Die skandalöse Anklage gegen einen Journalisten

Die Staatsanwaltschaft Graz (und nicht etwa Ankara) hat gegen den Chefredakteur der „Steirer-Krone“, Christoph Biró, Anklage wegen Verhetzung und Herabwürdigung religiöser Lehren erhoben. Gegenstand der Anklage ist ein am Höhepunkt der Flüchtlingskrise des vergangenen Herbst erschienener Kommentar zu den Zuständen in und um Spielfeld, das zum Einfallstor arabisch-muslimischer Massenimmigration geworden war.

Da einzig Birós „Krone“-Kommentar anklagegegenständlich ist, kann die behauptete Verhetzung und Herabwürdigung nur in den folgenden Passagen liegen: „Wir erfahren von jungen, testosterongesteuerten Syrern, die sich aggressive sexuelle Übergriffe leisten“. Die Rede ist ferner von Afghanen, die Sitze in ÖBB-Waggons aufschlitzen, sich weigern, zuvor von Christen benützte (WC-?)Sitze zu benützen und in den Unterkünften ihr „Geschäft“ just neben den sanitären Einrichtungen verrichten, um weibliche Hilfskräfte mit den Worten „Dazu bist du ja da“ zur Reinigung aufzufordern. Behauptet wird ferner, dass (ethnisch nicht näher bezeichnete) „Horden“ Supermärkte stürmen und plündern.

Birós Behauptungen sind nicht frei erfunden. Jeder, der im letzten Jahr die Berichterstattung um die „Flüchtlinge“ mitverfolgt hat, weiß, dass Berichte dieser Art mannigfach und über Monate in den sozialen Netzwerken und Foren von Zeitungen kursierten. Offiziell bestätigt wurde allerdings keine der von Biró geschilderten Begebenheiten, manches wurde sogar dementiert.

Genau hier beginnt jedoch das Problem: In bester Erinnerung ist ebenfalls, dass Polizisten, ÖBB-Bedienstete und selbst Supermarktmitarbeiter von Entlassung bedroht waren, wenn sie sich zu der Causa äußerten und Begebnisse im Umgang mit den „Flüchtlingen“ weitergaben. So verwundert es nicht, wenn all die genannten Begebenheiten über den Status eines Gerüchts nicht hinauskommen. In einem Klima, in dem die Meinungsfreiheit wenig gilt und selbst faktische, empirische Beobachtungen nur hinter „vorgehaltener Hand“ oder anonym erzählt werden können, werden Wahrheit und Lüge ununterscheidbar.

Auch für die Praxis des Verhetzungsparagraphen gilt es als irrelevant, ob behauptete Tatsachen wahr oder falsch sind. Der Wahrheitsbeweis als verhetzend inkriminierter Behauptungen tue nichts zur Sache, sondern es reiche, dass „gehetzt“ worden sei. Dass Birós Kommentar vom Presserat verurteilt wurde und Biró selbst schlampige Recherche zugab, sollte den Tatbestand der Verhetzung demnach um nichts vermehren.

Die Verhetzung kann also nicht in einer Falschdarstellung liegen. Denn würde behauptet, Biró habe die Begebenheiten bewusst falsch dargestellt, um hierdurch zu „hetzen“, müsste die Wahrheit einer Behauptung sehr wohl eine rechtliche Kategorie sein und (bei halbwegs sachlichem Vortrag) jeden Vorwurf einer Verhetzung ausschließen.

Worin liegt aber dann die Verhetzung in dem Kommentar? Flüchtlinge als solche waren 2015 noch keine geschützte Gruppe; erst mit 1.1.2016 kam unter anderem das Merkmal der „fehlenden Staatsangehörigkeit“ hinzu. Davor waren nur bestimmtere Gruppen geschützt: Syrer und Afghanen werden in Birós Kommentar zwar namentlich genannt, doch wird deutlich erkennbar keinerlei Pauschalisierung vorgenommen. Nicht einmal gegen die Teilgruppe der in Österreich befindlichen Syrer und Afghanen wird „gehetzt“, da legal in Österreich ansässige Angehörige dieser Nationen gar nicht in Rede stehen.

