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Die Entzauberung des ÖGB und die angebliche Radikalisierung Österreichs

Der ÖVP-Generalsekretär glaubt, aus dem Wahlergebnis der Präsidentenwahl eine „Radikalisierung“ herauslesen zu können. Der an fünfter Stelle landende Kandidat der (noch) größten Parlamentspartei meint sogar: „Es waren die Extreme gefragt.“ So kann man sich selbst belügen. Da stimmt schon eher – wenngleich auch nur zum kleineren Teil – die zweite Erklärungslinie, die sich in den Stellungnahmen von Rot und Schwarz zu ihrem Debakel bei der Präsidentenwahl findet.

Diese zweite Linie gibt den Meinungsumfragen die Schuld an den Niederlagen. Da ist was dran: Allen Wählern war von Anfang an klar, dass es diesmal eine Stichwahl geben würde. Daher hatten rechte wie linke Wähler beim ersten Wahlgang vor allem ein Interesse: Dass zumindest ein rechter beziehungsweise ein linker Kandidat in die Stichwahl kommt. Sobald die veröffentlichten Meinungsumfragen signalisierten, dass Hofer auf der Rechten und van der Bellen auf der Linken gut lagen, hatte das dann einen logischen Sogeffekt auf viele Wähler. Sie wählten primär taktisch, um zu verhindern, dass zwei Linke respektive zwei Rechte in die Stichwahl kommen.

Das ändert freilich nichts daran, dass es schon zuvor einen Grund gegeben haben musste, dass es eben nicht die Regierungskandidaten waren, die da wie dort voran lagen (außer man nimmt an, dass die Umfrageinstitute bewusst und damit kriminell gelogen haben).

Nach früheren politischen Gesetzmäßigkeiten hätte ja Khol und Hundstorfer selber der Sog der taktischen Wähler zugute gekommen müssen. Es waren aber gar nicht so sehr die beiden, die da so schwer verloren haben. Verloren hat vielmehr eindeutig die Koalition. Der Wille, sie kräftig zu bestrafen, ist derzeit unbändig. Es ist ja auch kein Zufall, dass Rot wie Schwarz schon seit Jahren bei fast allen Wahlen dramatisch verlieren.

Auf ÖVP-Seite kann man wenigstens noch argumentieren, dass mit Irmgard Griss eine zusätzliche Kandidatin mit bürgerlicher Ausstrahlung im Rennen gegangen war. Dass die Kür des Andreas Khol recht spät und überraschend erfolgt ist, nachdem Parteichef Mitterlehner lange fahrlässig auf einen ungedeckten Scheck namens Pröll gesetzt hat. Und dass daher der Khol-Wahlkampf erst viel zu spät in die Gänge gekommen ist.

Auf der SPÖ-Seite kann man nicht einmal diese Argumente ins Treffen anführen. Dennoch wurde man diesmal sogar vom VP-Kandidaten (wenn auch minimal) überholt.

Daher ist es eigentlich logisch, aber in Anbetracht der Parteitraditionen doch irgendwie überraschend, dass diesmal nicht in der ÖVP, sondern in der SPÖ als erstes der Ruf nach einer Ablöse des Parteichefs laut geworden ist.

Ederer als erste laute Faymann-Kritikerin

Es war die langjährige SPÖ- (und Siemens-)Spitzenfrau Brigitte Ederer, die jetzt nach der Wahl mit der Forderung nach einem Sturz Werner Faymanns an die Öffentlichkeit gegangen ist. Wer hinter ihr – außer Exkanzler Vranitzky – steht, ist zwar noch unklar. Aber sicher werden die nächsten Wochen für Faymanns Schicksal dramatisch. Und es ist absolut rätselhaft, wie der SPÖ-Vorsitzende noch einmal einen SPÖ-Parteitag überleben will.

Absurd ist nur, dass Faymann ausgerechnet in jenem Zeitpunkt am meisten wackelt, da er in Sachen Völkerwanderung auf die Linie der großen Mehrheit der Österreicher gewechselt ist (wenn auch viel zu spät, um damit noch glaubwürdig zu werden). Diese neue Linie ist aber bei vielen SPÖ-Funktionären weiterhin sehr unpopulär.

Es ist daher absolut möglich, dass in dieser Woche gleichsam als Vorspiel für ein Scheitern Faymanns auch die geplante Verschärfung des Asylrechts am SPÖ-internen Erregungszustand scheitern wird. Dieser Widerstand kann sich jetzt ja laut artikulieren, weil keine Parteidisziplin mehr zur Ruhe in Zeiten der Stichwahl zwingt.

Zusätzlich haben auch die zwei traditionellen Machtpositionen der SPÖ einen argen Dämpfer erlitten: Das sind die Gewerkschaft und die Gemeinde Wien. Rudolf Hundstorfer verkörpert beide Bereiche zugleich so eindeutig wie kein anderer. Er kommt aus dem Herzen des Wiener Apparats, und er war auch Chef des Gewerkschaftsbundes gewesen. Nun steht vor allem der ÖGB als nackter Kaiser da. Dabei haben Faymann und masochistischerweise auch die ÖVP das letzte Steuerpaket nur aus Angst vor der Gewerkschaft so (schlecht) beschlossen. Und jetzt dieses Waterloo für einen Gewerkschaftskandidaten!

Es wird also turbulent werden: sowohl für die geplante Asylverschärfung wie auch für Werner Faymann.

Nur eines findet nicht statt: eine Radikalisierung Österreichs oder gar eine Zunahme eines gefährlichen Extremismus. So etwas gibt es nur in Demonstrationsparolen der radikalen Linken, die jetzt schon wieder gegen Hofer mobilisiert. Ansonsten ist es bisher ein sehr gesitteter Wahlkampf gewesen. Die beiden noch im Rennen befindlichen Männer haben jeden besorgniserregenden Ton unterlassen. Sie gehören jeweils zum sanftesten Teil ihrer jeweiligen Partei. Und keiner von ihnen bedeutet als Person eine Gefahr, auch wenn eine Wahl Van der Bellens ein gefährliches Signal wäre, dass Österreich zur Politik der offenen Grenzen zurückkehren solle.

Wenn Rot und Schwarz daher jetzt von Radikalisierung reden, dann ist das nur mies. Und schadet Österreich. Der ÖVP-Generalsekretär Peter McDonald hat mit einer solchen Formulierung seine bisher nicht bemerkbare Leistung durch einen schlimmen Unsinn „gekrönt“. Bei der SPÖ hat die „Extremismus“-Hetze gegen die FPÖ hingegen schon 30 Jahre Tradition.

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