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Sind Institutionen wirklich nur "Gesellschaftsneurosen"?

Die europäische Identität beruht auf drei Wurzeln: der griechisch-römische Antike, dem biblischen (jüdisch-christlichen) Erbe und teilweise auf der sogenannten Aufklärung. In einem langen geschichtlichen Prozess wurde diese Identität zunehmend untergraben. Doch die Aufklärung hat ein Doppelgesicht: Sie forderte eine Befreiung des Menschen aus „selbstverschuldeter Unmündigkeit“ (Kant) und damit eine Befreiung von staatlicher und kirchlicher Bevormundung, fand aber nicht immer ein verantwortbares Maß für Mündigkeit. Bei der zunehmenden Globalisierung wäre nur eine allgemein, also von unterschiedlichsten Weltanschauungen anerkannte Wertordnung friedenssichernd – stattdessen ideologisiert man die Vertreter einer anderen Weltanschauung.

„Ideologie“ ist zu einem Modeschimpfwort zwischen einander widersprechenden Welt­anschauungen geworden. Will man die Entscheidung für beziehungsweise gegen eine Weltanschauung nicht ganz der Subjektivität anheimstellen, muss man für eine solche Entscheidung Gründe suchen. Dazu muss zunächst der Begriff „Ideologie“ selbst präzisiert werden.

Der Mensch als instinktreduziertes Wesen muss seine Erkenntnisstruktur erst aufbauen. Um dies möglichst rationell erreichen zu können, hat er einen natürlichen Hang, bewähr­te Erkenntnisse auf andere Bereiche auszudehnen. Wo dies begründet geschieht, spricht man von „Transfer“. Geschieht diese Erkenntnisübertragung aber zu Unrecht, spricht man von „Vorurteil“.

Vorurteile sind daher oft gar nicht leicht durchschaubar, weil das ihnen zugrundliegende Urteil richtig war und nur seine Verallgemeinerung unbegrün­det ist. Eine solch unbegründete Verallgemeinerung kann aber auch auf wissenschaftlichem Gebiet geschehen – und eine solche wollen wir als Ideologie bezeichnen. Eine Ideologie liegt also in unserem Verständnis dann vor, wenn ein Denkmodell, das eine Teilwirklichkeit richtig erklärt, für eine Erklärung der Gesamtwirklichkeit ausgegeben wird. Auf der Tatsache, dass die Ideologien eine Teilwirklichkeit richtig erklären, beruht ihre Gefährlichkeit – nämlich dann unhinterfragt für eine Erklärung der Gesamtwirklichkeit gehalten zu werden.

Ideologien sind also verkürzte und daher verzerrte Wirklichkeitsauffassungen. Die falsche Verallgemeinerung einer Weltanschauung beziehungsweise die Widersprüchlichkeit ihres Grundansatzes nachzuweisen, ist Aufgabe der Ideologiekritik, einer Teildisziplin der Philosophie. Da diese ihr Urteil in ob­jektiver, also intersubjektiv überprüfbarer, Weise begründen muss, muss sie sich selbst auf wissenschaftlicher Ebene bewegen.

Zwar ist auch das Alltagswissen „Gewissheit von Etwas als wahr“ – sonst wäre es gar kein Wissen –, doch weist es diese Beziehung Bewusstsein-Wahrheit nicht als wahr aus, sondern begnügt sich mit einer für die Praxis und die Kommunikation ausreichenden Evidenz. Das wissenschaftliche Wissen hingegen sucht seinen Wahrheitsbezug als objektiv gültig auszuweisen, das heißt sein Wahrheitsbezug soll für jeden, der es will (und kann), nachprüfbar sein.

Innerhalb der Wissenschaften be­steht der Unterschied von Einzelwissenschaften, die einen Teilbereich der Gesamtwirklichkeit zum Gegenstand wählen, weshalb es viele Einzelwissenschaften gibt, und der Philosophie, die Gesamtwirklichkeit erfassen und deuten will; da Gesamtwirklichkeit niemals inhaltlich gegeben ist, und zwar weder räumlich noch zeit­lich, bleibt Philosophie formal – genauer: thematisiert die Art und Weise, wie wir von Wirklichkeit wissen.

