbibliotheken" angelegt. In ihnen werden die Emissionen, das heißt die elektronischen Abstrahlungen von Flugzeugen, Militärfahrzeugen und Gerät überhaupt – auch zivilem, denn von jedem Schweißgerät kommt beispielsweise ein Signal – erfasst: nämlich durch Analyse der Art der Abstrahlung, der Richtung, aus der sie kommt, und der Entfernung ihrer Quelle. Dabei werden alle Arten von Quellen "abgescannt": Radiowellen ebenso wie infrarote und ultraviolette Strahlung. Die festgestellten Daten kommen als elektronische Signaturen in Speicher, die sämtliche dieser "footprints" enthalten und einem im Notfall in Sekundenbruchteilen sagen können, ob es sich um freundliche oder feindliche Systeme handelt und um welche. In jedem Fall hochsensible Daten, die sich die einzelnen Armeen über Jahre erarbeitet haben, und die um keinen Preis der Welt eingekauft werden können.

Nun sagen die Gegner entweder moderner Technik und/oder moderner Landesverteidigung, dass wir nie ins Ausland gehen und damit die Welt der unbekannten Flugobjekte betreten werden. Bei reinen Inlandseinsätzen sei diese Art der Freund-Feind-Kennung nicht so wichtig, weil man ja bei jedem Alarmstart davon ausgehen muss, dass die Luftraumverletzung durch einen unautorisierten Eindringling erfolgt. Ja schon, nur muss man ja das Objekt da oben auch identifizieren, deswegen fliegt man schließlich hinauf. Und wenn man da auf eine Bibliothek zugreifen kann, geht das viel schneller und verlässlicher als durch die rein optische Wahrnehmung des Piloten und das in seinem Hirn gespeicherte kursorische Wissen über Luftfahrzeuge aller Art.

Das Szenario ist schlagend: ein Terrorflugzeug dringt in unseren Luftraum ein, es sendet, wie jedes andere auch, Abstrahlungen aus – aber der Abfangjäger, der keinen Zugang zum Emissionserkennungs-System hat, ist elektronisch blind, er weiß nicht, mit wem er es zu tun hat. Ein Problem, das aber nicht nur mit den Abfangjägern, sondern generell mit militärischen Einsätzen zu tun hat. Es geht da um die modernste Form des Auseinanderhaltens von Freund und Feind und allen Zwischenstufen, wo auch immer, in der Luft oder auf dem Boden. Denn das ist seit dem Ende des Stellungskrieges und der bunten Uniformen zu einem der Hauptprobleme in allen Formen der Auseinandersetzung geworden.

Und so fliegen in Ländern, die etwas auf sich halten, Luftfahrzeuge das Gelände ab und saugen dabei praktisch Daten in sich hinein – wie Staubsauger –, damit im Ernstfall ihre Soldaten den entscheidenden Schritt voraus sind. Denn wie im zivilen Leben bleibt heutzutage auch in der militärischen Auseinandersetzung derjenige Sieger, der über den entscheidenden Informationsvorsprung verfügt.

Um Herrn Pilz vielleicht doch noch zu einem Freund der Sache zu machen: auf diese Weise könnte man natürlich auch ein CIA-Flugzeug identifizieren und von jedem anderen Überflieger unterscheiden. Und um der Wahrheit die Ehre zu geben: Auf Anlegung und/oder Ankauf der Grundlagen zur Schaffung solcher Bibliotheken wurde bereits lange, bevor Darabos Minister wurde, in vorauseilender Bescheidenheit verzichtet. Von Militärs, die der Meinung waren, "wenn wir bei einem Auslandseinsatz dabei sind, bekommen wir's eh". Traummännlein. Gar nix kriegen wir. Schmarotzertum, garniert mit österreichischem Charme ("No a Glasl, dann san's wach.") ist schon lange nicht mehr comme il faut.

Kontrolle, Schutz und das dazwischen

Woher weiß man eigentlich, wie viele "Luftfahrzeuge" eine Luftwaffe braucht? Das hängt natürlich von der Größe des Landes ab, in geringerem Maße auch von dessen Beschaffenheit. Vor allem aber ist zunächst einmal die Aufgabenstellung wichtig. Kontrolle oder Schutz?

