So wurde der Untergang der römischen Welt herbeigeführt

Im Folgenden eine Übersetzung von Teilen der Res Gestae des Ammianus Marcellinus (31.Buch, Auszüge aus Kapitel 4, 5) die von erkennbarer Aktualität ist. 375 n. Chr. überschritten die Hunnen den Don in Richtung Westen und unterwarfen sich Teilen der Alanen und Goten. (Übersetzung und kursiv geschriebene Anmerkungen von Rupert Wenger).

Doch verbreitete sich das Gerücht bei den übrigen Stämmen der Goten, dass dieses vorher noch nie aufgetretene Volk, das sich wie ein Sturm aus dem Gebirge aus einer abgelegenen Ecke aufgemacht hatte, jeden Widerstand bricht und vernichtet. Darum suchte der größere Teil des Volks (der Stamm der Terwingen), den Athanarich im Stich gelassen hatte und der infolge Mangels an Nahrung bereits stark geschwächt war, nach Wohnsitzen, die von den Barbaren nicht bedroht waren. Nach vielen Überlegungen, welche Räume man auswählen sollte, kam man auf Thrakien als Refugium, das sich aus zwei Gründen besonders eignete: Erstens war sein Boden sehr fruchtbar, und zweitens wird es durch die Breite der Donau von den Gebieten getrennt, die sich für die Schrecken eines fremden Eroberers offen anboten. Die Übrigen schlossen sich diesem Plan an, als ob sie ihn gemeinsam überlegt hätten.

Daher besetzten sie unter Alavivs (und Fritingerns) Führung die Donauufer, schickten eine Delegation zu Kaiser Valens und ersuchten mit höflicher Bitte um Aufnahme. Sie sagten zu, ein friedliches Leben zu führen und Hilfstruppen zu stellen, wann immer es die Lage erfordere.

(Gleichzeitig kam es auch im Norden des römischen Reiches zu krisenhaften Entwicklungen, die weitere Kräfte der Armee banden.)

Die ganze Angelegenheit bot mehr Anlass zur Freude als zur Furcht, Schmeichler priesen das Glück des Kaisers, denn aus der Fremde bringe es wider Erwarten so viele Kämpfer und biete ihm die Gelegenheit, seine eigenen mit den fremdstämmigen Streitkräften zu vereinigen und sich ein unbesiegbares Heer schaffen zu können. Für den personellen Ersatz, dessen Kosten jährlich von den Provinzen zu bezahlen sei, käme jetzt eine große Menge Goldes herein. In dieser Hoffnung wurden verschiedene Personen ausgesandt, die das kämpferische Volk mit ihren Fahrzeugen herüberbringen sollten. Dabei sah man mit große Sorgfalt darauf, dass kein zukünftiger Zerstörer des römischen Staates zurück blieb, selbst wenn er von einer tödlichen Krankheit befallen war.

So gingen sie mit Genehmigung des Kaisers über die Donau, besetzten Teile von Thrakien, Tag und Nacht scharenweise auf Schiffen, Flößen und ausgehöhlten Baumstämmen den Fluss überschreitend. Da dieser Fluss der gefährlichste von allen ist und damals gerade wegen häufiger Regenfälle Hochwasser führte, kamen bei dem starken Gedränge viele in den Fluten um, die gegen die Wellen ankämpften oder zu schwimmen versuchten.

So wurde mit heftigen Bemühen der Untergang der römischen Welt herbeigeführt. Es ist jedenfalls keineswegs dunkel oder unklar, dass die unglücklichen Beamten, die die Überfahrt der Barbaren leiteten, zwar oft versuchten, deren Anzahl rechnerisch zu erfassen, doch es endlich als unmöglich aufgaben, wie unser bedeutendster Dichter (Vergil) sagt:

"Wer ihre Zahl wissen wollte, der wollte die Zahl der Sandkörner in der Libyschen Wüste wissen, die der Wind emporhebt."

Es folgt ein kurzer Vergleich der gotischen Invasion mit der persischen Invasion Griechenlands von 480 v. Chr.

Nachdem also riesige Völkermassen unsere Provinzen überflutet hatten, wobei sie sich nicht nur über die breiten Ebenen ausbreiteten, sondern alle Gebiete einschließlich der hohen Gebirge besetzten, wurde so die Glaubwürdigkeit alter Dokumente (über den Einfall der Perser) aufs Neue bestätigt. Als erste fanden Alaviv und Fritigern Aufnahme, denen kaiserliche Entscheidung für den Moment Lebensmittel und Ackerland zur Bearbeitung zuwies.

Zu dieser Zeit waren die Grenzbalken offen, und Horden von Barbaren schwärmten aus wie Asche aus dem Ätna. Diese schwierige Lage hätten Reformatoren der Streitkräfte erfordert, die durch berühmte Taten einen Ruf erworben hatten. Doch wie wenn eine unheilvolle Gottheit sie ausgewählt hätte, wurden nur korrupte Menschen ausgesucht, aus denen besonders Lupicinus und Maximus herausragten, der eine Comes von Thrakien, der andere unheilvoller Befehlshaber, beide ebenbürtig an Unbesonnenheit. Ihre Habgier war die Quelle allen Übels.

