Der Grundsatzerlass Sexualerziehung des Bildungs- und Frauenministeriums

Am 23. März 2015 hat das Bundesministerium für Bildung und Frauen den Entwurf für eine Aktualisierung des Grundsatzerlasses „Sexualerziehung in den Schulen“ an Experten und Elternverbände mit der Bitte um Stellungnahme weitergeleitet. Dabei handelt es sich um eine komplette Neufassung des Grundsatzerlasses von 1970, zuletzt gültig in der Fassung von 1990. Nach dem Willen der Bundesministerin Gabriele Heinisch-Hosek erfolgt diese Aktualisierung „auf dem Hintergrund aktueller internationaler Entwicklungen und Standards“, um damit eine … „bedarfsgerechte Strategie im Bereich der schulischen Sexualerziehung für eine von Vielfalt geprägte Gesellschaft“ umzusetzen.

Im Zusammenhang mit dem vorliegenden Entwurf und im Vergleich mit dem bisher geltenden Grundsatzerlass ergeben sich folgende Fragen:

  1. Wird der notwendigen Wertorientierung in der Sexualerziehung ausreichend Rechnung getragen?
  2. Inwieweit wird das Recht der Kinder berücksichtigt, von ihren Eltern geleitet zu werden?
  3. Wird dem Aspekt der Gefahrenabwehr ausreichend Rechnung getragen?
  4. Wie steht der vorliegende Entwurf zu den Formen sexuellen Missbrauchs, die von gewissen Strömungen der gegenwärtigen Sexualpädagogik ausgehen?
  5. Welchem geistigen Hintergrund ist der vorliegende Entwurf verpflichtet?

Wird der notwendigen Wertorientierung in der Sexualerziehung ausreichend Rechnung getragen?

„Die Sexualerziehung soll nicht wertfrei sein“, wird im noch geltenden Grundsatzerlass von 1990 festgestellt. Die „Schule habe die Aufgabe, mit einer … werterfüllten Orientierung an der Bewusstseinsbildung der Schüler und Schülerinnen in Fragen der Sexualität und Partnerschaft mitzuwirken.“ Zwar gebe es in „unserer pluralistischen Gesellschaft … in diesem Bereich keine einheitliche Auffassungen“, es seien aber „die Leitvorstellungen der verschiedenen Gesellschaftsgruppen zur Sexualerziehung sachlich darzulegen (Aufbau eines Wertewissens) und im Geiste gegenseitiger Achtung zu diskutieren. Die Schüler und Schülerinnen sollen erfahren, dass in einem Bereich, der die Intimsphäre des einzelnen Menschen berührt, ein Zusammenleben ohne sittliche Normen nicht möglich ist. Denn nur auf Grund seiner persönlichen Überzeugung fühlt sich der Mensch dafür verantwortlich, für den Nächsten Sorge zu tragen und auf den Partner/die Partnerin Rücksicht zu nehmen, sowohl in der Familie als auch in der Gesellschaft“.

Nur wenn „Kinder und Jugendliche … zu einer echten Wertordnung erzogen werden und gelernt haben, sich für wertvolle Ziele – auch unter manchen Opfern – einzusetzen“, könnten sie „den negativen Einflüssen der Umwelt- im Besonderen der Vermarktung von Sexualität … den nötigen inneren Halt und Widerstand entgegensetzen“.

Der neue Entwurf fällt hinsichtlich der Wertorientierung weit hinter den bestehenden Grundsatzerlass zurück. Hier wird lediglich konstatiert, dass „Sexualität … ein wertbesetztes Thema“ sei und es „nicht Aufgabe der Schule“ sei „bestimmte Werte vorzugeben“. Die Schule solle „dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche befähigt werden, eigene Wertvorstellungen zu entwickeln, wie auch zu erweitern“. Bereits die Rede von der Sexualität als einem „wertbesetzten“ Thema legt eine konstruktivistische Vorstellung von Ethik und Moral nahe. Dazu passend wird in dem vorliegenden Entwurf als „Pädagogische Haltung“ ein „konstruktivistischer Blickwinkel“ gefordert.

