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Die Noteninflation

Was wir vor Weihnachten durch mehrere Tests für die Volksschulen nun Schwarz auf Weiß bestätigt bekommen haben, spielt sich auch in breiter Front an den Universitäten ab: Noten werden immer mehr hergeschenkt und spiegeln in keiner Weise mehr das wahre Können wider. Dahinter stecken keine Intelligenz-Explosionen, sondern sehr egoistische Motive auf Seite der Professoren und anderen Prüfer. Das zeigt zumindest eine neue Studie für Deutschland. In Österreich macht man lieber gleich gar keine solche Studie. Sie könnte ja unangenehme Diskussionen auslösen.

Die problematische Entwicklung der Universitäten ist schon etliche Jahre zu beobachten. Sie bestätigt das, worüber Personal- und Rekrutierungsbeauftragte immer öfter klagen: Neben einer eindrucksvollen Spitze der Spezialisierung wird in der Breite das Bildungsniveau auch der Akademiker immer schlechter. Die Defizite reichen von einer katastrophalen Allgemeinbildung bis zur Unfähigkeit, auch nur einen normalen Text in ordentlichem Deutsch zu schreiben.

Der deutsche Wissenschaftsrat hat das nun für die Bundesrepublik untersucht. Die Ergebnis dürften mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit auch in Österreich ähnlich sein. In Deutschland jedenfalls schließt die große Mehrheit der Studenten – außer bei Medizin und Jus – mit „gut“ oder „sehr gut“ ab. Beim Bachelorexamen sind das insgesamt 80 Prozent, in den Sozialwissenschaften sogar 89 Prozent, in den Kunstwissenschaften noch mehr.

Nun mag es gewiss sein, dass manche schwachen Studenten in manchen Studienrichtungen schon vorher hinausgeprüft worden sind. Diese sensationellen Zahlen können aber nicht nur so begründet werden. Vielmehr scheint auch für die Studienautoren klar: Hochschulen wollen ihren Studenten solcherart Vorteile verschaffen. Ein wichtiger Vorteil für die Studenten liegt in der Bedeutung der Bachelornoten für die Zulassung zum Masterstudium.

Die FAZ kommt noch zu einem weiteren, durchaus zynisch formulierten Schluss (der auch für Österreich eine zwingende Logik hätte): „Die von uns vorbehaltlos bejahte Bologna-Reform hatte unter anderem das Ziel eines statistischen Qualitätsausweises der Lehre, und den haben wir jetzt.“ Das Blatt berichtet von einem weltweiten Trend zu immer besseren Noten – obwohl zugleich auch weltweit der Anteil der Hochschulabsolventen massiv zunimmt. Das hätte ja eigentlich eher zu einer Niveausenkung führen müssen.

Auch an nordamerikanischen Uni werden, wie eine dortige Studie (Richard Arum und Josipa Roksa) zeigt, immer mehr gute Abschlüsse mit immer weniger Aufwand erzielt. Die FAZ nennt das eine „Minderleistungsübereinkunft, die Studenten, die nur die Note interessiert, mit Professoren schließen, die nur die Forschung interessiert. Inhalt: Macht ihr uns keine Schwierigkeiten, dann sehen wir darüber hinweg, dass ihr euch für uns nicht interessiert und lieber publiziert oder Anträge schreibt.“

An den österreichischen Hochschulen kommt jedenfalls noch die in vielen Fächern absolut unzureichende quantitative Studenten-Lehrer-Relation hinzu. Da bisher eine weitgehende Aufnahmepflicht für die Unis bestanden hat, hat sich in Österreich schon dadurch die Qualität des Studiums mit Sicherheit parallel zu dieser Relation verschlechtert. Dazu kommt, dass strenge Professoren mit Studenten und ÖH Probleme bekommen. Diese zu vermeiden war vor allem in den Jahren der exzessiven studentischen Mitbestimmung (die einst die Regierung Kreisky den Unis aufgezwungen hatte) überlebenswichtig.

Geht dieser Trend an unseren Schulen und Hochschulen so weiter? Werden die dortigen Akteure ständig noch mehr Geld für das so hehr klingende Ziel „Bildung“ fordern, während sie immer schlechtere Lehr-Qualität produzieren? Die völlig idiotische Gesamtschul-Diskussion hat unseren Blick auf die dramatische Qualitätsdimension des ganzen Bildungssystems in den letzten Jahren völlig geraubt. Aber nun ist es höchste Zeit, sich wieder auf die wichtigen Themen zu konzentrieren.

