Anmerkungen zur Bertelsmann-Studie über Zuwanderungsgewinne

Im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung hat Prof. Holger Bonin vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH (Mannheim) eine Studie über den „Beitrag von Ausländern und künftiger Zuwanderung zum deutschen Staatshaushalt“ erstellt. Diese Studie wurde in einem Teil der österreichischen Medien euphorisch rezipiert.

„Deutschland: Milliardengewinn durch Zuwanderung“ (Die Presse vom 27.11.2014), „Studie: Zuwanderer in Deutschland bringen Sozialkassen Milliarden“ (Kleine Zeitung vom 27.11.2014). In den deutschen Medien sowieso, nur zB: „Ausländer füllen deutsche Sozialkassen“ (Die Welt, 27.11.2014), „Der Sozialstaat profitiert“ (TAZ, 27.11.2014), „Heißt die Einwanderer willkommen“ (ZeitOnline, 2. Dezember 2014), „Milliardenentlastung für Sozialkassen. Studie: Zuwanderer bringen viel mehr als sie kosten“ (Focus, 27.11.2014), „Zuwanderer bringen Deutschland Milliarden“ (Süddeutsche, 27.11.2014), „Mehr Einnahmen als Ausgaben: Ausländer bringen Deutschland Milliarden“ (Spiegel, 27.11.2014), „Ausländer füllen deutsche Sozialkassen“ (tagesschau.de vom 27.11.2014).

Der große Jubel wurde an dem Studienergebnis festgemacht, die 6,6 Mio „Ausländer“ (also ohne Eingebürgerte) in Deutschland brächten dem Staat einen „Nettogewinn von 3.300 Euro pro Kopf. 22 Milliarden Euro haben Ausländer im Jahr 2012 insgesamt beigetragen; Deutschland profitiert finanziell also beachtlich von seiner ausländischen Wohnbevölkerung“ (so in der Zusammenfassung der Studie durch die Bertelsmann Stiftung, Seite 1).

Doch näheres Hinsehen lohnt sich:

Die kolportierten 3.300 Euro pro Kopf für das Jahr 2012 errechnen sich aus dem „Wert der gezahlten Steuern und Beiträge“ verglichen mit dem „Wert der individuell zurechenbaren Transfers“ (so die Studie, Seite 27; für Deutsche ergäben sich demgegenüber nach der gleichen Berechnungsmethode sogar 4.000 Euro). Doch die Bertelsmann/Bonin-Studie selbst relativiert sogleich, dieser „aktuell günstige Finanzierungsbeitrag“ hängt „an der vorteilhaften Altersstruktur dieses Bevölkerungsteils, in dem die Beitrags- und Lohnsteuerzahler im Erwerbsalter momentan verhältnismäßig stark, die Transferempfänger im Rentenalter dagegen relativ schwach vertreten sind“ (aaO 27).

Kurzum: In dieser Rechnung werden bei den tendenziell jüngeren Ausländern u.a. die aktuellen Pensionsbeiträge zwar einkalkuliert, die erst künftig fällig werdenden Pensionsansprüche (auch Zuwanderer werden bekanntlich alt) aber nicht berücksichtigt. Die Studie nennt das „Cash-Flow-Bilanzierung“, also eine momentbezogene Einnahmen-Ausgabenrechung.

Um diesen Effekt zu bereinigen, errechnete die Bertelsmann/Bonin-Studie auch „Generationenkonten“, also die Umlegung der Bilanz auf die Lebensdauer. Und da fällt das Ergebnis dann schon anders aus. Die Bertelsmann/Bonin-Studie wörtlich (Seite 30): „Ausländer, die 2012 geboren wurden, werden unter Status-quo-Bedingungen über den gesamten Lebenszyklus hinweg im Gegenwartswert durchschnittlich rund 44.100 Euro mehr an Transfers erhalten, als sie an Steuern und Beiträgen zahlen. Dagegen erbringen die 2012 geborenen Deutschen einen deutlich positiven Finanzierungsbeitrag zu den öffentlichen Haushalten. Sie zahlen im Lebensverlauf durchschnittlich rund 110.800 Euro mehr an Steuern und Beiträgen, als sie an individuell zurechenbaren Transfers empfangen.

