Griechische Tragödie

Die Dramatik der aktuellen Ereignisse (Griechenland hat durch die Verweigerung einer Ende Juni fälligen Rückzahlung von 1,6 Milliarden Euro an den IWF faktisch seinen Bankrott erklärt), bildeten den perfekt passenden Hintergrund für einen von der liberalen Denkfabrik Agenda Austria organisierten Vortrag des prominenten deutschen Wirtschaftswissenschaftlers Hans-Werner Sinn in Wien.

Dass es unter den Kommentatoren der Massenmedien von Syriza-Verstehern nur so wimmelt, ist – angesichts deren Linkslastigkeit und weitgehenden Ahnungslosigkeit in Wirtschaftsfragen – kein Wunder. Umso erhellender wirken die Ausführungen des für seine oft scharfe Kritik an politischen Verzerrungen der Ökonomie bekannten ifo-Chefs.

Sinn räumte gleich zu Beginn mit dem Märchen auf, dass die Troika, der IWF oder gar der deutsche Finanzminister, für das rezente Debakel der Hellenen verantwortlich seien. Griechenland wäre nämlich bereits anno 2009 zusammengebrochen, wenn die viele Milliarden schweren Finanzhilfen aus dem Ausland damals ausgeblieben wären. Bereits zu diesem Zeitpunkt erwarteten die internationalen Geldgeber im Gefolge der Lehmann-Pleite, dass Griechenland seinen Verbindlichkeiten am Ende doch nicht nachkommen könnte und reagierten mit prohibitiven Risikoaufschlägen für Kredite, die bis an die 40-Prozent-Grenze reichten.

Ohne prompt gewährte Unterstützungen wäre es daher schon vor sechs Jahren zum Staatsbankrott gekommen – was für alle Beteiligten die vermutlich günstigste Variante gewesen wäre. Die gegenwärtig von notorischen Staatsverschuldungsenthusiasten an die Adressen von Lagarde, Draghi oder Schäuble gerichteten Schuldzuweisungen seien jedenfalls hanebüchener Unsinn.

Auch die nicht nur von Linksausleger Varoufakis gerne gestreute Behauptung, wonach die gewährten Hilfen zu 90 Prozent postwendend wieder an ausländische (primär französische und deutsche) Banken zurückgeflossen wären, entbehre jeder Grundlage. Sinn beziffert das Volumen dieser „Rückflüsse“ auf rund ein Drittel der getätigten Hilfszahlungen. Ein weiteres Drittel sei für den Konsum im Lande verbraten worden und das letzte Drittel wäre (dank absichtlich unterlassener Kapitalverkehrskontrollen!) von wohlhabenden Griechen außer Landes geschafft worden, um dort in Sicherheit gebracht und investiert zu werden.

Das in den zurückliegenden Jahren an Griechenland geflossene Geld – es handelt sich bis dato um insgesamt 332 Mrd. Euro, was 185 Prozent der Wirtschaftsleistung des Pleitestaates entspricht (2010 waren es „nur“ 48 Mrd.) – ist nach der Einschätzung Hans-Werner Sinns verloren. Ob zumindest ein kleiner Teil davon jemals eingebracht werden kann, sei derzeit nicht abzuschätzen. Um welche Summen geht es? Deutschland ist mit 86,5 Mrd. Euro exponiert, Frankreich mit 66,1 Mrd. und Österreich immerhin mit 9,1 Mrd. 105 Mio. an lukrierten Zinsen gegen 9,1 Mrd. Substanzverlust – von einem „guten Geschäft für Österreich“, wie Ex-Finanzministerin Fekter zu den Griechenland-Krediten der Republik meinte, kann mit Sicherheit keine Rede sein.

Die Frage, ob die Hilfszahlungen dem Land geholfen hätten, beantwortet der Ökonom mit einem klaren Nein. Das BIP Griechenlands sei seit Einsetzen der Hilfszahlungen um ein Viertel gefallen und die Arbeitslosenquote auf 20 Prozent gestiegen. Auch lebten die Hellenen immer noch klar über ihre Verhältnisse. Sie konsumierten nach wie vor erheblich mehr, als sie produzieren. Erfolgsgeschichten sehen anders aus.