Notlösungen zum Ersatz für die absackende universitäre Qualität bestanden in immer ausgefeilteren unternehmenseigenen Aufnahmetests, in berufsbegleitender Weiterbildung, in postuniversitären MBA-Kursen und ähnlichem. Das aber ist alles extrem teuer und macht außerdem die vielen Jahre im staatlich finanzierten Bildungssystem tendenziell zur Zeitvergeudung und Geldverschwendung. Auch Privatunis haben sich nur sehr zum Teil als Lösung erwiesen. Insbesondere in Osteuropa werden nämlich an Privatuniversitäten die Diplome gerne verschenkt, gegen eine ausreichende Summe Geldes natürlich.

Die entscheidende Aufgabe der Bildungs- und Wissenschaftspolitik wird es nun sein, wieder die richtigen Anreize zu setzen. Letztlich kann sich die Qualität von Bildung und Lehre nur dadurch verbessern, dass ihre Ergebnisse extern bewertet werden. Diese externe Bewertung auf allen Stufen macht die Professoren und Lehrer von Gegnern zu Verbündeten, von Prüfern zu Trainern der Studenten, die mit diesen gemeinsam ringen, um ein von außen gegebenes Ziel zu meistern. Durch externe Bewertungen werden auch die Unterschiede zwischen einzelnen Universitäten und Schulen sichtbar. Sie würden auch die privaten Unis zu ernsthaften Anstalten machen, die wie etwa in den USA die staatlichen überholen.

Bei den diversen internationalen Schul-Rankings für 10- und 14-Jährige gibt es durchaus schon erste sinnvolle Ansätze, die mittelfristig auch zu einem Umdenken von Lehrern und Schülern führen werden. Dies gilt zumindest dort, wo diese Tests und Leistungs-Standard-Feststellungen auch in die Noten einfließen.

Bei den Universitäten ist der Weg noch ein viel weiterer. Da wird in den zahllosen internationalen Rankings vielfach fast nur die Forschungsleistung bewertet, etwa an Hand der Zahl der Veröffentlichungen und Zitierungen in renommierten Zeitschriften. Dadurch wird nicht nur die Herausforderung durch die Lehre vernachlässigt; es werden auch die englischsprachigen Forscher massiv bevorzugt.

Künftig müsste sich die Aufmerksamkeit viel mehr auf das objektiv erhobene Können der Studenten und Absolventen richten. Das ist zugegeben schwieriger zu erheben. Aber immerhin veröffentlicht die Wirtschaftskammer eine Statistik, die zeigt, wie lange man mit welchen Studienrichtungen im Schnitt auf einen Job wartet.

Im Ausland wird aber auch durchaus schon längst statistisch festgestellt, was Absolventen welchen Studiums an welcher Universität nach zwei oder fünf Jahren verdienen. Ich weiß schon: Das bestimmt ja der böse Markt, wenn auch an Hand der Fähigkeiten eines Akademikers und der Wahl des richtigen Studiums. Aber solange man Akademiker nicht zu einer Überprüfungs-Prüfung schicken und zwingen kann, ist der Markt allemal die bestmögliche Antwort auf die universitäre Qualitätsfrage. Die Professoren selbst sind hingegen die schlechteste. Denn die benoten damit ja indirekt auch sich selbst.

Vielleicht hat aber jemand noch bessere Ideen. Diese sollten alle erprobt werden. Wichtig ist jedenfalls, dass es sich Professoren künftig nicht mehr leicht machen können, indem sie die Noten verschenken. Und dass bei den Neubesetzungen von Lehrstellen weniger auf Seilschaften und die jeweiligen Lehr- Meinungen geachtet wird, sondern auf die Lehr-Fähigkeiten.

Wenn die Unis und der Bildungsapparat dazu nicht bereit sind, dann sollten sie aber zumindest nicht ständig mehr Geld für eine von niemandem gemessene Leistung verlangen. Autonomie kann niemals die Freiheit zur Minderleistung bedeuten.

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