Nicht füttern, nicht reizen

Sommer 1968. Die Wiener Aktionisten Otto Muehl, Günter Brus, Peter Weibel und Oswald Wiener stehen auf der Bühne im Hörsaal 1 der Universität Wien und onanieren, urinieren und kotzen. 300 Besucher und Journalisten sehen ihnen dabei zu. Das Quartett beschmiert sich mit der eigenen Scheiße, besudelt die österreichische Fahne und singt die Landeshymne. Ein großer Skandal, was für ein Tabubruch.

Provokation war bei den linken fortschrittlichen Kräften damals groß in Mode. Zu befürchten hatten die „wilden Hunde“ natürlich nichts. Diese postpubertären Aktionen erforderten keinerlei Mut, sondern nur einen ausgeprägten Hang zum Exhibitionismus. Das hat sich bewährt. Allerdings gehen heute ein entblößter Penis oder nackte Brüste auf einer Theaterbühne selbst bei bestem Willen nicht mehr als Provokation oder gar mutig durch, schließlich sollen heute schon kleine Kinder in der Schule lernen, wie man einen Dildo oder Liebeskugeln benutzt. Was früher ein revolutionierter, künstlerischer Akt war, um das Bürgertum zu schockieren und aufzurütteln, ist heute nur noch langweilig und miefig.

Provokation und Tabubruch gehen heute anders, ganz anders. Heute provoziert, wer ernsthaft für Demokratie und westliche Werte eintritt, eine bestimmte Religion oder das politisch-mediale Machtkartell kritisiert und die politisch-korrekten Dogmen hinterfragt. Die linken und fortschrittlichen Kräfte, welche die Deutungshoheit in unseren Gesellschaften errungen haben, können mit Provokation deshalb nichts mehr anfangen.

Für sie ist diese mittlerweile gleichbedeutend mit Hetze, Populismus, Dummheit, Verantwortungslosigkeit, etc. Die neuen Provokateure vergiften das Klima im Land, wollen zum Hass aufstacheln oder das Zusammenleben gefährden, man kennt die politisch-korrekten Bannsprüche ohnehin zur Genüge.

Die neosozialistische Einheitsfront gibt sich größte Mühe, um sie zu marginalisieren und zusehends auch zu kriminalisieren. Da waren die „Spießbürger“ aus den 60er Jahren noch um einiges toleranter.

Im wichtigsten österreichischen Nachrichtenmagazin, im Profil, schreibt das ehemalige Mitglied der Gruppe Revolutionärer Marxisten, der Journalist Georg Hoffmann-Ostenhof: „Über Religion soll man sich schon lustig machen – aber bitte über die eigene. (…) Veräppelungen der islamischen Religion wären besser nicht gemacht worden. Das kann man auch meinen, wenn man absolut gegen jedes Verbot, für Meinungsfreiheit und somit für das Recht auf Blasphemie eintritt.“

Ja, ja, ganz sicher, man ist natürlich für Meinungsfreiheit, aber eben nur solange, solange es sie gratis gibt. Auch der Althippie und Karikaturist Gerhard Haderer, der gerne Christen provoziert und verarscht, schwurbelt nach dem Blutbad in Paris zwar viel über Mut und Meinungsfreiheit; das Rückgrat, den Islam zu kritisieren oder gar den Propheten zu karikieren, hat er aber nicht: „Wie geht es den vielen Muslimen, die bei uns leben? Nehmen wir doch darauf Rücksicht, dass wir eine Gemeinschaft haben, für die wir die Regeln wieder definieren müssen.“

Toleranz und Verständnis als Maske, um Feigheit und Angst zu verbergen. Diejenigen, die sich so gerne über die diffusen Ängste der Rechten echauffieren, haben die Hosen gestrichen voll, weil sie wissen, dass die Ängste so diffus nicht sind. Und deshalb haben direkt nach dem Anschlag zwar fast alle Politiker und Medien erklärt, man werde nicht zurückweichen, obwohl man den Rückwärtsgang längst eingelegt hat. Man spielt Demokratie und Courage – aber das Publikum wendet sich in Scharen von der Schmierenkomödie ab. Nicht die Islamisten vergiften das Klima, sorgen für Spannungen und Unruhe, sondern Pegida und all die anderen unverbesserlichen Demokraten und Unruhestifter.

Sie sollen endlich Ruhe geben, denken sich die einstigen Provokateure, schließlich will man noch, solange es eben geht, angstfrei und gemütlich seine spießige politisch-korrekte Idylle mit derselben Geisteshaltung wie vor 40 Jahren in der netten Altbauwohnung bei einem guten Glas Rotwein genießen. Deshalb bitte keine islamistischen Anschläge mehr provozieren, so wichtig sind Demokratie und Freiheit nun auch wieder nicht.

Werner Reichel ist Journalist und Autor aus Wien. Kürzlich sind seine neuen Bücher „Die Feinde der Freiheit“ und „Das Phänomen Conchita Wurst: Ein Hype und seine politischen Dimensionen“ erschienen.

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