Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (10 Euro pro Monat) ist jederzeit beendbar und endet extrem flexibel einfach durch Nichtzahlung. 

weiterlesen

Ist Wien noch zu retten?

Die Spitzhacke und die Abrissbirne sind zu den wichtigsten Symbolen Wiens geworden. Immer rascher und immer provozierender werden die Attacken auf sein Stadtbild. Ein Barockhaus, ein Gründerzeitensemble nach dem anderen wird abgerissen. Oder durch dreistöckige Beton-Glas-Aufbauten total entstellt. Immer mehr Wiener Bürger sind darüber empört. Und immer öfter fragt man sich: Warum nur?

Jetzt haben sich nicht weniger als 30 verschiedene Bürgerinitiativen zusammengeschlossen, die alle im Kampf zur Rettung wenigstens der letzten Reste des Stadtbildes entstanden sind. Sie veranstalten am 25. September eine gemeinsame Demonstration gegen die vielfältigen Zerstörungen, die von Hochhausprojekten im Stadtzentrum bis zu den Heurigen-Vororten reichen.

Absurderweise geht die Zerstörung ja gerade dort im Expresstempo voran, wo der Tourismus am meisten blüht. Diese Stadt zieht offenbar aus kurzfristiger Geldgier einer ihrer wichtigsten ökonomischen Existenzgrundlagen selbst den Boden unter den Füßen weg.

Dahinter stecken mehrere Gründe.

  1. Die Euro-Blase: Wenn man als Folge der europäischen Währungspolitik für sein Geld auf der Bank keinerlei Zinsen mehr bekommt, stecken es immer mehr Menschen in solches „Betongeld“.
  2. Oligarchen-Zuwanderung: Gerade an den attraktivsten Orten stößt man immer öfter auf russische oder ukrainische Oligarchen. Diese wollen alle – auch – in Wien einen Sitz haben. Sie wollen hier nicht nur das Leben genießen, sondern auch eine Bleibe haben, wenn ihnen daheim der Boden unter den Füßen zu heiß wird. Und sie haben anscheinend grenzenlos Geld.
  3. Architektengier: Da man als Architekt an der Ästhetik einer Stadt kaum verdienen kann, plädieren viele von ihnen für möglichst intensive „Modernisierungen“. An diesen können sie dann gut verdienen, obwohl sie zuvor als scheinbar objektive „Experten“ auftreten.
  4. Kulturverlust: Schönheits- und vergangenheitsbewusste Bewahrung von alten Ensembles ist im herrschenden Zeitgeist nicht „in“ und gilt als verzopft.
  5. Korruption: Anders als mit heimlichen und indirekten Geldflüssen sind viele Abriss- und Baugenehmigungen nicht erklärbar. Mit neuen Projekten ist viel Geld zu machen – auch wenn der Weg des Geldes nur selten zu sehen ist. Bauträger, Banken, Grundstückseigentümer, Baufirmen: Sie alle machen in die gleiche Richtung Stimmung.
  6. Ignoranz: All jene Branchen und Berufe, die von der historischen Schönheit Wiens leben, sind völlig stumm. Dabei leben sehr viele Menschen vom Tourismus oder der Veranstaltung von Kongressen, von der Luftfahrt und Gastronomie, im Verkehrsgewerbe oder im touristenorientierten Handel. Dabei hat der Städtetourismus angesichts der europaweiten Überalterung sogar sehr gute Perspektiven. Wien lebt jedoch von der Substanz und schützt diese viel zu wenig. Zum Unterschied etwa von Rom oder Paris, Florenz oder Bern, wo alle wichtigen Stadtteile bis zum Dach hinauf geschützt und unzerstört sind. Die Wiener Substanz ist eindeutig eine des 19. Jahrhunderts und der Zeit davor. Um Hochhäuser zu sehen, fährt man hingegen nicht nach Wien, sondern nach New York, Dubai, Hongkong, Shanghai oder ins Londoner Eastend.
  7. Marktfremde Altmietzinse: In Wien werden für viele alte Wohnungen (in denen oft auf vielen Quadratmetern alleinlebende Pensionisten wohnen) durch das geltende Wohnrecht nur Minimalmieten gezahlt. Dadurch wird viel Wohnraum verschwendet und das Angebot auf dem Markt verknappt. Dadurch werden zwangsläufig die Angebote für (meist junge) Wohnungssuchende unverhältnismäßig teuer. Gleichzeitig werden dadurch neue Bauprojekte besonders einträglich. Besonders absurd ist: Viele verwitwete Menschen würden gern in überschaubare kleinere Wohnungen übersiedeln – die sie sich aber nicht leisten können.
  8. Marktfremdes Wohnrecht: Im naiven Glauben, dadurch Wohnen billiger zu machen, wurde auch die Neuvermietung durch Gesetze „mieterfreundlich“ geregelt. Dadurch wurde aber das Vermieten für Haus- und Wohnungseigentümer so unattraktiv, dass sie Wohnungen oft nicht mehr vermieten, sondern lieber leerstehen lassen. Etwa falls Enkel sie einmal brauchen werden. Dadurch sind bald nur noch freifinanzierte und Eigentums-Wohnungen zu finden. In hohen Preisklassen.
  9. Schweigen der Opposition: Aus Gründen, die man nur vermuten kann, wird auch keine der Wiener Oppositionsparteien im Kampf gegen die Stadtzerstörung aktiv.
  10. Expansion: Das Rathaus will die Einwohnerzahl Wiens dramatisch erhöhen. Der grüne Planungssprecher hat die Vorgabe jetzt so formuliert: „Wien wächst innerhalb von 15 Jahren um die Bevölkerungszahl von Graz.“ Das macht absolut fassungslos. Die Politik nimmt offenbar einen solchen Bevölkerungszuwachs als Faktum und als unabwendbares Schicksal hin.

Dabei steht fest:

  • Wien hat eine besonders niedrige Geburtenrate. Diese liegt weit unter dem für ein Gleichbleiben der Bevölkerungszahl notwendigen Prozentsatz. Wien müsste also diesem Wert zufolge rapide schrumpfen.

  • In ganz Österreich wandern (vor allem als Folge der hohen Steuern und der fehlenden Dynamik) seit Jahren mehr Staatsbürger ins Ausland ab, als aus diesem wieder zurückkehren.

  • Wien hat die weitaus größte Arbeitslosigkeit Österreichs. Arbeitslosigkeit ist aber ganz sicher kein Motiv, in eine Stadt zuzuwandern, außer man wird durch (langfristig freilich völlig unfinanzierbare) Wohlfahrtsleistungen angelockt.

     

  • Immer mehr Betriebe wandern angesichts der hohen Abgabenlast in andere Bundesländer oder gleich ins Ausland ab.

Ich schreibe regelmäßig Kommentare für die unabhängige und rund um die Uhr aktuelle Informationsseite „Vienna.at“.

 

zur Übersicht

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)

Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print



© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung