Sarrazin und die Meinungsfreiheit

Er nun wieder. Thilo Sarrazin hat sein drittes Buch veröffentlicht. Erneut stellt er die allgemein gültigen Lehrsätze und Wahrheiten der politischen Korrektheit in Frage. Noch bevor „Der neue Tugend-Terror“ überhaupt erschienen ist, prügeln die Mainstreamjournalisten auf Sarrazin ein. Alles wie gehabt. Es ist ein Ritual mit gut eingespielten Abläufen und Regeln. Jeder hat in diesem Lehrstück seine Rolle. Die Akteure sind, abhängig von ihrer Stellung und Funktion in der Gesellschaft, entsetzt, wütend, enttäuscht oder angewidert.

Alle, die in der Öffentlichkeit stehen oder irgendeinen Einfluss auf die öffentliche Meinung haben, wissen genau, was sie zu denken, zu tun oder zu sagen haben. Hetze, Populismus, Narzissmus, gekränkte Eitelkeit oder Rassismus: Selbst die Vokabeln, Redewendungen und Vorwürfe sind mittlerweile standardisiert und auf Knopfdruck abrufbar. Im Feuilleton und in den Talkshows, den Hochämtern der politischen Korrektheit, wo sich die Gläubigen Orientierung, Selbstbestätigung und Gewissheit holen, wird der Ketzer und seine verbotenen Ansichten mit viel Getöse verdammt.

Ebenfalls unverzichtbar beim medialen Schauprozess sind die persönlichen Unterstellungen und Beleidigungen. Nicht weil er die offensichtlichen Missstände in Deutschland und Europa aufzeigen und anprangern will, schreibt Sarrazin seine Bücher. Nein. Narzisstische Kränkung, Populismus, Geldgier, kurz Eigennutz gepaart mit einem miesen oder zumindest zweifelhaften Charakter sind sein Antrieb, so die Darstellung der Mainstreamjournalisten. Die Guten stehen eben ausschließlich links.

Das Ganze erinnert nicht zufällig an eine Hexenverbrennung oder Steinigung, auch wenn sich die politisch-korrekte Medienmeute noch mit der Vernichtung der sozialen Existenz begnügen muss. Den Mainstreamjournalisten ans Herz gelegt ist die Erzählung „The Mysterious Stranger“ des großen amerikanischen Autors Mark Twain. Hier wird einfach und präzise erklärt, wie sie ticken und wie ihre politisch-korrekten Hetzrituale funktionieren.

Im spätmittelalterlichen Eselsdorf in Österreich wird eine Frau gesteinigt. Der Ich-Erzähler, ein junger Mann, schildert: „Und ich warf den ersten Stein nach ihr, obwohl sie mir im innersten leid tat; doch da jedermann mit Steinen nach ihr warf und jeder seinen nächsten beobachtete, wäre es aufgefallen und übel vermerkt worden, wenn ich es nicht ebenso gemacht hätte.“

Solcherart in Gewissenskonflikt geraten, klärt der mysteriöse Fremde, der eigentlich Satan ist, den Erzähler auf: „ Nun… 68 Leute waren anwesend, und 62 hatten ebensowenig wie du den Wunsch, einen Stein zu werfen. (…) Ich kenne euer Geschlecht. Es besteht aus Schafen. Es wird von Minderheiten, selten oder nie von Mehrheiten beherrscht. Die Menschen unterdrücken ihre Gefühle und ihre Überzeugungen und folgen der Handvoll, die den größten Lärm schlägt. Bisweilen ist diese lärmende Handvoll im Recht, bisweilen im Unrecht; aber einerlei immer folgt ihr der Masse.“

Auch heute wird vieles „übel vermerkt“. Welch passender Ausdruck. Wer nicht mitspielt, bekommt die rote Karte und muss den Platz verlassen. Das politisch-korrekte Mediensystem ist mittlerweile zum Selbstläufer geworden. Es braucht weder Druck von außen, noch Meinungsführer und Zensoren, ja nicht einmal mehr die Leitmedien. Alle rudern kräftig und gleichmäßig: Links, Links, Links….. Selbst der Trommler, der den Meinungs-Takt vorgibt, ist mittlerweile überflüssig. Schließlich weiß auch der junge unerfahrene Volontär im kleinen Provinzblatt von ganz alleine, was von ihm erwartet wird, worüber er wie zu schreiben hat und was man lieber unerwähnt lässt.

Früher brauchte man noch den Spiegel oder die Süddeutsche als mediale Leuchttürme und Leitwölfe. Selbst das ist nicht mehr notwendig. Was man von Sarrazins neuem Buch, von der AfD oder traditionellen Hetero-Familien zu halten hat, wissen die kleinen Schreiber auch ohne ihre publizistischen Vorbilder und Vordenker. Die politisch-korrekten Dos & Dont’s können die Journalisten im Schlaf aufsagen. Wer gut und wer böse ist, was gut und was schlecht ist, was gesellschaftlich erwünscht und was unerwünscht ist, das braucht in den deutschen Medien nicht mehr debattiert und erörtert zu werden, es steht ohnehin außer Frage.