Die Sicherheit des zivilen Flugverkehrs würde eigentlich, wenn man die Sache theoretisch betrachtet, im polizeilichen Bereich liegen (man spricht deshalb auch von "Luftpolizei"), der Schutz im militärischen. Beides wird in allen Ländern von der Armee bewältigt, denn keine Polizei auf der Welt ist mit Überschalljets ausgerüstet. Und die Polizeifunktion geht spätestens dann in die Schutzfunktion über, wenn das "polizeilich" aufgespürte Flugzeug als feindliches mit bösen Absichten erkannt, "militärisch" behandelt und letztlich sogar abgeschossen wird. Die gesetzliche Grundlage dazu bildet der Paragraph 26 des Militärbefugnis-Gesetzes. Grundsätzlich hat die Luftwaffe eines Landes dessen Souveränität zu wahren – und das heißt nichts anderes als die Ordnung im Luftraum, nämlich des zivilen UND des militärischen Flugverkehrs.

Dazu kommt noch die verteidigungspolitische Situation des Landes. Als Mitglied eines Militärbündnisses (sprich in unseren Breitengraden: der NATO) kann ein Land anders kalkulieren, als wenn es allein dasteht. So spezialisieren sich die Luftwaffen kleinerer NATO-Mitgliedsstaaten gegenwärtig auf bestimmte Beiträge für das Bündnis, aber kein Mitglied verzichtet auf die eigene Luftkomponente (die keine Überschalljäger beinhalten muss). Ein Vorbild ist da etwa das winzige Luxemburg, das neben dem Fernmelderegiment, das es für die gemeinsame Verteidigungsorganisation stellt (und der Beteiligung an einem Kriegsschiff) die gesamte AWACS-Flotte der NATO, also die Radar-Aufklärung und -Führung aus der Luft, unter seinem Kennzeichen angemeldet hat.

Österreich und die Schweiz sind zwei – zufällig benachbarte – Staaten, die völlig allein dastehen. Völlig nackt, militärisch theoretisch neutral (was immer das auch heißen mag), faktisch bündnisfrei. Sie haben also selber für die Erfüllung der beiden Aufgaben Kontrolle und Schutz zu sorgen. Die Schweiz kann das. Österreich nicht.

Zum richtigen Schutz unseres österreichischen Luftraums wäre eine Flotte von 72 Überschallflugzeugen notwendig. Wie kommt man gerade auf diese Zahl? Aus der Überlegung heraus, wie viele Flugzeuge ein virtueller Angreifer in einer allgemeinen Kriegssituation – in die nicht nur Österreich involviert wäre – überhaupt in der Lage sein würde, maximal auf dieses Land "anzusetzen". Unsere 72 Maschinen würden dann von einem Frontalangriff abschrecken, weil dem Gegner seine 72 Flugzeuge anderswo fehlten und er bei einer angenommenen 50:50 Abschussrate der beiden Parteien (aber das hängt dann vom militärischen Geschick ab) 36 Flugzeuge verlieren würde – eine nicht unbeträchtliche Zahl, wenn man weiß, dass nicht einmal die stärksten Luftwaffen der Welt (ausgenommen die USA sowie China und Indien) über mehr als 300 Kampfjets verfügen. Das heißt, mindestens ein Viertel der gegnerischen Luftmacht, wahrscheinlich aber bedeutend mehr, wäre zerstört. Die gesamte österreichische allerdings auch. Aber dass "der Feind" dann aus purer Rache den Rest schicken würde, ist nicht anzunehmen. Militärs kalkulieren meist mit sehr kühlem Kopf.

Nun, diese Stückzahl kann man sich hierzulande aus dem Kopf schlagen, ein derartiges Kriegs-Szenario will man hierzulande nicht einmal andenken, man wird lieber gleich von vornherein "der Gewalt weichen", auf den Heldenplatz gehen und dem Eroberer zujubeln. Da gibt's ja Vorbilder. Bleibt also nur die Kontroll-Aufgabe, mit – auf Einzelaktionen begrenzter – Schutzoption als letzter Konsequenz.

Das Gesetz der kleinen Zahl: ist die Hälfte gleich dem Doppelten?

Also Kontrolle. Um diese Aufgabe in qualifizierter Weise erfüllen zu können, wurde von der Arbeitsgruppe, die das "militärische Pflichtenheft" für die Kontrollorgane, sprich: Abfangjäger, erarbeitete, eine Mindestanzahl von 24 Maschinen zur Luftraumüberwachung beziehungsweise 30 Maschinen zur Luftraumsicherung angesetzt. Und das nicht von ungefähr, sondern aufgrund miteinander korrelierender Größen, die zusammenhängen wie kommunizierende Gefäße: Beanspruchung – Lebensdauer – Piloten.