In ihrer zentralen Bedeutung für die Entwicklung des jungen Menschen und für das Zusammenleben in der Gesellschaft wird Sexualität nicht einfach nur mit Werten besetzt, sondern sie hat einen Wert, den es für die Schüler zu entdecken gilt. Zu meinen, beim Thema Sexualität Jugendliche befähigen zu können, eigene Wertvorstellungen zu entwickeln, ohne auf vorhandene Leitvorstellungen Bezug zu nehmen, erscheint aus entwicklungspsychologischer und bildungstheoretischer Sicht problematisch. Kinder und Jugendliche sind – wie im geltenden Grundsatzerlass zurecht festgestellt wird – auf die Vermittlung vorhandener Leitvorstellungen und sittlicher Normen angewiesen, die ihnen jenes Wertewissen vermitteln, das notwendig ist, um sich ein eigenes Urteil zu bilden, eine eigene Werteordnung zu entwickeln und dadurch in der Lage zu sein, eigene wertvolle Lebensziele „auch unter manchen Opfern“ zu verfolgen und gegenüber „negativen Einflüssen … Widerstand“ zu leisten.  

Wenn die von der deutschen Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), erarbeiteten „WHO-Standards für die Sexualaufklärung in Europa“ davon ausgehen, dass gleichsam empirisch, über sexuelle Erfahrungen „Normen und Werte in Bezug auf Sexualität“ entstehen, ist dem entgegenzuhalten, dass diese Standards nicht dadurch besser werden, dass sie mit dem Nimbus der Internationalität versehen sind. Sie haben keinerlei bindende Funktion gegenüber den Einzelstaaten.

In dem vorliegenden Entwurf ist von „Informationen, Fähigkeiten und Fertigkeiten“ die Rede, die den Schülerinnen und Schülern vermittelt werden sollen, damit diese mit ihrem sexuellen „Potential verantwortungsvoll … umgehen … können“. Zu fragen wäre hier, was mit „Informationen, Fähigkeiten und Fertigkeiten“ in Bezug auf Sexualität gemeint ist und wie diese zu Verantwortung führen sollen, wenn sie nicht in vorgegebenen und zu diskutierenden Wertekontexten erarbeitet und vermittelt werden?

Auch die im vorliegenden Entwurf aus den einschlägigen Publikationen der WHO und der International Planned Parenthood Federation (IPPF) angeführten Gemeinplätze wie „positiver Zugang zur menschlichen Sexualität“, „positive Grundhaltung sich selbst gegenüber“, „Orientierung an Gleichstellung der Geschlechter, an der Vielfalt der Lebensformen und an internationalen Menschenrechten“ haben nichts mit einer Wertorientierung zu tun, welche die Fähigkeit zur persönlichen Lebensgestaltung und zur Integration der Sexualität in die Gesamtpersönlichkeit fördert. Es kann nicht angehen, dass man sich in solch zentralen pädagogischen Fragen wie der Wertevermittlung von grundlegenden pädagogischen Erkenntnissen mit Berufung auf „aktuelle internationale Entwicklungen“ verabschiedet.

Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch, dass der noch geltende Grundsatzerlass von 1990 auf die besondere Notwendigkeit Bezug nimmt, mit den „Religionslehrern und Religionslehrerinnen … das Einvernehmen zu pflegen“. Die Religionen sind wichtige Vermittler von Werthaltungen und Wertewissen. Jugendliche, besonders die mit Migrationshintergrund, stehen oft in innerer Spannung zwischen den Normen und Werten ihrer Religion und denen der Gesellschaft. Immerhin gehören über 70 Prozent der in Österreich lebenden Menschen einer Religionsgemeinschaft an, so dass nicht einzusehen ist, warum nicht zum Wohle der Schüler und Schülerinnen auch in einer Neufassung des Grundsatzerlasses auf ein zu pflegendes Einvernehmen mit den Religionslehrern und Religionslehrerinnen hingewiesen werden sollte.