Wie das in Religionen oder totalitäreren Ideologen ebenso ist. Dass Zeitungen und Fernsehen – unter anderem aus diesen Gründen - nicht gerade ein Wachstumsbranche sind, erhöht ohne jedes Zutun den Druck auf die von Abstiegsängsten geplagten Journalisten, sich immer brav und konformistisch verhalten.

Und das Schöne an den schreibenden Galeerensklaven: Im Bauch des Schiffes sieht man nicht, wohin es steuert. Das ist für jene, die am Deck stehen, überaus praktisch. Unabhängig davon wohin die Reise geht, unten wird fleißig gerudert. Ganz egal wie absurd und abwegig das Ziel auch sein mag:

  • Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen sind vor allem ein soziales Konstrukt! Ho Ruck, volle Kraft voraus;
  • bereits Volksschulkinder sollen mit allen Formen der Sexualität, selbst den exotischsten, konfrontiert werden! Ho Ruck und weiter geht’s;
  • Europas Sozialstaaten brauchen noch mehr Zuwanderung bildungsferner Schichten! Volle Kraft voraus ins neosozialistische Utopia.

Selbst wenn die Galeere geradewegs auf ein Riff zusteuert, die Sklaven rudern, bis ihnen das Wasser über den Ohren steht. Es ist beängstigend, wie blind und übereifrig das politisch-korrekte Fußvolk auch gegen ihre ureigensten Interessen agiert. Wie hat es Mark Twain ausgedrückt: „Die Menschen unterdrücken ihre Gefühle und ihre Überzeugungen und folgen der Handvoll, die den größten Lärm schlägt.“

Ja, den gesunden Menschen- oder Hausverstand hat man in den letzten Jahrzehnten erfolgreich diskreditiert. Man vertraut lieber auf die politisch-korrekt genormte Second-Hand-Realität der Mainstreammedien als auf die eigenen Erfahrungen und Beobachtungen.

Die Menschen sind Schafe. Und Helden sind - wie zu allen Zeiten - eine rare Spezies. Wer sich dabei aus Überzeugung in die Riemen legt und wer nur aus Feigheit, Unsicherheit, Opportunismus oder getrieben von Abstiegsängsten mitrudert, ist von außen nur schwer zu beurteilen. Im Grunde aber auch egal. Das Ergebnis ist dasselbe. Im ganzen deutschsprachigen Raum sind die Medien de facto gleichgeschaltet. Die letzten liberalen, libertären oder konservativen Medien spielen so gut wie keine Rolle in der großen Medienwelt. Ihre Stimme geht im Chor der reichweitenstarken Blätter und Sender unter.

Leider. Für den Meinungsbildungsprozess in unserer Gesellschaft sind die wenigen kleinen Zeitschriften, Blogs und Internetseiten weitgehend bedeutungslos, ihre Außenwirkung überschaubar.

Dass die Mainstream-Journalisten selbst gegen diese letzten winzigen Oasen in der Meinungswüste anschreiben, liegt unter andrem daran, dass sie den politisch-korrekten Meinungssklaven vor Augen führen, dass es doch Alternativen zum eigenen angepassten Verhalten und Tun gibt. Dass man eben nicht gezwungen ist, mit allen andern mitzurudern, dass es trotz aller Schwierigkeiten noch jedem freisteht, seine Meinung zu äußern. Lustig ist das in vielen Fällen freilich nicht, vom Finanziellen ganz zu schweigen. Zugegeben.

Deshalb auch die persönlichen Untergriffe und Beleidigungen gegen alle, die nicht im Mainstream schwimmen. Ein Paradebeispiel dafür ist der  Artikel „Der nun wieder“ von David Hugendick in der Zeit:

„Es ist nicht gewiss, wie viel Todesmut die nicht gerade als Untergrund-Verlag bekannte Deutsche Verlags Anstalt aufgebracht hat, um die 397 Seiten in Druck zu geben. Ebenso unklar ist, ob die Dekorateure deutscher Großbuchhandlungen sich erst einmal ein Maß an Obrigkeitsverachtung ansaufen mussten, um das schwarze Buch nun in die Schaufenster zu stapeln, bevor das Meinungskartell zuschnappt.“

Aus diesen Zeilen trieft die Verachtung, die ein gekränkter opportunistischer Schreiber all jenen entgegenbringt, die trotz Gegenwindes den Mut und die Courage aufbringen, sich dem politisch-korrekten Zeitgeist zu widersetzen. Menschen wie Sarrazin führen den neosozialistischen Spießern ihre eigene Jämmerlichkeit und Mutlosigkeit vor Augen. Zumal sich die modernen aufgeklärten linken Journalisten doch so gerne für sich in Anspruch nehmen widerständig, kritisch und couragiert zu sein. Es ist ein Paradoxon. Alle marschieren in eine Richtung und weigern sich trotzdem, „Mainstream zu sein“. Um diesen Widerspruch aufzulösen, wird die angeblich allgegenwärtige Gefahr des Nationalsozialismus, der hinter jeder Häuserecke lauert, tagtäglich von Politik und Medien heraufbeschworen. Alle Nichtlinken sind irgendwie Nazi.