Damit lassen sich schöne mathematische Spielchen spielen. Es handelt sich um eine Gleichung mit der Stückzahl auf der einen Seite und drei Unbekannten x, y, z auf der anderen, wobei man für zwei davon jeweils einen konkreten Wert einsetzt. Zum Beispiel: Ist die Beanspruchung größer, braucht es entweder mehr Flugzeuge, oder man senkt deren Lebensdauer. Je weniger Flugzeuge man haben will und je höher deren Lebensdauer sein soll, desto weniger darf man sie beanspruchen. Und so weiter und so fort.

Behalten wir dieses abstrakte zugrunde liegende Prinzip im Hinterkopf und betrachten das Stückzahlproblem jetzt ganz konkret. Österreich hat ja eine interessante, eigenwillige Topografie. Auch wenn man's im Osten leicht vergessen könnte: das Land hat die Form eines Koteletts, dessen Knochen der Alpenhauptkamm bildet, der dann ziemlich fleischlos nach Westen ragt. Und dabei ist der Luftraum über diesem Kotelett gar nicht so klein, wie man es sich etwa vorstellen könnte. Bei einer Reisegeschwindigkeit von 0,9 Mach, das ist knapp an der Schallgrenze, dauert der Flug vom Grenzbalken bei Petrzalka zur Bregenzer Seebühne immerhin fast eine Stunde, der von der tschechischen zur slowenischen Grenze etwas weniger als eine halbe. Dazu kommen kurze Vorwarnzeiten, bei aller hervorragenden Vorfeld-Beobachtung durch die Goldhaube, und das topographische Tirol/Vorarlberg-Problem: die Breitenausdehnung des Bundeslandes Tirol beträgt gerade einmal sechzig Kilometer, das heißt, man ist in etwa sechs Minuten drüber, was eine besondere Bereitschaft erfordert. Und schließlich herrschen in Austria cisalpina und Austria transalpina oft unterschiedliche oder sogar gegensätzliche Wetterverhältnisse, deren besseren Teil man beim Starten und Fliegen für sich ausnützen kann.

Aus allen diesen Gründen ist es militärisch sinnvoll, den Luftraum über Österreich in zwei Teile zu teilen: in einen nördlichen und einen südlichen Sektor, mit den Flugplätzen Zeltweg und Graz-Thalerhof in der Steiermark und Hörsching in Oberösterreich. Tirol und Vorarlberg werden fallweise zum einen oder zum anderen geschlagen.

Das ergibt eine Zahl von 12 Maschinen für jeden Sektor. Oder besser gesagt ergäbe. Warum?

Der Service-Faktor

Hier spielt das Diktat der Hochleistungstechnik herein. Es ist halt nicht so wie bei einem Privatauto, das man alle 10.000 Kilometer zum kleinen und alle 20.000 zum großen Service gibt – für ein paar Stunden. Die hochempfindlichen technischen Geräte auch und gerade der Marke Eurofighter müssen regelmäßig gewartet werden – planmäßig und außerplanmäßig, also wenn eine akute Beeinträchtigung auftritt, was ja auch vorkommen kann. Es gilt das Prinzip der "Lebenszeitverfolgung". Über jeden Teil der Maschine, das sind insgesamt rund 6.000, und dazu kommen noch 60 Kilometer Leitungen, wird Buch geführt, bis hinunter zur einfachen Schraube.

Bei der Wartung verfährt man dann nach dem modernen "On condition-System". Nicht die ganze Maschine wird "behandelt", sondern nur jene Teile, die an der Reihe sind. Ein hochentwickeltes Service, bei dem ganz bestimmte Tätigkeiten ausgeführt werden, deren Handgriffe im Schlaf sitzen. Die Ausbildung der Techniker dauert Jahre und ist im Prinzip nie abgeschlossen, weil ständig neue Situationen auftreten, und die Elektronik der Flugzeuge auch (hoffentlich!) permanent nachgerüstet wird.

Schließlich beruht das ganze Wartungssystem auf zwei äußeren Vorgaben: Erstens der Jahresarbeitszeit der Techniker, die im Normalfall wie jeder andere Arbeitnehmer auch eine 40-Stunden-Woche haben sollen, und zweitens der als Ziel vorgegebenen Gesamtlebensdauer der Flugzeuge – das ist ein "Muss-Kriterium" von dreißig und ein "Soll-Kriterium" von vierzig Jahren, bei normalem Dienstbetrieb, gerechnet auf die Anzahl der Flugstunden und der Landungen. Bei starker Beanspruchung durch Dauereinsätze verkürzt sich natürlich diese Lebensdauer – auch das ist wie bei einem Auto.