Die hohe Arbeitslosigkeit stehe im unmittelbaren Zusammenhang mit den weit oberhalb der Produktivitätszuname gestiegenen Löhnen. Sinn: „Der Euro hat die Wettbewerbsfähigkeit des Landes zerstört!“ In Polen, dem Baltikum oder in Bulgarien lägen die Löhne um bis zu 75 Prozent niedriger als in Griechenland. Sinn: „Dieses Problem kann weder Frau Merkel noch der IWF lösen.“

Ein Blick auf die Lage Irlands mache deutlich, dass ein an den Rand des Abgrunds geratenes Land es durchaus schaffen kann, sich zu erholen, ohne in alle Ewigkeit am Geldtropf des Auslandes zu hängen, wie das die Syriza-Illusionisten offensichtlich anstreben.

Die Forderung nach einem „Marshall-Plan für Griechenland“ sei, angesichts der vorliegenden Zahlen, ein übler Scherz. Gemessen an den seinerzeit an Deutschland geflossenen (und zurückgezahlten) Geldern, beliefen sich die an die Hellenen geleisteten Hilfen bereits auf das 36-fache!

Dass dem Land menschenunwürdige Spardiktate auferlegt werden sollten, sei ebenfalls eine Legende: Die griechische Durchschnittsrente belaufe sich nämlich auf stolze 833 Euro. Die gesetzliche Rente in Deutschland dagegen liege bei nur 766 Euro. Da scheint doch einiges an Sparpotential brachzuliegen.

Das Kardinalproblem des maroden Balkanstaates ortet der Ökonom in dessen weit überhöhtem Lohnniveau. Geringe Produktivität und hohe Löhne – in Verbindung mit einem aufgeblähten und ineffizient arbeitenden Staatsapparat – seien einfach nicht miteinander zu vereinbaren.

Wollte Griechenland im Euroraum verbleiben, müsste eine „innere Abwertung“ stattfinden. Es müssten also substanzielle Lohnkürzungen vorgenommen werden, um wieder wettbewerbsfähig zu werden. Das dürfte allerdings das Allerletzte sein, was die vom Boden der Realität weit entfernten Griechen (gleich ob Regierende oder Regierte) einsehen wollen…

Von den sich nun bietenden Handlungsoptionen, die allesamt höchst schmerzhaft sind, hält Sinn diejenige eines (zumindest temporären) Ausstiegs Griechenlands aus dem Euro für die zweckmäßigste. Vom engen Korsett der Gemeinschaftswährung befreit, könnten Staat und Wirtschaft wieder gesunden, wie zahlreiche Beispiele anderer Staatspleiten (etwa jene Argentiniens) belegten. Eine dramatische Abwertung schaffe allemal die nötigen Voraussetzungen, um die Binnenwirtschaft auf Vordermann zu bringen und wieder Kapital ins Land zu ziehen. Im Falle Griechenlands würde sich schon nach dem schwierigen ersten Jahr (in dem durchaus humanitäre Hilfen geleistet werden sollten), ein neuer Aufschwung einstellen.

Wirtschaftliche „Ansteckungsgefahr“ sieht der ifo-Chef keine. Die Märkte zeigten keinerlei Anzeichen von Panik. Die politischen Ansteckungsgefahren jedoch seien unübersehbar und dramatisch. Wenn jetzt das Signal gegeben würde, dass anhaltende Misswirtschaft dauerhaft durch Stützungszahlungen aus dem Ausland belohnt wird, könnte das schwerste Verwerfungen nach sich ziehen. Die Zahlen sprächen eine unmissverständliche Sprache: Ein auf Zypern, Portugal und Spanien erweitertes „Hilfsprogramm“ nach dem fatalen Muster Griechenlands, würde mehr als 5 Billionen (!!) Euro verschlingen – Geld, das niemand hat und das auch nicht einfach ungestraft „gedruckt“ werden könnte…

Eine „atmende Währungsunion“, die den einzelnen Staaten ein gewisses Maß an Währungsautonomie gewährte, hält Sinn für das wünschenswerte und nachhaltig funktionierende Modell der Zukunft. Dass die Gemeinschaftswährung – wie derzeit – daran Schuld trägt, Gräben zwischen den Völkern aufzureißen, läge sicher nicht im Sinne deren Erfinder und Befürworter…

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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