Während im bisher geltenden Grundsatzerlass noch davon die Rede war, dass die Schülerinnen und Schüler „zu einer echten Wertordnung erzogen“ werden und lernen sollen, „sich für wertvolle Ziele – auch unter manchen Opfern – einzusetzen“, geht der vorliegende Entwurf an keiner Stelle auf die empirisch gesicherten Zusammenhänge zwischen dem Sexualverhalten Jugendlicher und der Chance auf Verwirklichung ihrer vorrangigen Lebensziele ein, die nämlich auf Geborgenheit in einer Familie zielen. Die notwendige komplexe Integrationsleistung von Sexualität zur Verwirklichung dieser Lebensziele und ihre Auswirkung auf die nächste Generation findet keine Erwähnung.

Der vorliegende Entwurf wird der Notwendigkeit einer Wertorientierung in der Sexualerziehung nicht gerecht.

Inwieweit wird das Recht der Kinder, von ihren Eltern geleitet zu werden, berücksichtigt?

Der „Zusammenarbeit mit den Eltern“ ist in dem noch gültigen Grundsatzerlass von 1990 ein ganzer Abschnitt gewidmet. Dort heißt es u. a., dass die „Sexualerziehung … die primäre Aufgabe der Eltern/Erziehungsberechtigten“ sei. Von „steter Zusammenarbeit mit dem Elternhaus“ ist die Rede. Besonders für die Grundschule wird eine Abstimmung des Sexualkundeunterrichts mit den Eltern vorgeschrieben.

Dies soll erreicht werden durch Elternversammlungen, die Vorstellung von Unterrichtsmitteln und Lehrbehelfen, durch die Vorschrift, „ausreichend Gelegenheit zur Diskussion“ zu geben, und durch die Bestimmung, dass nach der Elternversammlung und vor Beginn des Sexualkundeunterrichts den „Eltern ausreichend Gelegenheit zum Gespräch mit ihren Kindern“ zu belassen sei.

In dem vorliegenden Entwurf kommen die Eltern nur noch am Rande vor. Die Kernaussagen des bisherigen Grundsatzerlasses über die vorrangige Verantwortung der Eltern im Bereich der Sexualerziehung und die ausführlichen Leitlinien für eine wirkliche Einbeziehung der Eltern fehlen völlig. Die Zusammenarbeit mit den Eltern wird nur noch allgemein unter dem Titel „Strukturelle Aspekte“ in einem Atemzug mit „außerschulischen Experten“, Schulärzten und Psychologen erwähnt.

Der Bereich Sexualität gehört zum intimsten und sensibelsten Bereich des Menschen. Mit ihren Eltern machen die Kinder die ersten Erfahrungen inniger körperlicher Nähe. Hier besteht ein großes, ja existenzielles Vertrauensverhältnis, eine Art vorstaatlicher und vorgesellschaftlicher Raum, in den nur im Falle der Gefahrenabwehr eingegriffen werden darf. Es ist daher naheliegend, dass das Thema Sexualität zunächst in den familiären Raum gehört und die Schule hierbei, zumindest bis zur Zeit nach der Pubertät, subsidiär zum Elternhaus steht. Da die Sexualität von grundlegenden Werthaltungen und Normen, die in der Familie vermittelt werden, nicht getrennt werden kann, sind hier Artikel 14 und 16 der „UNO-Konvention über die Rechte des Kindes“ berührt, die das Privatleben des Kindes und das Recht der Eltern betreffen, ihre Kinder bei der Ausübung des Rechts auf Gewissens- und Religionsfreiheit zu leiten.

Der vorliegende Entwurf berücksichtigt nicht die Bedeutung des Elternhauses für die Sexualerziehung und stellt gegenüber dem noch geltenden Grundsatzerlass grundlegende Kinder- und Elternrechte in Frage.