Diese Service-Intensität bedeutet letzthin, dass der "Klarstand", also die Zahl der einsatzfähigen Maschinen, international im Normalbetrieb immer nur zwei Drittel beträgt, während sich laufend rund ein Drittel der Maschinen im Hangar befindet. Bleiben also 8 Maschinen von 12 auf jedem der beiden Fliegerhorste. Davon ziehen wir 5 Flugzeuge für die unbedingt notwendigen Trainingsflüge für die Einsatzfähigkeit der Piloten ab, sodass wir auf genau jene 3 Abfangjäger kommen, die jene Alarmrotte bilden, die eigentlich Dienst tut. Zwei davon steigen tatsächlich auf, einer ist Reserve.

Rotte und Staffel

Womit wir beim Nukleus des gesamten Luftkampfes wären: der Rotte. Sie ist die kleinste taktische Einheit und besteht immer aus 2 Flugzeugen, die zusammen aufsteigen. Eines bildet die Reserve, falls es technische Schwierigkeiten vor oder beim Start oder während des Anflugs gibt. Dass ein Flieger allein startet, kommt in der Theorie nicht vor und in der Praxis kaum. Der Grund für dieses obligate paarweise Auftreten ist einerseits die militärische Aufgabenteilung: einer agiert, der andere sichert. Und andererseits, es mag im High Tech-Zeitalter seltsam klingen, die conditio humana: das eingeschränkte Gesichtsfeld eines Piloten.

Ganze Staffeln schickt man dann in die Luft, wenn mehrere Flugzeuge "entgegenkommen", das kann dann schon zu einem ausgewachsenen Luftkampf führen. Damit man sich dabei nicht gegenseitig im Weg herumsteht beziehungsweise -fliegt, damit jeder im Schlaf weiß, was er zu tun hat, ist die Einübung aller Einsatz- und Kampf-Verfahren, vergleichbar einem Luftexerzieren, ein wichtiger Punkt bei der Pilotenausbildung.

Die vergebene Chance

Diese Rechnung gilt für den normalen Betrieb. Für den Fall der "Luftraumsicherungs-Operation", die bei einer höheren Bedrohungsstufe anlaufen würde, wären allerdings die sechs zusätzlichen Flieger notwendig. Denn während einer solchen Operation bräuchte man zu permanenten Patrouillenflügen einfach mehr Maschinen in der Luft. Das bedeutete eine höhere Wartungsdichte, was dann eben wiederum im Ganzen mehr Maschinen erforderlich machte, um die entsprechende Anzahl von Jets auf die tägliche flightline zu bringen. Deshalb wäre der eigentliche break even through die Zahl dreißig gewesen. Und noch aus einem anderen Grund. Bei normaler Lage daheim hätten diese sechs Maschinen – man spricht von einer "Halbstaffel" – zu EU-Auslandseinsätzen geschickt werden können.

So stellen zum Beispiel die kleinen Länder Dänemark, Niederlande und Norwegen für die Luftraumüberwachung über Afghanistan zwei, vier oder sechs Maschinen, je nachdem. Auch für die internationale Rolle Österreichs wäre der Auslandseinsatz einer Lufttruppe ein kaum zu überschätzender Vorteil. Man ist an der Spitze einer Friedensstreitmacht, und es ist ein riesiger Unterschied, ob man über Nacht eine Staffel Flugzeuge schicken kann oder drei Monate nach Ausbruch der Krise ein paar Mandln auf dem Boden. So etwas nennt man Flagge zeigen. Was in einem Land wie Österreich anscheinend nicht gewünscht ist – nein, nicht einmal das, es interessiert keinen. Das Flagge Zeigen beschränkt sich hier auf peinliche Auftritte wie jene des Bundeskanzlers in Guatemala: "My name is Gusenbauer. Olfred Gusenboer", samt sich untereinander an den Händen haltender und in Tränen ausbrechender Entourage. Oder das Erscheinen des Verteidigungsministers im russischen Regierungsfernsehen, wo sein Sager gegen den geplanten Raketenschild in Europa – eine sinnlose Provokation der USA – genüsslich zelebriert wird.

