Von Kopflosen und Geköpften

Ein jesidischer Schafbauer, den mordenden IS-Milizen nur knapp entronnen, berichtet einem westlichen Reporter seine schrecklichen Erlebnisse. Ein Mann musste sich niederknien und mit der Pistole am Kopf wollte man ihn zum Islam bekehren. Er weigerte sich und wurde erschossen.

Ein einfacher Mann verrät seinen Glauben und seine Überzeugung nicht, selbst im Angesicht des Todes, selbst als er in den Lauf einer Pistole blickt. Für die meisten der sozial umsorgten und umhegten Europäer ist das keine bewundernswerte, heldenhafte oder gar nachahmenswerte Haltung, sondern bloße Dummheit. Für seine Überzeugungen sterben? Bestenfalls in den  feuchten Träumen als mutiger Widerstandskämpfer zu Hitlers Zeiten oder gemeinsam mit dem Helden eines Romans oder Kinofilms. Aber im echten Leben, lächerlich. Dazu braucht es viel weniger als eine tödliche Bedrohung.

Seine Standpunkte und Ansichten richtet man an der veröffentlichten Mehrheitsmeinung aus. Man muss sich mit seinem politischen Einstellungen einfach wohlfühlen. Ideologie und Haltung sind, so wie Ernährung oder Sport, schlicht ein Wellnessfaktor. Und wenn man seine politischen Überzeugungen mit der weltanschaulichen Line der anspruchsvollen Leitmedien in Gleichklang gebracht hat und sich täglich seine Selbstbestätigung von Standard, Profil oder Armin Wolf abholen darf, steht einem erfüllten Leben nichts mehr im Wege. Das müssen viele Jesiden offenbar noch lernen, diese politisch-korrekte Geschmeidigkeit. Lieber ein biegsames Rückgrat als eine Kugel im Kopf.

Genau deshalb trägt man die gerade aktuelle und erwünschte politische Haltung und Weltsicht fruchtbar stolz wie eine Monstranz vor sich her. In der europäischen Spaßgesellschaft lebt man schließlich im Hier und Jetzt. Und wer nicht in der politisch-korrekten Meinungsparade mitmarschiert, wird geächtet und verachtet.

Dabei geht nicht um die Richtung, die die Parade einschlägt, sondern ums Marschieren. Überzeugungen und Denkrichtungen sind in Europa seit kurzem nicht mehr „nachhaltig“, sondern flüchtig. Oder, wie es Bundeskanzler Werner Faymann ausgedrückt hat, situationselastisch. Was man gestern noch vehement und lautstark gefordert oder verteidigt hat, wird, wenn erforderlich, am nächsten Tag wort- und emotionslos entsorgt.

Bisher war das nur selten notwendig, weil die politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Lage in Westeuropa über Jahrzehnte stabil war. Seinen geliebten Antiamerikanismus, den gepflegten Antikapitalismus und den stolz zur Schau gestellten Pazifismus konnte man völlig gefahrlos vertreten und ausleben.

Man kämpfte couragiert für Umweltschutz, Abrüstung, gegen Faschismus und kritisierte das reaktionäre Schweinesystem, weil es keinerlei Mut erforderte und der Staat immer gut auf seine protestierenden und revoltierenden Schäfchen aufgepasst hat. Wölfe waren in Westeuropa längst ausgerottet. Im deutschen oder österreichischen Rechtsstaat fühlte man sich, obwohl man ihn verachtet und bekämpft hat, geborgen. Auch pubertierende Kinder revoltieren gerne gegen ihre Eltern, allerdings stets in der Gewissheit, dass Mami und Papi immer zu ihren Sprösslingen halten werden.

Mit dem Scheitern der Multikultiideologie, dem Siegeszug des IS und der schnellen Verbreitung des Islams im Westen hat sich diese angenehme und stabile Grundkonstellation geändert. Aus dem jahrelangen Spiel ist ernst geworden. Plötzlich gibt es konkrete Gefahren und Bedrohungen, plötzlich sind die Feinde nicht mehr selbst erfunden und erdacht. In der politischen Sandkiste wird auf einmal scharf geschossen.