Wird dem Aspekt der Gefahrenabwehr ausreichend Rechnung getragen?

In dem bisher geltenden Grundsatzerlass wird ausdrücklich auf die „negativen Einflüsse der Umwelt – im Besonderen der Vermarktung von Sexualität“ hingewiesen, denen die Kinder und Jugendlichen „inneren Halt und Widerstand“ entgegenzusetzen lernen sollen. Danach sei es auch Aufgabe des Sexualkundeunterrichtes, durch Vermittlung von Wertewissen zur Wertorientierung und damit zur Abwehr negativer gesellschaftlicher Einflüsse beizutragen.

In dem vorliegenden Entwurf ist der Aspekt der Gefahrenabwehr kaum noch gegeben. Es wird hier lediglich unter dem Titel „Zusammenarbeit“ angefügt, dass sich „die Medienerziehung mit Sexualität in den Medien (unter anderem Pornographie, Sexting …)“ auseinandersetzen „kann“. Unter dem Titel „Vernetzung verschiedener Lebenswelten“ ist davon die Rede, dass die „Medien einen besonders großen Einfluss“ haben und „daher einer entsprechenden Auseinandersetzung und Reflexion“ bedürften.

Es werden also die Gefahren, die der sittlichen Entwicklung der Kinder und Jugendlichen von Seiten der Gesellschaft drohen, neutralisiert und aus dem Kontext der Werteerziehung herausgenommen. Angesichts der massenweisen Verbreitung von Pornographie und der Sexualisierung der Medienwelt, mit der die Jugend konfrontiert ist, erscheint es fahrlässig, diesem Phänomen keinen Platz in dem vorliegenden Entwurf zu geben. Dies wiegt umso schwerer, als sexuelle Gewalt in den Schulen in ganz Europa zunimmt, was nachgewiesenermaßen mit dem Medienverhalten der Jugendlichen in Zusammenhang steht.

Die Aspekte „Sexueller Missbrauch“ und „Sexuelle Gewalt“ haben im Grundsatzerlass 1990 noch keine Rolle gespielt. Der vorliegende Entwurf bemerkt zu diesem Thema lediglich, dass die Sexualerziehung „die Fähigkeit“ unterstütze, „sexuelle Beziehungen aufzubauen, die sich durch gegenseitiges Verständnis und Respekt für die Bedürfnisse und Grenzen des Gegenübers auszeichnen“ und dazu befähigen, „gleichberechtigte Beziehungen zu führen“. Dies trage „…dazu bei, sexuellem Missbrauch und sexueller Gewalt vorzubeugen“.

Die WHO-Standards, auf die sich der Entwurf hier bezieht, gehen sogar soweit, zu behaupten, dass eine frühzeitige sexuelle Selbstwahrnehmung einen Beitrag zur Gefahrenabwehr leisten könne. Dem ist entgegenzuhalten, dass sexueller Missbrauch oft über „sanfte Wege“ stattfindet und durch die frühzeitige Fähigkeit, sexuelle Beziehungen aufzubauen, eher begünstigt als verhindert wird. Nur klare Vorgaben darüber, was ein anderer darf oder nicht darf, und wie auf Übergriffe zu reagieren ist, können einen Beitrag zum Schutz vor Missbrauch sein.

Der vorliegende Entwurf sieht es im Gegensatz zu dem bisher geltenden Grundsatzerlass nicht mehr als Aufgabe des Sexualkundeunterrichtes an, im Kontext einer Werteerziehung zur Abwehr negativer gesellschaftlicher, insbesondere medialer Einflüsse beizutragen.

Wie steht der vorliegende Entwurf zu den Formen sexuellen Missbrauchs, die von gewissen Strömungen der gegenwärtigen Sexualpädagogik ausgehen?

