Europa auf der Verliererstraße?

Was ist wirklich Gift für Europas Wirtschaft? Was hat die letzte große Krise entstehen lassen? Und wie kann sie bewältigt werden?

Diese Fragen standen bei einer auf dem Campus der Wiener Wirtschaftuniversität abgehaltenen Podiumsdiskussion im Zentrum. Univ. Prof. Josef Zechner von der WU stellte die wichtigsten Funktionen von Kapitalmärkten dar:

  • „Pooling“ von Kapital
  • Geographischer und zeitlicher Transfer von Kapital
  • Begrenzung und Absicherung von Risiken
  • Informationsproduktion zur Kapitalallokation.

Dem folgte ein Katalog von „Giften“ für die Realwirtschaft:

  • Exzessive Verschuldung
  • Blasenbildungen und daraus resultierende
  • Systemische Risiken und letztlich
  • Teure Bankenbailouts.

Der Bankenbereich in Europa spiele bei der Kapitalbereitstellung eine erheblich größere Rolle als in den USA, wo diese Aufgabe in weit stärkerem Maße von den Börsen übernommen werde. Gemessen am BIP belaufe sich die Bankenfinanzierung der Wirtschaft in Europa auf 360 Prozent, in den USA aber auf weniger als 90 Prozent.

Durch den übermächtigen Bankensektor käme es in Europa zum Phänomen des „Too big to fail“ und damit zur Erpressbarkeit der Politik. Eine starke Börsenfinanzierung der Wirtschaft bringe indes wieder andere Probleme mit sich. Die Frage, welches System „besser“ ist, sei aus akademischer Sicht nicht eindeutig zu beantworten. Für die Finanzierung von Innovationen scheinen Finanzierungsmodelle abseits der Banken allerdings überlegenswert zu sein.

Haftungsbeschränkungen bilden grundsätzlich Risikoanreize. Ebenso Einlagen- oder Kapitalgarantien. Wer sicher sein kann, dass im Fall der Fälle der Steuerzahler für Verluste geradesteht, hat keinerlei Motive, vorsichtig zu investieren. Als Paradebeispiel dazu führte Zechner das Debakel der Hypo Alpe-Adria an, bei der die Eigentümer völlig ungeschoren blieben. Die üblichen Modelle zur Entlohnung des Managements (Beteiligung an Gewinnen, nicht aber an Verlusten) hätten ebenfalls die Tendenz zur Risikoverstärkung.

Erstes Mittel der Wahl zur Steigerung der Systemstabilität sei die Erhöhung des Eigenkapitalanteils der Banken, die keineswegs, wie vielfach behauptet, notwendigerweise zur Kreditrestriktion führen müsse. Europa bedürfe jedenfalls der Einführung klarer Regeln für die Bankenabwicklung. Die Zahl der in konkurrierenden Wirtschaftsräumen erteilten Patente korreliere eindeutig mit der Verfügbarkeit von „Venture Capital“. 2013 seien in den USA 154.503 Patente erteilt worden, in Europa dagegen nur 30.425. Hier bestehe gewaltiger Aufholbedarf. Alleine von Mitarbeitern und Schülern der Universität in Stanford würden jährlich rund 500 (!) Unternehmen gegründet. Etwas Vergleichbares suche man in Europa weithin vergeblich…

Der für seine unverblümten Äußerungen bekannte Chef der Erste Bank, Andreas Treichl, stellte klar, dass die Urheber der 2008er-Krise in den USA beheimatet wären und verwendete dazu folgendes Gleichnis: „Stellen Sie sich vor, in Brasilien werden vergiftete Bananen produziert und nach Europa exportiert. Dort werden diese Bananen konsumiert. Wer ist für den entstehenden Schaden verantwortlich – jene Gangster, die die Bananen produzieren und verkaufen, oder die Deppen, die sie essen? Ich meine, die Produzenten sind schuld!“

So hätten die US-Banken den Europäern „vergiftete“ Finanzprodukte angedient, welche die in ihrer Dummheit nicht als solche erkannt und arglos gekauft hätten. Und weiter: „Wir haben den Schas (sic!) nicht erfunden!“

Europa habe sich – verglichen mit allen anderen Wirtschaftsräumen – deutlich schlechter vom Debakel des Jahres 2008 erholt, obwohl dieses von den USA ausgegangen sei. Den Grund dafür erblickt Treichl in der dort herrschenden völlig anderen Art der Unternehmensfinanzierung (zu 75 Prozent über die Kapitalmärkte und nur zu 25 Prozent über Banken. In Europa sei das Verhältnis genau umgekehrt).