Obwohl wir nur von „einer“ Aufklärung sprechen – einer geistesgeschichtlichen Strömung der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts –, haben wir streng genommen drei Wellen der Aufklärung hinter uns – sehr vereinfacht: Die Aufklärung im engeren Sinn wandte sich gegen Hörigkeit gegenüber staatlicher und kirchlicher Obrigkeit, der klassische Marxismus wandte sich gegen die Ausbeutung der Arbeiter und die 68er Jahre gegen negative Folgen des „Wirtschaftswunders“ der Nachkriegszeit. Allen drei Richtungen ist gemeinsam, dass ihr Grundanliegen berechtigt war, doch haben sie, als ihre Anliegen weder staatlich noch kirchlich zureichend ernst genommen wurden, extrem überzogen und zum Unrecht gemacht („Das Kind mit dem Bad ausschütten“).

Am wenigsten bewältigt sind dabei die 68er Jahre (In amüsanter Weise dargestellt von K.R. Röhl, Linke Lebenslügen, Frankfurt 1995, 5.Aufl., der als Ex-Ehemann von Ulrike Meinhof viel Interessantes aus eigener tragik-komischer Lebenserfahrung zu berichten weiß).

Da der Mensch auch (aber nicht nur) materielle Bedürfnisse hat, ist Wirtschaft, die deren Erfüllung dient, unabdingbar notwendig. Eine unbegründet Verallgemeinerung liegt aber vor, wenn MARX das materiell-ökonomische Absolute des Produktionsprozesses als die alles begründende Wirklichkeit postuliert: „Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.“ (Kritik der politischen Ökonomie, Vorwort. Zit. n. MEW 13, S. 10). 

Die beiden Hauptprobleme des Marxismus, nämlich die Reduzierung des Menschen auf nur wirtschaftliche Bedürfnisse, kombiniert mit einer schlechteren Möglichkeit, sie zu befriedigen, führten zu Reformen, am bedeutendsten die der Frankfurter Schule (Adorno, Habermas, Horkheimer, Marcuse). Zunächst auf schmale intellektuelle Kreise beschränkt, erhielten sie in den letzten 50 Jahren eine große Breitenwirkung, und zwar durch die Verbindung der Werte- und Institutionenkritik der 68er Generation mit unserem Wirtschaftssystem, also durch die Verbindung von neomarxistischem Materialismus mit Konsummaterialismus.

Der Mensch als biologisches Mängelwesen muss diese biologischen Mängel auf anderer Ebene wettmachen, da er sonst nicht überlebensfähig wäre. Zu diesen Mängeln zählt, dass er – im Gegensatz zu Tieren (wie etwa Bienen und Ameisen) – sozialbedürftig, aber nicht automatisch sozialfähig ist. Um Sozialbezüge auf Dauer zu stellen, das heißt: um Gesellschaft zu schaffen und zu erhalten, sind zumindest vier Grundfunktionen zu erfüllen – und damit sie erfüllt werden, brauchen wir Institutionen, d.h. Einrichtungen, die die Erfüllung der notwendigen Grundfunktionen garantieren:

Grundfunktion:

Entsprechende Institution:

Die Selbstreproduktion durch Zeugung und Erziehung neuer Gesellschaftsglieder.

Ehe und Familie

Die Selbsterhaltung durch Arbeit.

Bildungs- und Arbeitsinstitutionen

Der Selbstschutz durch Rechtsnormen

der Rechtsstaat

Die Selbstdeutung durch Werte, die zumindest die drei vorhergehenden Funktionen einschließen.

weltanschauliche Organisationen, sofern sie die genannten Grundwerte bejahen und fördern, etwa die Kirchen

Institutionen sind also der künstliche Ersatz für die fehlende Instinktsteuerung des Menschen und insofern notwendig. Sekundär aber können sie, weil sie langlebiger und weniger flexibel sind als das Individuum, die Funktionen überleben, zu deren Stabilisierung sie beitragen sollten, und so zu einem gesellschaftlichen Korsett erstarren.