Nun erkennen langsam auch jene Medien, die seit vielen Jahren all jene, die den Islam, die europäische Einwanderungspolitik oder die Multitkulti-Ideologie kritisiert haben, als Nazis und Geistesgestörte abgetan haben: „Die Welt des Islamismus hat Deutschland längst erreicht“. Das hat der „Spiegel“ in seinem aktuellen Leitartikel festgestellt.

Das war auch schon vor fünf Jahren so, allerdings noch nicht ganz so offensichtlich und nur für jene erkennbar, die hingeschaut haben. Die politisch-korrekten Medien, die Politiker und die Bedenkenträger wollten aber nicht, jetzt müssen sie. Wegschauen fällt angesichts der Krawalle in Hamburg oder Celle, angesichts der vielen europäischen Gotteskrieger und den sich in allen größeren Städten formierenden Salafisten und Islamisten immer schwerer. Wohin man auch blickt, die Kacke ist am Dampfen.

Da kratzt selbst Bundespräsident Heinz Fischer all seine Mut zusammen und fiept in Richtung Jihadisten: „Die Toleranz stößt an Grenzen.“ Beim Köpfen ist sogar Fischer nicht mehr ganz so tolerant. Die linke Arbeiterkammer lädt gemeinsam mit dem noch linkeren Falter den Islamkritiker Hamed Abdel-Samad zu den Wiener Stadtgesprächen ein. Es tut sich was, die Tonlage ändert sich.

Die politisch-korrekten Politiker und Journalisten sind flexibel. Allerdings verbiegt man sich immer nur soweit, soweit es die aktuelle Lage gerade erfordert. Aktuell lautet die Parole: „Das hat nix mit dem Islam zu tun.“

Man tut so, als wären Islam und Islamismus zwei völlig verschiedene paar Schuhe. Das ist zwar vollkommen absurd, aber das kennt man ja. Auch Kommunismus/Sozialismus sind eine tolle Sache und haben überhaupt nichts mit den Verbrechen und Massenmorden in der Sowjetunion, China, Kambodscha, etc. zu tun. Mit dem politisch-korrekten Tunnelblick konzentriert man sich nur auf die „fehlgeleiteten“ und vom wahren Islam abgekommenen Extremisten.

Man will gar nicht wissen, wir viele heimliche Anhänger der IS in Europa mittlerweile hat, wie groß die Sympathien für ihn sind, was in den vielen Moscheen an Freitagen alles verkündet wird. Man will gar nicht wissen, wie viele europäische Jugendliche das Abschlachten von Ungläubigen geil finden, wie groß ihre Verachtung für die dekadenten und verweichlichten Europäer tatsächlich ist. Man duckt sich vor der Realität, solange es eben geht. Nein, das Problem sind nicht die wenigen hundert europäischen IS-Kämpfer, sie sind nur die Spitze des Eisbergs.

Salafismus/Islamismus sind eine neue Jugendbewegung in Europa, die gerade beginnt, das zu zertrümmern, was die 68er und ihre Epigonen seit ihrem Durchmarsch durch die Institutionen aufgebaut haben. Jetzt wird mit härteren Bandagen gekämpft. Viele, die durch gute Jobs, teure Wohngegenden und selektiv berichtende Medien noch immer weitgehend von der Realität abgeschirmt leben, haben das noch nicht begriffen.

Trotzdem macht sich nun auch in diesen Oasen leichte Unsicherheit breit. Denn auch das, was der durchschnittliche Gutmensch derzeit zu akzeptieren bereit ist, ist schon schlimm genug.

Deshalb wollen die pazifistischen Grünen jetzt auch die Bundeswehr in die Schlacht gegen den IS werfen. Es ist skurril, war aber vorhersehbar. Jene Partei, die gerne gegen deutsche Soldaten hetzt und die erst vor kurzem ein geplantes Gelöbnis der Bundeswehr in der Öffentlichkeit verbieten lassen wollte, schreit nun als erste und als lauteste nach einem Einsatz in Syrien.