Diese zusätzliche Halbstaffel war eine Option, die die damalige Regierung ohnehin nur in den Mund zu nehmen wagte und mehr nicht. Bei dreißig "Kampfjets" hätte die Erde unter dem Parlament gebebt, und Pilz wäre zum Amokläufer geworden. Aber auch die glasklare 24er-Lösung ging den Bach hinunter, konkret jene Bäche, die das Hochwasser 2002 verursachte. Die VP-FP-Regierung fühlte sich bemüßigt, ihre Solidarität mit dessen Opfern durch Verringerung des Bestellumfangs um sechs Stück kundzutun. Und weil's in einem Aufwaschen ging, wurden gleich auch noch die Zusatztanks für die verbleibenden Flugzeuge gestrichen. Bei Langzeiteinsätzen muss der Eurofighter jetzt eine Stunde früher, als es prinzipiell möglich wäre, zum Auftanken landen. Und das betrifft nicht nur fulltime-Einsätze bei der Überwachung von Großveranstaltungen wie etwa einer Fußball- Europameisterschaft.

Auch der militärische Intensiveinsatz im Rahmen einer "Combat Air Patrol" (CAP) ist auf diese Weise schwieriger geworden. Bei der CAP wird in einem weiträumigen Rechtecksmuster auf einer vorgegebenen Route Patrouille geflogen, um einen bestimmten Bereich gegen feindliche Luftstreitkräfte oder Terroristen möglichst wirkungsvoll sichern zu können. Der Vorteil der CAP ist die Möglichkeit, den Gegner schon weit vor dessen eigentlichem Ziel auszumachen und abzufangen. Aber wie kann einer auf seinem Posten bleiben, wenn er dauernd zwischendurch aufs Klo muss?

Selbst wenn die Politik prinzipiell in größeren Zusammenhängen denken sollte, sie opfert sie mit einer Selbstverständlichkeit auf dem Altar des Populismus, dass man darüber nur staunen kann. So war das mit der Demokratie doch nicht gedacht, oder?

"Yes, Minister!"

Noch einmal: mit 24 Maschinen und 36 Piloten hätte man einen Nord-Standort und einen Süd-Standort mit 24-Stunden- und 365-Tage-Überwachung ermöglicht.

Nun hatte man nur noch 18 Maschinen, und willige Militärs beeilten sich, das zu rechtfertigen. Man solle eben einen Standort (Hörsching) schließen beziehungsweise ihn nur mehr als FOB (Forward Operating Base) erhalten und das Ganze in Zeltweg konzentrieren. Was ohnehin kostengünstiger wäre, wozu braucht so ein kleines Land auch zwei Luftwaffenstützpunkte. Das "Modell 18" hätte dann so ausgesehen: 18 Maschinen, 6 davon im Service, bleiben 12, 3 davon als – jetzt einzige – Alarmrotte, bleiben 9 zum Training für nunmehr nur noch 23 Piloten, und da alles nur mehr von acht bis zwanzig Uhr, im Winter noch kürzer.

Aber, wie wir gesehen haben: der Schrumpfungsprozess ging ja noch weiter.

Wenn's 18 sein konnten, wieso können's dann nicht auch 15 sein?

Ganz einfach deshalb nicht, weil's jetzt kritisch wird. Und gefährlich.

Bei 15 sind 5 bei der Wartung und 10 verfügbar. 3 bilden die Alarmrotte, bleiben ganze 7 für die Ausbildung, und das ist zu wenig. Denn das bedeutet, dass ein Pilot jetzt weniger als hundert Flugstunden pro Jahr bekommt, was ihn eindeutig zu einem unterlegenen Gegner macht. Da kann man nämlich gerade einmal das Fliegen lernen, nicht aber das Kämpfen.

Die Luftwaffen der ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten haben da Erfahrung darin. Nach der Wende, als in diesen im Grunde "jungen Staaten" (weil sie noch einmal von ganz vorne anfangen mussten) überall kein Geld da war, wurden die Flugstunden der Luftstreitkräfte drastisch zusammengestrichen, was eine Reihe von schweren Unfällen zur Folge hatte. Am spektakulärsten die beiden MIGs, die mitten über der Stadt Budweis zusammenkrachten und abstürzten.

Das große Problem bei der brutalen Reduzierung von allem ist die Qualität. Nicht nur des Produktes, das da hergestellt wird, nämlich Sicherheit, sondern im selben Maße des Personals, das dieses Produkt liefert. Die NATO-Regel ("NATO-Standard" in der Fachsprache) ist, dass ein Pilot 180 Flugstunden im Jahr absolviert. Davon entfallen 20 bis 25 Minuten auf den Anflug zum Luftübungsraum, 20 bis 30 auf das Üben und wiederum 20 bis 25 auf den Rückflug. Die durchschnittliche Übungs-Missionsdauer beträgt also 1,1 bis 1,2 Stunden. 150 Missionen bringen also 180 Flugstunden.