Ein weiterer Aspekt der Gefahrenabwehr betrifft die Gefahren, die durch gewisse Formen des Sexualkundeunterrichts selbst entstehen. Dass es Strömungen in der Sexualpädagogik gibt, welche die Scham und das Anstandsempfinden von Kindern und Jugendlichen verletzen, in ihren Intimbereich eindringen und ihr Gewissen manipulieren wird gegenwärtig allgemein diskutiert und kann nur noch schwerlich bestritten werden, eine Entwicklung, die auch von namhaften liberalen Sexualwissenschaftlern kritisiert wird. Der vorliegende Entwurf weist genau in diese Richtung. Nach ihm soll die „Sexualerziehung … die Fähigkeit unterstützen, sexuelle Beziehungen aufzubauen“. Von „sexuellen Basiskompetenzen“ ist die Rede, die „im schulfähigen Alter von Kindern und Jugendlichen auf … sensorischer und körperlicher Ebene entwickelt“ werden sollen, ebenso wie von der „sexuellen Kompetenzentwicklung von Kindern“.

Dem ist entgegenzuhalten, dass die Aufforderung oder Anleitung zur sexuellen Selbsterfahrung niemals Gegenstand der Sexualpädagogik sein darf. Sie geht von falschen pädagogischen Voraussetzungen aus. Es wird eine Kontinuität zwischen kindlicher und erwachsener Sexualität unterstellt, die es so nicht gibt. Liebe ist nichts Homogenes. Neurobiologie und Entwicklungspsychologie bestätigen, dass die Module Sexualität und Beziehung nicht ident sind. Im Gegenteil, Kibbuz-Studien in Israel haben gezeigt, dass intensive Beziehungen in Kindheit und Jugend Sexualität hemmen. Das Beziehungsleben des Menschen von Geburt an, auch das sinnliche, hat zwar, wie wir wissen, ganz wesentlichen Einfluss auf die spätere Fähigkeit, die Sexualität zu integrieren und in einer Beziehung zu genießen, ist aber nicht selbst sexuell zu verstehen. Insofern bedeutet ganzheitliche Sexualerziehung eben nicht, eine sexualisierte Sicht von Beziehungen, sondern eine beziehungsorientierte Sicht von Sexualität.

Die Anleitung zur sexuellen Selbsterfahrung stellt eine „erzieherisch verbrämte Manipulation von Abhängigen“ und eine massive Grenzüberschreitung in die Intimsphäre von Kindern und Jugendlichen dar und verletzt das in der Pädagogik allgemein anerkannte Überwältigungsverbot. Es handelt sich zudem um eine Verletzung des Art. 8 der „Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten“ von 1950, der Österreich 1958 beigetreten ist, und die das „Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens“ beinhaltet.

Da es in Österreich bereits staatlich geförderte Grenzverletzungen der Intimsphäre und des Anstandsempfindens sowie Manipulation von Gewissensentscheidungen in der Sexualpädagogik gibt, wäre es eigentlich Aufgabe der Bundesregierung, diesem Skandal durch den neuen Grundsatzerlass Einhalt zu gebieten.

So findet sich z. B. auf der Homepage des vom Land Niederösterreich geförderten Sexualpädagogik-Projekts „Liebe usw.“ folgende Anleitung zur Masturbation für Mädchen: „Viele Mädchen streicheln zur Selbstbefriedigung die Klitoris, da sie sehr empfindlich ist. Die Klitoris ist etwa kirschkerngroß und befindet sich am oberen Ende der Vulva, dort, wo die Schamlippen zusammenkommen. Manchmal ist sie von einer kleinen Hautschicht bedeckt, die du wegschieben kannst, wenn du willst. Da die empfindlichen Nervenstränge auch entlang der Schamlippen verlaufen, ist es für viele Mädchen angenehm sich auch dort zu berühren. Es gibt Mädchen, die es bei der Selbstbefriedigung erregend finden, mit ihren Fingern in die Scheide zu greifen, andere reiben sich an Gegenständen. Das Berühren anderer sensibler Körperstellen (etwa die Brustwarzen oder der Anus) kann das Empfinden intensivieren. Selbstbefriedigung wird außerdem interessanter, wenn du nicht nur mit deinem Körper, sondern auch deinen Gedanken spielst: vielleicht gibt es Personen, Bilder oder vorgestellte Situationen die dich erregen, wenn du an sie denkst während du dich berührst. Sowohl für Burschen als auch Mädchen gilt: lass dir Zeit, spüre die Erregung, experimentiere und erforsche, was dir gut tut. Dadurch wird Selbstbefriedigung interessanter und du lernst dich und deine Wünsche besser kennen. Durch Selbstbefriedigung einen Orgasmus zu bekommen ist natürlich eine feine Sache, aber es ist nicht alles – der Weg ist das Ziel!“