Zugegeben, neu ist diese elende Geisteshaltung nicht. Einer der größte Feldherren seiner Zeit, Prinz Eugen von Savoyen, hat es einst so beschrieben: „Sie schreien nach uns um Hilfe, wenn ihnen das Wasser in das Maul rinnt, und wünschen uns vom Hals, kaum als einen Augenblick dasselbige verschwunden.“

Die Grünen sind nur solange pazifistisch, so lange die Konflikte fern und sie nicht selbst betroffen sind. Aber wehe die Einschläge kommen näher und die eigenen Ängste lassen sich nicht mehr mit friedensbewegtem Allerweltsgeschwurbel vertreiben und die kleine spießige Parkettboden-Altbauidylle ist in Gefahr, dann entsorgt man von einem Tag auf den anderen seinen bisher so stolz zur Schau getragenen Pazifismus. Wenn aus dem Spiel ernst wird, muss es eben Papi oder Mami wieder einmal richten.

Deshalb hört man zur Zeit relativ wenig von der sonst stets lauten und allseits beliebten Kritik am selbsternannten Weltpolizisten USA. Im Gegenteil. Den Europäern geht das Engagement der Amerikaner nicht weit genug. Doch mit Obama sitzt der bisher „europäischste“ US-Präsident im Weißen Haus. Für die Expansion des IS eine ideale Ausgangslage.

Die Einschläge sind schon ganz nahe gekommen. Das Schlachten findet direkt an der Grenze des EU-Beitrittskandidaten und Nato-Mitglieds Türkei statt. Und auch in Europa geraten immer öfter Kurden und Salafisten aneinander. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis es auch mitten in Europa kracht. Die Kampfzone wird von den Rändern ins Zentrum Europas ausgeweitet. Auch die „Spiegel“-Journalisten wissen das und sprechen sich selbst und ihren Lesern Mut zu: „Die Bundesrepublik kann sich wehren, so leise wie möglich und mit allen Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen.“

Oho, plötzlich steht die Arbeit der Geheimdienste wieder hoch im Kurs. Die Schlapphüte plötzlich in einer neuen glanzvollen Rolle, als Hüter von Freiheit und innerer Sicherheit. Das war bis vor kurzem noch ganz anders, als Edward Snowden eine regelrechte Hysterie bei den politisch korrekten Politkern und Medien ausgelöst hat. Jetzt dürfen und sollen die Geheimdienste wieder das machen, wozu sie da sind. Auch ein anderer Satz im aktuellen Leitartikel des „Spiegel“ ist bemerkenswert: „Sie (die Islamisten) lästern über das Land, das sie ernährt.“

Lästern ist zwar eine kleine Untertreibung, aber gut. Ist jetzt auch der „Spiegel“ ein Schande für Deutschland? Denn das klingt nämlich (Huch!) schon sehr nach AfD, nach bösem Rechtspopulismus.

Einen  ähnlichen U-Turn hat auch der ORF unlängst hingelegt. Als politisch korrektes Leitmedium hat er jahrelang jeden mit der Nazikeule verprügelt, der es wagte, Ausländer und Zuwanderung mit den Arbeitslosenzahlen irgendwie in Verbindung zu bringen. Da wurde laut aufgeheult, von dummen Milchmädchenrechnungen gefaselt und „Experten“ aufgeboten, die das widerlegen sollten.

Vor wenigen Tagen ist nun in einem ORF-Beitrag wie ganz selbstverständlich mehrmals erwähnt worden, dass der Zuzug von Ausländern für die extrem hohe Arbeitslosigkeit mitverantwortlich ist. Für all jene, die für solche Aussagen bisher fertig gemacht worden sind, der blanke Hohn.

Angesichts der selbst verschuldeten Krisen und Entwicklungen wechselt die politisch-korrekt Elite ihre Standpunkte und Meinungen wie ihre Unterwäsche. Das sollten auch all jenen Gruppen bedenken, die jetzt aus strategischen Gründen gerade von ihnen verhätschelt werden. Kein Transsexueller, kein Schwuler und auch nicht die Frauen sollten auch nur eine Sekunde lang glauben, dass diejenigen, die gerade noch lautstark für mehr Rechte für sie eintreten, das auch noch tun werden, wenn sich die Machtverhältnisse verschieben. Den Mut und die Überzeugung vieler Jesiden haben die wenigsten Europäer.

Werner Reichel ist Journalist und Autor aus Wien. Kürzlich sind seine neuen Bücher „Die Feinde der Freiheit“ und „Das Phänomen Conchita Wurst: Ein Hype und seine politischen Dimensionen“ erschienen.

 

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