Diese Ambivalenz von Institutionen führte zu unterschiedlichen Formen von Institutionenkritik. Während Gehlen in einer system-immanenten Institutionenkritik gesellschaftserhaltende Institutionen für grundsätzlich zu akzeptieren, aber für immer verbesserungsbedürftig hielt, ging die 68er Generation besonders im Anschluss an Habermas (gerade in seinem Hauptwerk: Erkenntnis und Interesse, Frankfurt 1968) den extremeren Weg der system-transzendenten Institutionenkritik. Der gesellschaftlich geforderte Triebverzicht, der den einzelnen in die Neurose treibt, treibt die Gesellschaft zur Schaffung von Institutionen – Institutionen sind also Gesellschaftsneurosen; dabei entspricht dem Wiederholungszwang der Neurose die Verhaltensstabilisierung durch Institutionen – die Emanzipation von der Entfremdung erfordert daher eine Zerstörung aller gesellschaftlich anerkannten Institutionen (Erkenntnis und Interesse, 335-337).

Vielleicht wurzelt die Idee, dass die Zerstörung aller gesellschaftlich anerkannten Institutionen Voraussetzung für die Entstehung der neuen sozialistischen Gesellschaft sei, sogar tiefer – in Marx‘ Satanismus, von dem er sich zeitlebens nicht distanzierte.

Diese Institutionenkritik ist innerhalb der letzten 50 Jahre für unsere Ohren sehr plausibel geworden, weil sie – in einfacherer Sprache als bei Habermas und vor allem ohne linke Etikettierung – mittlerweile über all unsere Medien transportiert wird. Kein Wunder, sind doch die wilden Studenten der 68erjahre mittlerweile in gehobenen Positionen etabliert, besonders in solchen der Medienszene, aber auch in Politik und Wirtschaft. Hier liegt wohl die größte Gefahr der 68er Jahre: Es fand keine Revolution mit rascher Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse statt – denn eine solche hätte man erkennen, prüfen und abwehren können –, sondern eine schleichende Reformation, durch die vieles ungeprüft zur Gewohnheit wurde. Oder, plakativer formuliert: die erfolglose Revolution wurde zur schleichenden, aber erfolgreichen Reformation.

Die zunehmende Zerstörung von gesellschaftsnotwendigen Institutionen hinterlässt Lücken, die von Habermas´ vagen Gesellschaftsträumen nicht gefüllt werden konnten. Für diese „Marktlücke“ des Materialismus marxistischer Prägung bot sich eine handfestere Füllung, die für den Konsummaterialismus westlicher Prägung typische Allianz von Naturwissenschaften („Wertfreiheit“), Technik („Machbarkeit“) und Wirtschaft („Wachstums- und daher Konsumorientierung“). Der biologische Triebüberschuss des Menschen wird von ihm als unendliche Sehnsucht erlebt – doch wird sie von immer weniger Menschen religiös, d.h. als Sehnsucht nach dem Unendlichen, gedeutet. Denn die Werbung liefert ein wirtschaftsförderndes, materialistisches Versprechen frei Haus - die unendliche Sehnsucht durch unendlich viele materielle Güter zu befriedigen - und kurbelt die Wirtschaft gerade durch die Nichteinlösbarkeit dieses Versprechens an.

Verstärkt wird diese Fehldeutung der unendlichen Sehnsucht des Menschen und ihre Abspannung auf endliche Ebene durch die popularisierte Strömung der sogenannten „Postmoderne“. „Postmoderne“ meint eine schwer fassbare kulturgeschichtliche Strömung, die sich von der „Moderne“ (die ebenfalls nicht klar definierbar ist) abgrenzt oder sie zu vollenden sucht. Auch die Datierung ist schwierig, weil sich die Postmoderne zuerst in Alltagsphänomenen (z. B. Kunst, Architektur, Mode, Popmusik) zeigte (ab den 60er Jahren), erst sekundär auch philosophisch aufgearbeitet wurde (Derrida, Foucault, Lyotard, Baudrillard).