In dem von der Oberösterreichischen Landesregierung finanzierten sexualpädagogischen Projekt „Lovetour“ zieht ein Bus mit außerschulischen „Experten“ durch die Lande. In einem Trailer hierzu halten Kinder und Jugendliche Schilder mit den Aufschriften „Vögeln“, „Anal“, „Oral“ und „Wichsen“ in die Höhe.

Die bekannten Gefahren einer Grenzverletzung der Kinder und Jugendlichen durch bestimmte Formen von Sexualkundeunterricht selbst werden in dem vorliegenden Entwurf nicht reflektiert. Im Gegenteil wird durch den Bezug zur sogenannten „Sexualaufklärung unter Einbeziehung des Körpers“ einem Missbrauch durch Sexualkunde Tür und Tor geöffnet.

Welchem geistigen Hintergrund ist der vorliegende Entwurf verpflichtet?

Der vorliegende Entwurf beruft sich auf die von der deutschen Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) erarbeiteten und 2011 erschienenen „WHO-Standards für die Sexualaufklärung in Europa“, die von der WHO 2006 definierten „Sexuellen Rechte“ und die von der International Planned Parenthood Federation (IPPF) entwickelten Rahmenrichtlinien für die Sexualerziehung.

In diesen Erklärungen wird Sexualität im Rückgriff auf triebmythologische, an Wilhelm Reich erinnernde Vorstellungen mit allgemeiner Lebensenergie gleichgesetzt und eine Sexualaufklärung und sexuelle Selbsterfahrung ab der Geburt gefordert. Sexualität erscheint als ein von Fruchtbarkeit und verbindlichen Beziehungen wie Ehe und Familie abgelöstes Konsumgut. Die einzige Ethik, so es sich nicht um Autoerotik handelt, besteht in Einvernehmlichkeit.

Ein Bezug zu einer dauerhafte Liebesbeziehungen ermöglichenden Persönlichkeitsbildung, für die eine komplexe Integrationsleistung hinsichtlich der Sexualität notwendig wäre, kommt nicht vor. In den Verlautbarungen der genannten Organisationen geht es in erster Linie um Informationen und Aufklärung, Gesundheit, sexuelle Selbstbestimmung sowie gefahrlosen Genuss.

Der deutsche Sexualwissenschaftler Uwe Sielert, der die sogenannte „Sexualpädagogik der Vielfalt“ im deutschsprachigen Raum maßgeblich etabliert hat, seit Jahren mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung verbunden ist und die WHO-Standards wesentlich mitgeprägt hat, wünscht sich eine Dekonstruktion aller vorgegebenen Zusammenhänge von natürlichem Geschlecht, Gender, dem subjektiv empfundenen Geschlecht, und dem sexuellen Begehren. Er möchte die „Generativität und Kernfamilie denaturalisieren“ und sämtliche sexuelle Identitäten, auch die der Homosexuellen radikal in Frage stellen.