Einzig taugliches Mittel zur Überwindung der Krise sei ein solides Wirtschaftswachstum. Dieses aber resultiere in entwickelten Ökonomien ausschließlich aus Innovationen. Innovationsfinanzierung bringe indes stets ein erhöhtes Verlustrisiko mit sich. Daher seien Banken dafür nicht optimal geeignet.

Dazu komme, dass die derzeit von den Banken geforderte Erhöhung der Eigenkapitalausstattung und Risikominimierung bei der Kreditvergabe Innovationsfinanzierungen noch weiter erschwerten. Die europäischen Banken müssten sich mit einer immer stärkeren Regulierung herumschlagen und würden mittlerweile zu bloßen Erfüllungsgehilfen der EU-Bürokratie degradiert. „Um Formulare von EU-Beamten auszufüllen, braucht es keine Banken. Unsere zentrale Funktion – die Finanzierung von Unternehmen auf Grund unseres Vertrauens in ihre solide Gebarung – können wir kaum noch erfüllen.“

Die EU repräsentiere derzeit 7,1 Prozent der Weltbevölkerung, produziere 18,7 Prozent des Welt-BIP, leiste sich aber 47,9 Prozent der weltweiten Sozialausgaben. Es liege auf der Hand, dass deren weitere Finanzierung nur mittels eines deutlichen Wachstums sicherzustellen sei.

Von der Politik wünsche er sich, endlich die Verteufelung von Banken und Aktionären einzustellen. Ihnen komme vielmehr die Aufgabe zu, die Kapitalbildung zu fördern. Der Staat könne aus eigener Kraft kein Wachstum generieren. Er habe allerdings für den geeigneten Rahmen zu sorgen. Die Banken könnten ebenfalls kein Wachstum induzieren. Sie könnten lediglich das dafür nötige Kapital bereitstellen. Wachstum zu schaffen, sei und bleibe die Aufgabe der privaten Unternehmen (spontaner Applaus im brechend vollen Festsaal der Uni).

In der Debatte meinte Zechner zur Frage „gebündelter Finanzprodukte“, dass deren Emittenten mindestens 10 Prozent dieser Papiere ins eigene Portfolio nehmen müssten, um solcherart das Risiko zu minimieren. Der Eigenhandel der Banken mit derlei Papieren sei zu unterbinden. Nur Nichtbanken sollten sie halten. Treichl wandte sich explizit gegen eine neuerliche „Sozialisierung des Kapitalmarktes“ (mit der wieder auftretenden Gefahr des Verkaufs undurchschaubarer Finanzprodukte) und plädierte – zur Überraschung der Mehrheit des Publikums – zugleich für die Schaffung einer europäischen Bankenunion.

Die in Europa erhobenen Bankensteuern bedeuteten laut Zechner einen Wettbewerbsnachteil für die hiesigen Institute. Das wachsende Engagement von US-Banken in der Alten Welt sei ein klarer Hinweis darauf. Die Einführung einer Kapitaltransaktionssteuer (von der Staatspapiere vermutlich ausgenommen würden), werde einen Sargnagel für den europäischen Aktienmarkt bedeuten.

Die – auf ein rezentes Papier der Bank of England gestützte – These, dass eine Beilegung der Schuldenkrise im herrschenden Schuldgeldsystem wohl unmöglich sei, wollten (oder konnten) beide Herren nicht plausibel kommentieren.

Die in Europa so weit verbreitete Risikoaversion ziehe, nach Zechner, auch verteilungspolitische Folgen nach sich. „Wenn 99 Prozent der Menschen kein Risiko bei Veranlagungen eingehen wollen, hat das Konsequenzen auf der Einkommensseite.“ Es sei ein notwendiger, wenn auch langwieriger Prozess, hier eine entsprechende „Risikokultur“ zu etablieren, wie sie in den USA längst existiert. Treichl: „Ohne Risiko gibt es keine Innovation.“ Derzeit mehrten sich die Anzeichen für eine deflationäre Entwicklung. Allerdings würden die Möglichkeiten der Zentralbanken weithin überschätzt. „Geldpolitik ist nicht das geeignete Mittel zur Überwindung der Krise.“

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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