Der Passus „Wir erfahren von jungen, testosterongesteuerten Syrern“ hebt sogar ausdrücklich Einzelfälle heraus. Keineswegs ist jeder junge Syrer, der 2015 nach Österreich kam, „testosterongesteuert“ und für sexuelle Übergriffe verantwortlich. Zwar ist schon seit 2012 auch Hetze gegen Einzelpersonen strafbar, aber nur unter der Bedingung, dass ausdrücklich wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten (geschützten) Gruppe gehetzt wird. Ein Syrer, der sexuelle Übergriffe begeht, wird jedoch dafür kritisiert, dass er sexuelle Übergriffe begeht, und nicht dafür, dass er Syrer ist.

Noch absurder ist der Vorwurf der Herabwürdigung einer religiösen Lehre, diesfalls des Islam. Vom Islam ist allenfalls indirekt die Rede, indem von einer Verweigerung zuvor von Christen eingenommener Sitzplätze gesprochen wird. Mitnichten wird behauptet, dass es die Lehre oder auch nur die Praxis des Islam sei, von Christen benützte Toiletten nicht frequentieren zu dürfen.

Es bleibt ein ganz übler Beigeschmack bei dieser Anklage: Biró wird angeklagt, weil er in einem Massenmedium, zumal als leitender Redakteur, Stimmung gegen die ankommenden „Flüchtlinge“ gemacht hat (die auch als syrische Bürgerkriegsflüchtlinge längst Asylanträge in Griechenland, Mazedonien usw. stellen hätten können und also längst nicht mehr auf der Flucht waren). Biró wird angeklagt, weil er die damalige (und nur „wahltaktisch“ zwischenzeitlich zurückgefahrene) Betroffenheits- und „Menschlichkeits“-Politik von ORF, Bundesregierung, Universitäten und Kirchen durchkreuzt hatte.

Die Falschheit des Behaupteten kann aufgrund massiver Maulkorberlässe öffentlicher wie privater Dienstgeber kaum unwiderlegbar als erwiesen gelten. Hinzu kommen die Ereignisse der Silvesternacht sowie die traurige Tatsache, dass Frauen in vielen Flüchtlingsunterkünften sich (warum wohl?) nachts nicht aufs Klo getrauen. Doch selbst bewusste (erfundene) Falschbehauptungen wären nicht strafbar, wenn sie sich erkennbar nur auf einzelne („einige“, „viele“ – und eben nicht: „alle“) Personen beziehen.

Mehr noch: Biró wird angeklagt, weil die Stimmung in der Bevölkerung (schon vor seinem Kommentar) tatsächlich „gekippt“ ist und er diesem „Kippen“ als einer der Ersten medialen Raum gegeben hat. Das verzeiht die ach so demokratische und ach so tolerante „Zivilgesellschaft“ offenbar nicht. Daher wird, obwohl der inkriminierte Kommentar von Anfang an bekannt war, erst ein Jahr später und just um den Nationalfeiertag plötzlich Anklage erhoben.

Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass Biró nicht nochmals (wie im unmittelbaren Gefolge seines Kommentars) zerknirscht Schuld eingesteht, sondern mit voller Kraft in die Offensive geht. Dazu gehört, dass die Verteidigung Zeugen für die behaupteten Geschehnisse ausfindig macht und deren Einvernahme beantragt. Wird dem Antrag stattgegeben, müssen ÖBB-Bedienstete und Supermarktmitarbeiter unter Wahrheitspflicht aussagen.

Doch halt! Auf die Wahrheit kommt es beim Verhetzungsparagraphen nicht an – also werden auch die Zeugeneinvernahmen unterbleiben. Dennoch: Wer gesteht, bekommt eine milde Strafe. Wer aber (juristisch und medial) kämpft, kann einen Sieg des freien Wortes über die immer dreistere Verhetzungs-, Herabwürdigungs- und Wiederbetätigungsjustiz erringen. Und das ohne die Hilfe Gottes, auf die jüngst ein Präsidentschaftskandidat vertraut.

Wilfried Grießer, geboren 1973 in Wien, ist Philosoph und Buchautor.

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