Für die Pädagogik bedeutet dies, dass „sexuelle Vielfalt“ und „Vielfalt der Lebensformen“ zu Leitbildern erklärt werden, die laut WHO-Standards den Kindern vom Anfang ihrer Sprachfähigkeit an vermittelt werden sollen. Sielert steht zudem für eine Sexualpädagogik, die sexuelle Erregung von Kindern in den Sexualkundeunterricht mit einbeziehen will. Eine Sexualpädagogik, die auf seinen „väterlichen Freund“, den pädosexuellen Aktivisten Helmut Kentler zurückgeht.

Der vorliegende Entwurf ist dem Menschenbild der Gendertheorie mit der Unterscheidung von natürlichem und gefühltem Geschlecht verpflichtet, einem Konzept, das entwicklungspsychologisch und verhaltensbiologisch mehrfach wiederlegt wurde und als unwissenschaftlich und ideologisch bezeichnet werden kann. Dieser radikalemanzipatorische Ansatz wird vor allem von Sozialwissenschaftlern vertreten.

Unter den von der Ministerin Heinisch-Hosek in der Beantwortung einer Parlamentarischen Anfrage genannten, für den Entwurf verantwortlichen sieben Beiratsmitgliedern befindet sich ein Erziehungswissenschaftler und eine Gynäkologin. Alle anderen Mitglieder kommen aus dem Bereich Klinische Psychologie oder Sozialarbeit, ein Mitglied ist Sprecherin der Sozialistischen Jugend Österreichs, ihr Beruf konnte im Internet nicht recherchiert werden. Der Ansatz der Ministerin steht für eine einseitig hedonistische Sexualmoral und so für eine Sexualpädagogik ohne Bindungsorientierung. Die Anzahl der Österreicherinnen und Österreicher, die diese Theorie kennt oder gar mit ihr etwas anfangen kann, ist gering. Es gibt schon seit geraumer Zeit Tendenzen, diese Theorie zur Grundlage der Sexualpädagogik in Österreich zu machen.

Abschließende Überlegungen

Der vorliegende Entwurf und die bisherige Unterstützung von Projekten wie z. B. den Unterrichtsmaterialien „Ganz schön intim“ von 2013 geben zu der berechtigten Sorge Anlass, dass der gesamte Sexualkundeunterricht nach dem Willen der Bundesministerin mit dem Gender-Theorierahmen unterlegt und „sexuelle Vielfalt“ und „Vielfalt der Lebensformen“ als allgemein zu akzeptierende Leitbilder vermittelt werden sollen. Solche holistischen Ansprüche werden von den Protagonisten des beschriebenen sexualpädagogischen Ansatzes im Allgemeinen mit Gleichstellung, Toleranz, Nichtdiskriminierung und Akzeptanz von Menschen mit verschiedenen sexuellen Orientierungen und Identitäten gerechtfertigt. Im vorliegenden Fall spricht die Ministerin von einer „bedarfsgerechten Strategie im Bereich der schulischen Sexualerziehung für eine von Vielfalt geprägte Gesellschaft“.

Dem ist entgegenzuhalten, dass es keinen Anlass gibt, die allgemeinen Werte der Toleranz, Nichtdiskriminierung und Gleichstellung, durch eine flächendeckende und alternativlose Vermittlung des Theoriekonstrukts sexueller Diversität in den Schulen zu untermauern. Mit der traditionellen Zweigeschlechtlichkeit geht das genauso, denn z. B. homosexuell empfindende Menschen beiderlei Geschlechts, stellen in der Regel ihr Geschlecht gar nicht in Frage und Transsexuelle Menschen sind gerade dadurch, dass sie sich dem anderen Geschlecht zugehörig fühlen, auf eines der beiden Geschlechter bezogen. Sie alle, wie auch intersexuelle Menschen, die unter Störungen der Differenzierung ihrer Geschlechtsorgane leiden, dürfen nicht für die Gendertheorie instrumentalisiert werden.