Daher gelte „für die in Deutschland neu geborenen Ausländerkinder[:] Verhielten sich diese vollständig wie ihre Eltern, würden sie, wie eine unter Status-quo-Bedingungen erstellte Generationenbilanz zeigt, zu einer Belastung für den Sozialstaat“ (aaO 54). Davon las man allerdings in den Medien nichts.

Wenn man den Steuern und Beiträgen der Ausländer in Deutschland nicht bloß die ihnen individuell zurechenbaren Transfers gegenüberstellt, sondern auch einen Anteil an den allgemeinen Staatsausgaben, so kommt die Bertelsmann/Bonin-Studie zu folgender Einschätzung (Seite 56): „Stellt man den Ausländern gemäß ihrem Bevölkerungsanteil einen Anteil an den allgemeinen Staatsausgaben – Verteidigung, Straßenbau etc – in Rechnung, gerät die fiskalische Bilanz ins Defizit. Pro Kopf beträgt dieses implizite Finanzierungsdefizit 79.100 Euro je Ausländer. Auch bei den Deutschen ergibt sich bei dieser umfassend vorausschauenden Rechnung ein solcher Fehlbetrag. Mit 3.100 Euro pro Kopf der deutschen Wohnbevölkerung fällt er wegen der besseren Steuer-Transfer-Bilanz dieses Bevölkerungsanteils allerdings markant niederiger aus.

Die Bertelsmann/Bonin-Studie differenziert weiterhin zwischen dem bereits vorhandenen Ausländerbestand in Deutschland (Zahlen siehe vorhin) und „künftiger Zuwanderung“ und kalkuliert verschiedene Zuwanderungsszenarien, darunter ein so genanntes Basisszenario. „Als Basisszenario dient eine Konstellation, in der die künftigen Zuwanderer dieselben Steuer- und Transferprofile annehmen wie die im Basisjahr in Deutschland lebenden Ausländer, also im Vergleich zum Durchschnitt der deutschen Bevölkerung niedrigere Beschäftigungsquoten und geringere Einkommen erreichen“ (so die Studie, Seite 39), mit anderen Worten die Fortschreibung der vergangenen Zuwanderungspolitik.

Die Studie kommt für dieses Basisszenario zu klaren Ergebnissen: Es ergibt sich „als Diagnose, dass künftige Zuwanderer, soweit das Niveau der von ihnen geleisteten Steuer- und Beitragszahlungen und der empfangenen Transfers dem der aktuell in Deutschland lebenden Ausländer entspricht, bei einer intertemporalen Rechnung keine Entlastung, sondern eine Belastung für den öffentlichen Gesamthaushalt darstellen“ (Seite 40). Und: „Aus den Ergebnissen des Basisszenarios folgt, dass es für die Aufnahmegesellschaft unter dem Gesichtspunkt der Wirkung auf die öffentlichen Finanzen lohnend wäre, sich gegen Zuwanderung abzuschotten“ (Bertelsmann/Bonin-Studie, Seite 43).

Interessant, aber auch davon las man in unseren Medien nichts. Die Studie hält daher – wenig überraschend – eine Tendenz zu einer mehr qualifizierten Zuwanderung als in der Vergangenheit für angezeigt. (Über die eigentlich ebenso nahe liegende, durch die Zahlen geradezu indizierte Alternative, auf verstärkte indigene Regeneration hinzuwirken, schweigt die Studie, doch die Zahlen sprechen ohnehin für sich.)

Doch zurück zur Qualität der Zuwanderung: Wie sich auch im internationalen Vergleich zeige, bedeute „die Zuwanderung von Geringqualifizierten in der Tendenz alles in allem eine fiskalische Belastung, während Zuwanderer, die dem Durchschnitt der einheimischen Bevölkerung ähneln oder sogar höher qualifiziert sind, auf Dauer eine spürbare fiskalische Entlastung hervorrufen“ (so die Studie, Seite 50). Wer hätte das gedacht?

Wie die Ergebnisse der Studie zeigen, ist die Voraussetzung für einen positiven Effekt künftiger Zuwanderung in der Gesamtbilanz öffentlicher Haushalte, dass die in Zukunft nach Deutschland kommenden Migranten ein mittleres Qualifikationsniveau erreichen. Damit wäre der künftige Strom der Zuwanderer deutlich besser qualifiziert als der aktuelle ausländische Bevölkerungsbestand“ (aaO 57). Interessant!