Ein gewisser gemeinsamer Nenner all dieser Strömungen, vor allem in ihrer popularisierten Form, ist, dass man dem (Wert-)Pluralismus mit Toleranz begegnen und alles gleichermaßen gelten lassen will. Doch ist das nicht eher Flucht aus der Verantwortung? Kann eine demokratische Gesellschaft ohne einen gewissen Wertkonsens überhaupt funktionieren? Denn konsequent durchgeführt handelt es sich hier um ein Suizidprogramm:

  • Auflösung der Realität, mit der man sich nicht auseinandersetzen kann/will, in eine Zeichen- und Kunstwelt , der Computer als „Lebenspartner“.
  • Alle Theorien sind gleich-wertig, daher für die Praxis gleich-gültig.
  • Auflösung jeder „unbequemen“ Verbindlichkeit – Arbeit ist Job (Mittel zur Selbsterhaltung), nicht Möglichkeit der Selbstverwirklichung; zwischenmenschliche Beziehungen dienen nur dem Lustgewinn und sind daher überflüssig, sobald sie unbequem werden (Lebensabschnittspartner statt Ehepartner).
  • Letztlich Auflösung des mit sich identischen Subjekts, heute besonders durch den Genderismus gefördert, in dem es längst nicht mehr um die berechtigte Gleichstellung der Geschlechter, sondern um die Auflösung der Geschlechtsidentität und damit der Identität der Person geht.
  • Absolutsetzung des Relativismus, die sich selbst aufhebt: Wenn alles relativ ist, so ist es auch der Relativismus selbst.

Damit erweist sich der Postmodernismus nicht als Ausweg, sondern bestenfalls als Flucht vor den Schwierigkeiten unserer Zeit. Er ist schlimmstenfalls ein politisch missbrauchbares Instrument, um in die Anarchie zu führen – und dann eine angeblich bessere neue Gesellschaft aufzubauen.

Offenbar braucht das Funktionieren einer friedlichen Gesellschaft das freiwillige Anerkennen eines gewissen Mindestmaßes an höheren, altruistischen Werten. Denn auch wenn zur Anerkennung der Rechtsebene prinzipiell gezwungen werden kann (Sanktionsfähigkeit des Rechts), darf in einer Gesellschaft nicht jedes Glied faktisch dazu gezwungen werden müssen, weil dadurch die Frage „Wer zwingt dann wen?“ unlösbar würde. Dazu kommt, dass die ethische Verantwortung offensichtlich nicht automatisch proportional mit dem rasanten (natur)wissenschaftlichen Fortschritt wächst, zusammenfassbar in der Frage „Darf der Mensch alles, was er kann?“

Wir brauchen also humanitäre Werte. Da der Mensch nur handelt, wenn er etwas verändern will, sind Werte Handlungsziele, deren Erreichung erfreut. Diese können sehr subjektiv sein, das heißt nur für einen einzigen Menschen oder eine kleine Gruppe gelten, doch gibt es auch Werte, die für viele, ja, für alle gelten. Humanitäre Werte sind solche, von denen man zeigen kann, dass ohne sie ein friedliches menschliches Zusammenleben unmöglich ist. Weil man das zeigen und begründen kann, gelten sie „objektiv“ – etwa im Gegensatz zu sinnlichen Geschmacksurteilen wie „Diese Suppe ist zu wenig gesalzen“. Zu den objektiven Werten gehören rechtliche und ethische Werte.

Während Tier„staaten“ automatisch, weil instinktgesteuert, funktionieren, muss der Mensch jede Form von Gemeinschaft bewusst und frei bilden. Unverzichtbare Vorausset­zung dafür ist, dass zusammenlebende Menschen Gesetze anerkennen: diese müs­sen, eben um Gesetze zu sein, bei aller historischen und kulturellen Verschiedenheit dem einen Ziel dienen, das friedliche Zusammenleben von Menschen zu ermöglichen. Jedes konkrete („positive“) Gesetz muss daher danach beurteilt werden, ob es die­sem Ziel dient. Dieser allgemeine Beurteilungsmaßstab wird „Rechtsgrundsatz“ genannt. Vereinfacht formuliert: Meine Freiheitsäußerung endet dort, wo die des anderen beginnt: Jeder, der in Vergesellschaftung mit anderen leben will, muss seine Freiheitsäußerungen so weit einschränken, dass sie mit denen der anderen Mitglieder dieser Gesellschaft zusammenbestehen können (Kant, Metaphysik der Sitten, AB 33 f.)

