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Ein Staat in ermutigendem Gleichklang mit seinen Bürgern

Es ist eines der erstaunlichsten Ergebnisse unter den vielen hochinteressanten Schweizer Referenden. Dieses Ergebnis ist für Europäer in Wahrheit viel spannender als die fünfhundertste aufgeregte Meldung über Sager des US-Wahlkampfs, die unsere Medien dominieren. Jedoch: Es wird dennoch von den Medien weitgehend ignoriert – denn die Schweizer Stimmbürger haben mit massiver Mehrheit gegen die Meinungslinie fast aller Medien gestimmt. Wieder einmal. Das haben die Medien nicht gerne. Daher ignorieren sie dieses Referendum lieber (weitgehend).

Solche Referenden könnten nämlich zunehmend in ganz Europa den Nimbus der Medien entzaubern, diese würden die öffentliche Meinung repräsentieren. In der Schweiz hat man schon lange gelernt, dass das nicht so ist. In Österreich hingegen glauben insbesondere Politiker noch immer, dass sie in den Medien die Stimmung und Meinung der Bürger lesen und hören könnten. Jedoch stimmt das weder bei den Qualitäts- noch bei den Boulevard-Medien.

Die Wahrheit ist: Die angeblichen Meinungsmacher können gar keine Meinung machen. Zumindest in hochentwickelten, differenzierten, gebildeten Gesellschaften können sie das nicht mehr. Angesichts der ideologischen Einseitigkeit und der in den letzten Jahren rapide gewachsenen Bestechlichkeit der meisten Medien ist das auch gut so. Sogar sehr gut.

Zwei Drittel sagen: Mehr Rechte für die Nachrichtendienste

Mit mehr als 65-prozentiger Mehrheit – einem wirklich gigantischen und in Demokratien absolut ungewöhnlich hohen Prozentsatz! – haben sich die Schweizer dafür entschieden, dem nationalen Nachrichtendienst der Eidgenossenschaft die schon vom Schweizer Parlament vorgeschlagene Fülle von Rechten zuzugestehen. Dieser Dienst darf nun ganz legal Trojaner in Computer und Netzwerke einschleusen; er darf Wohnungen verwanzen; er darf Telefonate mitschneiden; er darf Drohnen einsetzen.

Das widerspricht jedoch absolut dem Zeitgeist, der in den meisten Ländern, besonders den deutschsprachigen, Medien, Parlamente und Richter prägt. Für diese (nicht die Bürger!) ist fast schon jede Geheimdienstarbeit a priori eine Verkörperung des Bösen, daher zu bekämpfen und verhindern. Vor allem, wenn dabei geheime Methoden zur Anwendung kamen (was bei Geheimdiensten meistens der Fall ist).

Lediglich in den USA, Israel, Russland und nun der Schweiz trauen sich die Bürger, patriotischen Stolz auf die jeweiligen nationalen Nachrichtendiensten und Identifikation mit ihnen zu zeigen (Obwohl diese in Russland auch die demokratische Opposition und unabhängige Medien bekämpfen). Deshalb wird auch von fast allen Amerikaner der nach Moskau geflüchtete "Whistleblower" Snowden verachtet, der von Europas Medien und einigen Filmemachern verherrlicht wird.

Das Referendum zeigt jedenfalls, dass den Schweizer Bürgern Sicherheit – die nationale wie auch die individuelle – wichtiger ist als die Angst vor den Gefahren, die mit diesen Möglichkeiten eines Geheimdienstes verbunden sind.

Diese Gefahren bestehen zwar durchaus. Sie erscheinen aber – wohl nicht nur den Schweizern – minimal zur Bedrohung durch Terrorismus, Islamismus, Schleppertum und organisierte Kriminalität. Unerwünschte Nebenwirkungen solcher Rechte für Nachrichtendienste könnten etwa sein:

  1. die Verwendung dieser Möglichkeiten als politisches Instrument der Machthaber gegen Bürger und Opposition (was freilich in der Schweiz angesichts der ewig gleichen sich gegenseitig kontrollierenden Vierparteienkoalition ausgeschlossen werden kann);
  2. die Verwendung von Spionage-Instrumenten durch einzelne Geheimdienstmitarbeiter, um untreuen Ehepartnern auf die Schliche zu kommen oder sonstige persönliche Feinde zu diskreditieren;
  3. die Verwendung von Spionage-Instrumenten, um Beamte zu entlarven, die das Amtsgeheimnis oder den Datenschutz verletzen, um behördliche Missstände nach außen tragen.

Freilich: Gerade solche Verletzungen des Amtsgeheimnisses haben in der Realität recht oft gar nicht den edlen Zweck der Missbrauchsaufdeckung, sondern meist den der Vernaderung von Rivalen, von politischen oder Prozessgegnern. Ganze Wochenblätter sehen in Österreich ihre einzige Existenzberechtigung darin, Plattform für solche Vernaderungen zu sein – die sie euphemistisch-propagandistisch „investigativen Journalismus“ nennen.