Variationen der für künftige Zuwanderer unterstellten Qualifikationsstruktur veranschaulichen, dass es sich lohnt, in die sorgfältige Steuerung der Zuwanderung nach humankapitalorientierten Kriterien zu investieren (...). Im ungünstigsten Extremfall, dass künftige Zuwanderer durchwegs so qualifiziert wären wie der Durchschnitt der ausländischen Wohnbevölkerung im Jahr 2012, würde die einheimische Bevölkerung durch weitere Zuwanderung belastet“ (so die Bertelsmann/Bonin-Studie, S. 58).

Im Ergebnis hätte das auch der so genannte „Stammtisch“, auf den die „Qualitätsmedien“ so gerne anspielen (so in diesem Zusammenhang zuletzt etwa Jakob Zirm in Die Presse vom 3.1.2015), nicht anders formuliert, nur vielleicht in der Diktion. Eigentlich ist die Studie, wenn man sie denn nur zur Gänze liest und zur Kenntnis nimmt, keine Bestätigung, sondern ein ziemliches Verdikt über die bisherige Zuwanderungspolitik in Deutschland.

Soweit einige Ergebnisse der Bertelsmann/Bonin-Studie, die ich hier bloß wörtlich für sich selbst habe sprechen lassen und die man leider in den österreichischen Leitmedien nicht lesen konnte. Dabei habe ich noch gar keine methodischen Fragen, etwa nach der Zuordnung von Kosten, angesprochen.

Weiterhin ist festzuhalten, dass sich die Studie auf fiskalische Effekte beschränkt. Nicht berücksichtigt – und auch viel schwieriger zu monetarisieren – sind volkswirtschaftliche Effekte. Nur ein Beispiel: Wenn es – was nicht unwahrscheinlich ist – in Folge von Sprachdefiziten eines Teils der Schulkinder zu einer Verzögerung des Unterrichtsfortschrittes im Pflichtschulunterricht mit der Konsequenz käme, dass am Ende der Pflichtschule der allgemeine Ausbildungsstand auch indigener Bevölkerungsteile im Vergleich zu einem Alternativszenario niedriger wäre: Wie kalkuliert man den Nachteil, den die Volkswirtschaft daraus in den nächsten Jahrzehnten nehmen könnte?

Dazu kommt: Nicht alles lässt sich in Geld messen. Was ist der Wert einer Gesellschaft ohne Ghettobildung in größeren Städten, ohne Parallelgesellschaften? Was ist der Lebenswert einer Gesellschaft ohne importiertes Terrorrisiko, ohne (zusätzliche) ethnische, religiöse, soziale etc. Spannungen und Bruchlinien? Was der Lebenswert einer Stadt, in der Männer und Frauen auch ab 10 Uhr abends durch alle Stadtteile unbehelligt und unbesorgt flanieren können? Was der Lebenswert von nicht zu dicht besiedelten Regionen? (Der wohl über jeden Verdacht erhabene Tarek Leitner meinte in seinem Buch „Mut zur Schönheit“, dass für Österreich eine Bevölkerung von nur drei Millionen auch ihre Reize haben könnte.) Wie viel fiskalisch nachhaltiger Überschuss, so es ihn gibt, muss anfallen, um diesbezügliche Verschlechterungen zu rechtfertigen?

Diese Wertungsfragen mag man unterschiedlich beantworten. Man wird aber nicht jeden, der diese Fragen als – neben der fiskalischen Frage ebenfalls – relevant und diskutabel ansieht, als „dumpfen Stammtisch“ und „xenophob“ abtun können. Viel Stoff also für die Zuwanderungsdebatte. Man sollte sie aber offen und ehrlich führen und nicht durch medial bloß selektiv kolportierte Studienergebnisse sowie die üblichen Keulenargumente abwürgen. Dem – angeschlagenen – Vertrauen in Regierungspolitik und Leitmedien würde es gewiss gut tun.

Univ.-Prof. Dr. Andreas Hauer lehrt Öffentliches Recht an der JKU Linz und beschäftigt sich seit Jahren unter anderem mit Fragen des Fremdenrechts.

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