Zur Durchsetzung der Gesetze und damit des Rechtszustandes bedarf es der Institution Staat. Obwohl aber das Recht prinzipiell erzwingbar ist, können nicht alle Staatsbürger auch faktisch zur Rechtseinhaltung gezwungen werden. Denn: Wer zwingt dann wen? Diese Schwierigkeit der mangelnden Sanktionsfähigkeit des Rechts erhöht sich in der Sphäre des Völkerrechts: Denn es gibt keine überstaatliche Organisation, die mächtiger wäre als alle in ihr vertretenen Einzelstaaten. Dadurch besteht eine permanente Kriegsgefahr – der rechtlich nicht geregelte Zustand ist ja ein möglicher Kriegszustand, bei den heutigen Waffen keine beruhigende Aussicht.

Dieses Problem löst nur die Sittlichkeit oder Ethik, die vom Menschen ein allgemeingültiges Handeln, und zwar als Ganzheit von innerer Gesinnung und äußerer Tat, fordert (nicht bloß als Gesinnung, wie diesem ethischen Ansatz zu Unrecht immer wieder vorgeworfen wird). Kant formuliert diese Forderung in seinem Kategorischer Imperativ, einfacher ausgedrückt: Handle so, wie jeder Mensch an Deiner Stelle handeln müsste. Oder biblisch: "Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst".

Denn allgemeingültiges Handeln bedeutet ja, sich selbst keine "Privilegien" herauszu­nehmen, die man anderen nicht zubilligt. Da Sittlichkeit immer die Einheit von innerer Gesinnung und äußerer Tat betrifft, kann sie nicht erzwungen werden – kein Mensch kann letztlich die innere Gesinnung eines anderen kennen. Zu dieser Haltung kann nicht gezwungen, sondern nur erzogen werden. Die Rechtsebene ist also der Bereich der Politik, die sittliche Ebene die der Pädagogik.

Sittlichkeit kann von jedem, der ihre Bedeutung eingesehen hat, auch ohne Religionsbezug gelebt werden. Kant versuchte die Möglichkeit einer allgemeinverbindlichen Ethik ohne Gott philosophisch darzutun. Uund heute greift im Projekt Weltethos sogar die UNO auf seinen Entwurf zurück. Die beiden Grundprinzipien des Weltethos sind:

  • Jeder Mensch soll menschlich behandelt werden;
  • Die Goldene Regel: „Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen“ (Mt 7,12). Sie findet sich in alle Hochreligionen, allerdings nicht in allen in dieser allgemeingültigen Form, sondern auf die eigene Gruppe beschränkt.

Diese Möglichkeit einer Ethik ohne Gott ist selbstverständlich auch für die Frage der Grenzen von Toleranz und für die Frage Widerstandsrecht / Widerstandspflicht von Bedeutung.

Eine Letztbegründung, warum ich meinen Nächsten wie mich selbst lieben soll – und zwar auch dann, wenn es schwere Nachteile, unter Umständen sogar den Tod mit sich bringt, bietet allerdings erst die Religion. Wenn jeder Mensch, gleichgültig, ob er reich oder arm, gebildet oder ungebildet, sympathisch oder unsympathisch ist, Geschöpf Gottes ist, kommt jedem Menschen dieselbe unverlierbare Würde zu – oder, biblisch formuliert: die Nächstenliebe wurzelt in der Gottesliebe.

Fazit: Institutionen sind keineswegs abzuschaffende Gesellschaftsneurosen, sondern der notwendige Rahmen für ein friedliches Zusammenleben von Menschen.

Sr. Katharina OP (Dr. Elisabeth Deifel, Philosophin und Theologin, em.Prof. der KPH, jetzt in der Erwachsenenbildung)

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