Das Schweizer Referendum zeigt aber auch, wie die dortige direkte Demokratie zu einem hohen Ausmaß der Identität zwischen Staat und Bürgern führt. Für die Schweizer ist der Staat wirklich „ihr Staat“. Nicht nur als Ergebnis einer Tradition, sondern weil sie wissen, dass sie selbst, dass die Summe der Stimmbürger die absolut höchste Macht im Land ist. In Österreich hingegen halten sich sowohl Parlament wie auch Oberstgerichte, Bundes- und Landesregierungen, Landeshauptleutekonferenzen, Bundespräsidenten und eben Medien in gegenseitiger Rivalität für die oberste Macht im Land. Dass laut österreichischer Verfassung eigentlich das „Volk“ diese oberste Macht ist, ist den meisten politischen Akteuren hingegen aus dem Bewusstsein verloren gegangen.

Politik, Medien und auch Justiz wundern sich hierzulande zwar über den ständig voranschreitenden Vertrauensverlust. Das Grundübel zu ändern sind sie jedoch nicht bereit. Statt die Mitsprache der Bürger zu vermehren, reduzieren sie diese nur noch immer weiter:

  • Siehe die Ausdehnung der Legislaturperioden, an deren Ende man sich dann den Wahlbürgern stellen muss.
  • Siehe die Abschaffung der Abstimmung durch die Gebührenzahler beim ORF-Publikumsrat.
  • Siehe das regelmäßige Begräbnis letzter Klasse ohne jede lange Diskussion für Volksbegehren und Petitionen im Parlament.

Das dauerhafte Gelingen einer Aufwertung der Geheimdienste hat zwei Voraussetzungen, auch in der Schweiz:

  1. Die intellektuelle Qualität der Mitarbeiter des Dienstes und
  2. ein sorgsamer Umgang mit dem Einsatz dieser Instrumente, sodass diese wirklich nur zur Verfolgung schwerster Delikte eingesetzt werden, und nicht etwa für private Interessen.

Beides scheint in der Schweiz der Fall zu sein. In Österreich bin ich mir da nicht so sicher. Es sei etwa an den Fall Kampusch erinnert, als Staatsanwälte und Polizei alles Ernstes eine Telefonüberwachung eines Kriminalbeamten eingesetzt haben, nur weil dieser an den offiziellen Thesen gezweifelt und auf eigene Faust (und zwar aus vielen guten Gründen) recherchiert hat. Dieses Verhalten würde in Wahrheit vielleicht sogar einen Maria-Theresien-Orden für mutige Alleingänge verdienen und jedenfalls nicht eine Verfolgung durch das ganze Arsenal der Staatsmacht.

Bleibt die letzte Frage: Werden die dem Schweizer Nachrichtendienst jetzt eingeräumten Rechte auch wirklich Terrorismus und ähnliche schwere Delikte verhindern können? Nein, ganz verhindern werden sie nichts können. Absolute Garantien kann es nie geben (außer in den Fragen dummer Journalisten). Beim Kampf gegen diese Verbrechen wird es zwangsläufig auch immer zu vielen leeren, ergebnislosen Kilometern kommen. Aber noch viel sicherer ist, dass die Chancen, solche Delikte überhaupt zu verhindern, beziehungsweise zumindest im Nachhinein Täter und Hintermänner entlarven zu können, viel größer sind, wenn der Staatsschutz nicht nur mit auf den Rücken gebundenen Händen arbeiten darf.

PS: In Ländern wie Griechenland oder Italien würde ein solches Referendum übrigens mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit umgekehrt ausgehen. Denn dort ist für die meisten Bürger der eigene Staat emotional der Feind. Er ist vielen ein Gegner, den man von vorne bis hinten betrügt und verachtet. Das dürfte damit zusammenhängen, dass in beiden Ländern erst im 19. Jahrhundert wieder ein Staat entstanden ist, nachdem die Staatsgebilde der Antike viele Jahrhunderte verschwanden und verhassten Fremdherrschern weichen mussten.

PPS: Hochinteressant sind auch die weiteren Ergebnisse des Schweizer Referendums zu ganz anderen Themen: 63 Prozent sagen Nein zu einer grünen Initiative für einen totalen Umbau der Volkswirtschaft zu einer ökologischen „Kreislaufwirtschaft“. Diese Idee klingt zwar theoretisch lieb, wäre aber wirtschaftlich völlig selbstmörderisch, vor allem wenn nur ein einziges Land sie realisiert. Und mehr als 59 Prozent stimmten gegen den Wunsch der Gewerkschaften, die gesetzlichen Pensionen einfach um zehn Prozent zu erhöhen. Auch das zeigt, dass die Schweizer im Gegensatz zu vielen Gewerkschafts- und Gutmensch-Illusionen die wirtschaftlichen Zusammenhänge begreifen und keineswegs ans Schlaraffenland glauben, wo man sich nur etwas zu wünschen braucht und schon wird es erfüllt. Wenn es in Österreich solche Referenden gäbe, wären auch wir wohl viele von Rot beziehungsweise Grün verschuldete Probleme los...

 

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