Es folgt eine Aufzählung ihrer Fehler, die darin gipfelten, dass die beiden Angehörige der Goten, zum Teil sogar aus den obersten sozialen Schichten, als Sklaven verkauften.

In diesen Tagen kam auch der König der Greuthungen (weiterer Stamm, der zusammen mit den Thervingen später zum Volk der Visigoten zusammenwachsen sollte) Widerich mit seinen Vormündern Alatheus und Safrax, außerdem mit Famobius, an das Donauufer und flehten den Kaiser durch eilends geschickte Gesandte an, ihn mit gleichen Wohlwollen aufzunehmen. Ihnen wurde es aber abgeschlagen, wie es das öffentliche Wohl erforderte, und sie waren nun im Zweifel darüber, was sie tun sollten.

Es folgt eine Szene, deren wichtigste Information der vorläufige Abzug der Greuthungen vom unmittelbaren linken Donauufer bildet.

Die Thervingen ihrerseits, die schon längst die Erlaubnis zum Übersetzen erhalten hatten, hielten sich immer noch in der Nähe des Ufers auf, weil sie durch ein doppeltes Hindernis gebunden waren: Erstens leistete man ihnen wegen der gefährlichen Nachlässigkeit der militärischen Führer keine angemessene Unterstützung durch Lebensmitteln, und zweitens hielt man sie absichtlich durch schändliche Handelsgeschäfte hin. Als sie dies bemerkten, begannen sie von Vertragsbruch zu flüstern und so musste Lupicinus aus Angst Truppen heranführen und sie zum Abzug zwingen.

Dies war für die Greuthungen der gelegene Augenblick. Als die Soldaten anderwärts gebunden waren, bemerkten sie, dass die Patrouillenboote, die bisher ihren Übergang verhindert hatten, untätig blieben, worauf sie in Booten und provisorischen Flößen über den Fluss gingen. Dann schlugen sie in weiter Entfernung von Fritigern ein Lager auf.

Der wiederum wollte sich mit angeborenem politischen Weitblick gegen irgendwelche Zufälligkeiten sichern, einerseits den Befehlen des Kaisers gehorchen und andererseits sich mit den mächtigen Königen verbünden. Darum rückte er nur zögernd vor und gelangte in langsamen Märschen mit der Zeit nach Marcianopolis. Hier trat noch ein anderes schreckliches Ereignis ein, das die zum Untergang des Staates glimmenden Fackeln der Rachegeister zu hellem Brand entfachte:

Lupicinus lud Alaviv und Fritigern zu einem Essen ein, hielt aber das barbarische Volk durch die Aufstellung von Posten weit von den Mauern der Stadt fern. Als es aber in die Stadt wollte, um sich Lebensmittel zu besorgen, weil sie ja unter unserer Herrschaft und mit uns im Einvernehmen standen, kam es zwischen Einwohnern und den Abgewiesenen zum Streit und schließlich zu bewaffneter Auseinandersetzung. Brutal behandelt, fühlten sie sich als Feinde angesehen und töteten ihrerseits die bewachenden Soldaten und erbeuteten ihre Waffen.

Lupicinus versuchte, die gotischen Führer gefangen zu nehmen, was allerdings misslang. Eine erste Schlacht zwischen vereinigten Goten und Römern verlief zu Ungunsten der Römer, wobei den Goten eine hohe Anzahl römischer Waffen in die Hände fiel.

378 lieferten sich die nun vereinigten Stämme der Goten mit einem römischen Heer unter Kaiser Valens die Schlacht von Adrianopel mit katastrophalem Ausgang für die Römer. Der Kaiser fiel in der Schlacht. Dies war das Ende der römischen Versuche, die Goten unter Kontrolle zu bekommen.

397 griffen die Goten unter Alarich Konstantinopel erfolglos an, plünderten 398 Athen, das sich kampflos ergeben hatte und eroberten 410 Rom. Sie gründeten 418 auf der Pyrenäen-Halbinsel innerhalb des Reichsterritoriums ihr eigenes Reich.

Nachdem Ammianus um das Jahr 400 n. Chr. verstorben sein muss, erlebte er das tatsächliche Ende des Römischen Reiches nicht mehr. Seine Bemerkungen über das eingeleitete Ende dürfte eine allgemeine pessimistische Grundhaltung der Bevölkerung widerspiegeln. Seine und ihre Befürchtungen und Ängste realisierten sich zwischen 410 und 470 n.Chr. zumindest im westlichen Teil des Reiches. 

Ammianus Marcellinus war ein römischer Historiker, der von 330 bis 395 lebte. Seine Res gestae sind das letzte bedeutende große lateinische Geschichtswerk der Antike.

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