Das eigene geschundene Journalistenego braucht schließlich seine Streicheleinheiten. Deshalb versichern sich die Akteure der politisch-korrekten Medien-Politik-Wissenschafts-Clique ständig gegenseitig, wie mutig und couragiert sie nicht seien. Das ist auch der Grund, warum der Islam in der Mainstreampresse so gut und seine Kritiker so schlecht wegkommen. Wenn es gefährlich werden könnte, wirft man auch seine politisch-korrekten Überzeugungen über Bord. Das sollte nicht nur Homosexuellen zu denken geben.

Um all das zu übertünchen, wird die „eigene“ Meinung zur einzig wahren erklärt. Da trifft es sich gut, dass die meisten kritischen Geister ohnehin Geisteskranke, Schwachköpfe oder zumindest ungebildet sind: „soviel Basis-Nietzsche und Volkshochschul-Freud müssen sein“, ätzt Zeit-Journalist Hugendick über Sarrazins Buch. Bravo David! Sehr gut, setzen. Mahatmi Ghandi hat seinen Kampf einst so beschrieben: First they ignore you, then they laugh at you, then they fight you (…)”. Ignorieren kann man Sarrazin jedenfalls nicht mehr.

Trotzdem hat Thilo Sarrazin für die Mainstreampresse eine ganz wichtige Funktion. Er ist das Feigenblatt dafür, dass in Deutschland ja ohnehin Meinungsfreiheit herrscht. Wo er doch so viele seiner bösen Bücher verkaufen darf.

Politisch-korrekte Meinungsdiktatur? Was für eine paranoide Zwangsvorstellung, ist „Sarrazins Meinung doch eher etwas, wovon man in Deutschland finanziell bestens leben kann.“  Aha! Wie viele Menschen außer Thilo Sarrazin  leben sehr gut von „dieser Meinung“?  Niemand oder gar noch ein zweiter? Was für ein toller Beweis! Dass Sarrazin seinen Job verloren hat, seine Frau aus ihrem Lehrerberuf gemobbt worden ist, er ständigen Attacken ausgesetzt ist und ihm jeder kleine Redakteur ans Bein pinkelt, vergisst Hugendick dabei zu erwähnen.

Und weil man Herrn Sarrazin so wunderbar als Beweis für die nicht vorhandene Meinungsfreiheit in diesem Land missbrauchen kann, wird ebendiese munter weiter eingeschränkt. Das geht sogar soweit, dass es selbst einem Paradelinken wie Claus Peymann sauer aufstößt. Er hat die Schreiattacken empörter linker Tugendwächter bei Sarrazins Lesung im Berliner Ensemble als „nazihaftes Gepöbel“ verurteilt. Der politisch-korrekte Mob im Internet hat wie ein pawlowscher Hund umgehend mit einem Shitstorm reagiert. Die Botschaft: Mach dich nicht mit Meinungsverbrechern gemein.  Das hat Peymann zwar gar nicht gemacht, er wollte lediglich die Redefreiheit verteidigen, aber selbst das geht den politisch-korrekten Blockwarten zu weit. Es wird zusehends enger.

Die Entscheidung von Amazon, einige Bücher mit politisch unliebsamen Inhalten nicht mehr zu verkaufen, ist ein weiterer Schritt in diese unheilvolle Richtung und ein neuerlicher Etappensieg für die  Tugendterroristen. Die es, laut eigenen Aussagen, eigentlich gar nicht gibt.

Eine Besserung oder gar Trendwende ist weit und breit nicht in Sicht.  Die neosozialistischen Gesellschafts-Ingenieure können ihre abstrusen Experimente ohne großen Widerstand weiter durchführen. Unten im dunklen Rumpf der europäischen Galeere wird mit mehr oder weniger großer Begeisterung gerudert. Und die fleißigen Ruderer haben offenbar vergessen  oder wollen es nicht wahrhaben, dass sozialistische Gesellschaftsexperimente immer in Krieg, Armut und Chaos enden.

Werner Reichel ist Journalist und Autor aus Wien. Vor wenigen Tagen ist sein neues Buch „Die Feinde der Freiheit“ erschienen.

 

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