In Österreich kommen wir zwar auch auf die Übungszahl von 150, doch nur auf 120 Flugstunden – was vertretbar ist, weil unsere Übungsräume so nahe liegen. (Den Rest seiner Jahresarbeitszeit von an die 1600 Stunden verbringt ein Pilot mit Simulatorübungen, theoretischen Schulungen, allgemeiner militärischer Ausbildung und weiterführenden Kursen.) Oder besser: kamen wir auf 120 Flugstunden.

Denn man begnügt sich nicht damit, den Flugzeugen etwas herunterzureißen, jetzt kommen auch die Piloten dran. Die Gesamtflugstunden sollen auf 1800 pro Jahr beschränkt werden, weil die Kosten mit 50 Millionen gedeckelt werden. Das bedeutet, dass für jeden der 23 Piloten, die wir zum Eurofighter-Betrieb unbedingt brauchen, gerade einmal 80 Stunden bleiben (zuzüglich einigen Simulatorübungen, die aber nie den tatsächlichen Einsatz simulieren können, es ist im Grunde wie bei Videospielen – auch wenn man die Übung mit allem Ernst betreibt, ist man nicht gefährdet). Und das am Beginn der Einschulung auf das neue Gerät, wo besonders viel Arbeit notwendig ist. Wie viele Flugstunden nach der Reduktion auf 15 Eurofighter und weiteren angekündigten Einsparungen da für jeden Piloten übrig bleiben, kann derzeit nur zu Befürchtungen Anlass geben.

Wir laufen damit Gefahr, dass unsere Piloten mit dem derzeit besten und teuersten verfügbaren Material wie lahme Enten abgeschossen werden, oder besser gesagt, sich selber abschießen, weil sie ungeübt sind. Nur aus dem einzigen Grund, weil eine Partei ein völlig willkürliches Wahlversprechen einhalten musste. Und Offiziere, die das alles wissen, aber nur auf ihre eigene Karriere beziehungsweise eine möglichst hohe Pension bedacht sind, vor ihrem Minister den Mund nicht aufkriegen.

Irgendwann geht sich alles nicht mehr aus

Nach erfolgreich abgeschlossener Krankschrumpfung dämmerte es auch der letzten Dorfzeitung im Bregenzer Wald plötzlich, dass nur mehr ein Betrieb von acht Uhr früh bis zwanzig Uhr, im Winter bis zum Einbruch der Dunkelheit, stattfinden würde. Im Fliegerjargon: von der "bürgerlichen Morgendämmerung" bis zur "bürgerlichen Abenddämmerung".

In Zeiten normalen Lebens mag sich das ja gerade noch ausgehen. Einmal grob ausgedrückt: der Feind schläft zwar nicht, aber er schläft auch lieber nachts als am Tag. Nächtliche Luftraumverletzungen geschehen selten. Die NATO-Länder haben natürlich auch nachts immer fünf Rotten in Bereitschaft – "quick reaction alert" – aus sich abwechselnden Mitgliedsstaaten, die in Friedenszeiten innerhalb kürzester Zeit einsatzbereit sind.

Dafür waren wir seinerrzeit mit den geleasten F-5 365 Tage im Jahr von morgens bis abends in Bereitschaft, während etwa die Schweiz an den Wochenenden zusperrt: sie führt Samstag/Sonntag/Feiertag keinen Abfangbetrieb durch. Die Maschinen stehen im Hangar, die Piloten gehen ihren Wochenendvergnügungen nach. Auch etwas seltsam – gerade für die sonst so wehrhafte Schweiz. Bei bestimmten Anlässen wie dem World Economic Forum aber sind die Eidgenossen voll da: da sind ihre Flieger 24 Stunden in der Luft, mit Kurz- und Mittelstrecken-Raketen bewaffnet.

Und in wichtigen Szenarien wie bei der Fußball-EM, bei politischen Gipfeltreffen oder gar in Krisensituationen ist natürlich ebenfalls die 24-Stunden-Bereitschaft gegeben. Aber wenn so eine Krise länger dauert, wird einem halt die Luft ausgehen – nicht irgendwann, sondern bald. Und dann werden alle sagen, hätten wir doch damals mehr Flugzeuge gekauft. Aber dann ist es zu spät.

Die ersten Beiträge sind am 17. Juli und am 27. Juli erschinenen. Fortsetzung folgt.

 

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