Auch für das Konzept der „sexuellen Vielfalt“ und „Vielfalt der Lebensformen“ als allgemein zu akzeptierende gesellschaftliche Leitbilder gibt es unter dem Aspekt der Toleranz und Nichtdiskriminierung keinen zwingenden Grund. Kinder leben in unserer Gesellschaft zu 75 Prozent bei ihren leiblichen Eltern und sind zu nahezu 100 Prozent in ihrem Herkunfts-Narrativ auf Vater und Mutter bezogen. Auch homosexuelle und transsexuelle Menschen sind in ihrem Herkunfts-Narrativ auf Vater und Mutter bezogen, die für sie Bedeutung haben.

Zudem stecken hinter der „Vielfalt der Lebensformen“ häufig Brüche und Leid, die von niemandem primär angestrebt werden und die die betroffenen Kinder belasten, deren Leid man nicht durch Euphemismen unter den Teppich kehren sollte. Dass in diesem Bereich bereits staatlich geförderte Manipulation stattfindet, zeigen die Unterrichtsmaterialien „Ganz schön intim“. In ihr werden 16 Familienbilder gezeigt, von denen lediglich zwei die einfache Familienstruktur von Vater, Mutter und Kindern zeigen. Diese beiden Bilder sind jeweils mit einem ironisierenden Untertitel versehen. 

Schwerer allerdings als die oben genannten Argumente wiegt, dass die vorgesehene weltanschauliche Unterlegung des Sexualkundeunterrichts gegen das allgemein anerkannte Indoktrinationsverbot in der Schule und gegen das Gebot der Kontroversität verstößt, nach denen die Vermittlung unterschiedlicher wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Sichtweisen es den Schülern und Schülerinnen ermöglichen soll, sich frei eine eigene Meinung bilden zu können. Demnach ist der geistige Hintergrund, der dem vorliegenden Konzept des Sexualkundeunterrichts unterlegt ist, den Schülerinnen und Schülern bestenfalls als eine Anschauung unter anderen zu vermitteln. Auch „Sexuelle Vielfalt“ und „Vielfalt der Lebensformen“ können nicht unvermittelt als zu akzeptierende gesellschaftliche Leitbilder gelehrt werden. Es handelt sich bei ihnen um Realitäten, die in einer freien Gesellschaft zu tolerieren sind, über die aber ganz unterschiedliche Auffassungen bestehen, die anhand wissenschaftlicher Fakten vermittelt werden müssen. Andernfalls bestünde die Gefahr, zu längst überwunden geglaubten totalitären pädagogischen Konzepten zurückzukehren.

In den Volksschulen, wo Kontroversität nicht möglich ist, ist es ausgeschlossen, den Ansatz der sexuellen Diversität zu unterrichten, ohne die Kinder weltanschaulich zu manipulieren. Auch dürfen in keiner Weise sexuelle Empfindungen von Kindern „pädagogisch aufgegriffen“ werden. Kinder vor der Pubertät haben noch keinen internen Zugang zur Sexualität als eigenständige Realität. Deshalb muss der Sexualkundeunterricht ganz an der Fruchtbarkeit anknüpfen.

Abschließend kann festgehalten werden, dass der vorliegende Entwurf zur Neufassung des Grundsatzerlasses „Sexualerziehung“ von einem wissenschaftlich fragwürdigen Menschenbild der Gendertheorie ausgeht, das in manipulativer Weise unter dem Deckmantel der Toleranz und Nichtdiskriminierung unreflektiert an die Schüler und Schülerinnen herangetragen werden soll. Er verstößt damit gegen das Neutralitätsgebot des Staates, gegen Kinder- und Elternrechte und gegen anerkannte pädagogische Prinzipien wie das Indoktrinationsverbot und das Kontroversitätsgebot. Zudem ist dieser Entwurf dazu geeignet, Formen von Sexualkundeunterricht zu begünstigen, die selber Missbrauch an Kindern und Jugendlichen darstellen.

Der gesamte Text, insbesondere mit ausführlichen Quellenangaben, findet sich auf dieser Seite.

Dr. med. Mag. phil. Christian Spaemann ist Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapeutische Medizin.

zur Übersicht

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)

Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print



© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung