Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (10 Euro pro Monat) ist jederzeit beendbar und endet extrem flexibel einfach durch Nichtzahlung. 

weiterlesen

Cameron als Retter Europas?

Fast alles in Politik und Wirtschaft ist eine Sache des Vertrauens. Dieses kann nur mühsam durch Verlässlichkeit, Berechenbarkeit und Glaubwürdigkeit aufgebaut werden. Umso schwieriger ist es, verlorenes Vertrauen wiederzuerringen. Was sowohl Euro wie EU, wie auch nationalen Regierungen passiert ist. Das Schlimmste ist: Die Verantwortlichen haben offenbar diesen Vertrauensverlust großteils noch gar nicht richtig zur Kenntnis genommen. Sonst würden sie zumindest den jüngsten Verzweiflungs-Vorstoß des britischen Premier Cameron ernster und positiver nehmen.

Der Vertrauensverlust der EU lässt sich immer wieder mit neuen Fakten beweisen. Etwa mit der Ankündigung des russischen Premiers Dmitri Medwedew, dass sein Land keine europäischen Staatsanleihen kaufen wolle. Dabei hat Russland nach China und Japan die drittgrößten Devisenreserven der Welt, könnte also dem Euro durch größere Ankäufe durchaus substanziell helfen.

Medwedew wird sehr deutlich: Er bezeichnet den Euro als ein in der Weltgeschichte noch nie dagewesenes Modell, in dem starke und schwache Volkswirtschaften zusammengespannt werden. Die Südeuropäer müssten, so Medwedew unumwunden, „entweder stärker werden, oder sie müssten auf den Euro verzichten“. Bis dahin gibt es halt kein russisches Geld für den Euro mehr.

Ein Fehler historischen Ausmaßes

Indirekt bestätigt auch der linke Ökonom Joseph Stiglitz, der lange beredsam die Schuldenwirtschaft verteidigt hat, den gleichen Sachverhalt: Er gratuliert der Schweiz, sich nicht am Euro beteiligt zu haben. Der in Großbritannien arbeitende, aber aus Österreich stammende Investmentbanker Michael Treichl nennt den Euro gar einen Fehler historischen Ausmaßes.

Aber auch die EU selbst hat bei der europäischen Bevölkerung enorm viel Vertrauen verloren. Das zeigen die regelmäßigen Untersuchungen des Eurobarometers, einer europaweiten Meinungsumfrage durch die EU-Kommission. Auf einen Satz gebracht: Die Mehrheit der Europäer sieht die Union – nicht nur den Euro – in die falsche Richtung gehen. Dabei fragt Eurobarometer seit mehr als zwei Jahren ohnedies nicht mehr, ob man die EU-Mitgliedschaft des eigenen Landes für eine gute oder schlechte Sache hält.

Aber auch die milder klingende Frage nach der Entwicklungsrichtung der Union bringt verheerende Ergebnisse: Nur 22 Prozent sehen diese als richtig an; 52 Prozent der Europäer sehen die EU hingegen in eine falsche Richtung unterwegs. Dass ausgerechnet das korruptionsgeplagte Bulgarien der EU-Entwicklung noch die relativ besten Noten gibt, spricht zusätzliche Bände. Für Bulgaren und Rumänen ist gegenüber der eigenen Regierung die EU zweifellos noch ein Hoffnungslicht.

Den kleinen Einheiten wird vertraut, nicht den großen

Ein ganz ähnliches Bild ergibt sich, wenn nach dem Vertrauen in die EU-Institutionen selbst gefragt wird: Nur 33 Prozent der Europäer vertrauen ihnen, 57 Prozent vertrauen ihnen nicht. In Osteuropa genießt die EU – erwartungsgemäß – mehr Vertrauen als die eigene Regierung.

Ein polnischer Politologe, der jetzt an westeuropäischen Universitäten lehrt, hat diesen Sachverhalt insbesondere auf das direkt gewählte EU-Parlament hin herausgearbeitet. Er hat dieser Tage beim Wiener Com.Sult-Kongress aufgezeigt, dass in den letzten Jahrzehnten jede Vertragsänderung dem EU-Parlament noch mehr Rechte und Kompetenzen gebracht hat: Die Legitimität des Parlaments ist jedoch dadurch keineswegs größer geworden, obwohl das die EU-Abgeordneten immer behauptet hatten, um noch mehr Macht zu erringen.

Besonders interessant ist das österreichische Ergebnis der zitierten Eurobarometer-Umfrage: Nur 33 Prozent vertrauen den heimischen Parteien, 37 Prozent (also sogar ein wenig mehr als der EU-Schnitt) den europäischen Institutionen, und immerhin 49 Prozent der eigenen Bundesregierung. Das sensationellste Ergebnis ist aber das Vertrauen, das die Österreicher bei dieser Frage ihren lokalen und regionalen Behörden entgegenbringen: Das beträgt 69 Prozent.

Diese Werte sollten allen jenen endlich bewusst werden – Journalisten wie Politikern – die ständig noch mehr Macht nach oben verschieben wollen. Die also die Zahl der Bürgermeister drastisch reduzieren wollen, die Landesregierungen zugunsten der Bundesregierung entmachten, und Kompetenzen von den einzelnen Nationalstaaten auf die europäischer Ebene transferieren wollen. Dafür kann nur jemand eintreten, dem das Vertrauen der Menschen in die Institutionen egal ist. Was aber fatal enden kann.

Zauberformel Subsidiarität

Das heißt in Wahrheit: Österreich wie die EU sollten dringend darüber nachdenken, wieder den kleinen Einheiten gemäß dem Subsidiaritätsprinzip mehr Rechte zu geben. Alles, was die kleinere Einheit oder auch der einzelne Bürger besser (oder genauso gut) erledigen können als die größere Einheit, soll nicht von der größeren übernommen werden. Die dabei entstehende Vielfalt ist ein Vorteil und eine Stärke, kein Nachteil. Das schließt natürlich auch immer Pflichten ein. Diese Bereitschaft hat dieser Tage etwa Tirol signalisiert. Es wäre bereit, durchaus auch selbst die Verantwortung für Einnahmen und Steuern zu tragen, die man jetzt bequemerweise vom Bund festsetzen lässt.

In Europa heißt Subsidiarität genau das, was David Cameron in seiner großen Europarede vorgeschlagen hat. Er sieht den besonders in Großbritannien großen und wachsenden EU-Frust der Menschen, will aber eigentlich keineswegs aus der Union austreten. Er will durch die britische Austrittsdrohung die EU wieder auf das konzentrieren, was sie exzellent kann und gemacht hat: auf den Binnenmarkt, also auf die Herstellung eines völlig freien und offenen Marktes innerhalb der EU. Dieser Binnenmarkt funktioniert ausgezeichnet, er muss nur noch in ein paar Details perfektioniert werden, etwa beim Bereich der Dienstleistungen.

Es ist ja auch eine wunderbare Sache, wenn jeder Erzeuger einer Ware die Garantie hat, dass er diese ungehindert für 500 Millionen Menschen produzieren und anbieten kann. Selbst starke Unternehmen, wie etwa jene aus Deutschland, Österreich, den Niederlanden und Skandinavien, brauchen das als Heimatbasis, um dann die Weltmärkte angreifen zu können. Ohne die dabei verdienten Devisen wäre Europa schon viel länger bankrott.

Um präzise zu sein: Natürlich gibt es auch in Südeuropa erfolgreiche Betriebe. Diese sind aber auffällig in Norditalien, Katalonien und im Baskenland konzentriert – wo es überall signifikante sezessionistische Bewegungen zur Loslösung von den Zentralstaaten gibt. Aber das ist ein anderes Thema.

Nur Merkel hat richtig reagiert

Leider hat unter den Großen Europas lediglich Angela Merkel die Notwendigkeit und Richtigkeit des Cameron-Vorstoßes begriffen. Hingegen haben fast alle anderen EU-Politiker Cameron kritisiert (die zentralisierungswütigen EU-Journalisten taten das natürlich ebenso).

Sie haben nicht begriffen, dass Cameron in hohem Ausmaß auch die Stimmung ihrer eigenen Bürger und Leser reflektiert. Sie haben nicht begriffen, dass nur in der Konzentration auf den Binnenmarkt die Rettung der EU liegt. Hingegen waren all die Regulierungen der letzten Jahre völlig überflüssig und schädlich für das Projekt samt seiner ständig angesprochenen friedenspolitischen Bedeutung.

An diesem Effekt ändert es nichts, ob diese Regulierungen nun ökologistisch, feministisch, politisch korrekt oder einfach von einem fanatischen Gleichmachungsfimmel getrieben waren. Oder ob sie einfach Folge der Tatsache sind, dass den EU-Beamten nach weitgehender Fertigstellung des Binnenmarktes fad war und sie sich einfach neue Betätigungsfelder gesucht haben. Die Menschen würden der EU sogar gelegentlich einen Kurzschluss wie beispielsweise jenem in Sachen Glühbirnen verzeihen – aber Hunderte solcher Kurzschlüsse sind einfach zuviel.

Merkel war die einzige, die weise auf Cameron reagiert hat. Sie will zwar nicht über einen Austritt abstimmen lassen. Sie war aber in der Substanz sofort mit dem Briten über die zentrale Aufgabe der EU einig: Diese müsse wieder ihre globale Wettbewerbsfähigkeit stärken. Nur so könne der Wohlstand gesichert werden.

Was alles Europa aus dem Wettbewerb fallen lässt

Aber gerade bei der Wettbewerbsfähigkeit fällt Europa immer weiter zurück. Die Innovationskraft hat durch Tierschutz/Genderismus/Anti-Gen/Anti-Hormon- und noch viele andere Ideologien stark an Dynamik verloren; immer mehr Forschungen werden daher außerhalb des alten Kontinents gestartet. Die Anti-CO2-Auflagen und Hunderte andere ökologische Regulierungen vertreiben immer mehr Industrien. Die Bildungssysteme sind immer weniger auf Wissenserwerb und Leistung, sondern auf die qualitätslose Produktion von möglichst vielen Absolventen ausgerichtet. Die Asyl- und Zuwanderungspolitik holt bildungsferne Massen nach Europa statt der benötigten Spezialisten. Der exorbitante Sozialstaat macht es im internationalen Vergleich extrem teuer, Mitarbeiter anzustellen. Die europäischen Lohnhöhen machen das noch viel schwieriger. Das Pensions- und Gesundheitssystem ist alles andere als nachhaltig aufgestellt. Die größte Schuldenlast der Geschichte macht jeden Zukunftsausblick dunkeltrüb. Und vor allem: Die Steuern und Abgaben sind unerträglich umfangreich geworden.

Konklusion: Die Erkenntnis ist zwar absolut richtig, dass für Europa eine Verbesserung der Wettbewerbspolitik das absolut wichtigste Ziel sein muss. Aus all diesen Gründen muss man aber überaus skeptisch sein, ob dieses Ziel auch nur annäherungsweise noch erreichbar ist. Dies gilt vor allem, wenn rundum Cameron und Merkel, also Europas klügste Politiker, nur beschimpft werden.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

 

zur Übersicht

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)

Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print



© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung