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Die Angst und die Menschenrechte oder: Der Islam und der Westen

Die Situation vieler Diplomaten in islamischen Ländern war in den letzten Tagen bedrohlich, für einige Amerikaner sogar tödlich. Die westliche Welt begann darauf aus lauter Angst zentrale Fundamente ihrer eigenen Rechtsordnungen zu zertrümmern. Dabei machen auch viele Medien in führender Rolle mit, die nicht begreifen, dass sie damit auch ihre eigene Existenzgrundlage vernichten.

Islamische Prediger hatten Millionen Gläubige wegen eines – weitgehend unbekannten! – amerikanischen Amateur-Films und einiger französischer Karikaturen zu hasserfüllten Demonstrationen und blutigen antiwestlichen Gewaltakten aufgestachelt. Tatsache ist auch, dass andere islamische Prediger sehr gelassen und weise reagiert haben – besonders hervorzuheben ist ein österreichischer Religionspädagoge, der im ORF-Radio klügere Sätze formuliert hat als die meisten hiesigen Zeitungskommentatoren und die meisten europäischen Politiker, die sich zu dem Thema geäußert haben. Der schon mehr über Meinungsfreiheit weiß als diese. Der erstmals wirklich die Hoffnung gibt, es könnte das Pflänzchen eines in unsere Rechtsordnung passenden toleranten Euro-Islam doch noch aufblühen.

Bis auf einen exzellenten Kommentar des (eigentlich gar nicht ressortzuständigen) Franz Schellhorn zu diesem Thema in der „Presse“ fanden sich nämlich sowohl in dieser Zeitung wie auch in allen anderen von mir gelesenen Kommentaren nur Texte, die einem die Zornesader schwellen ließen. Fast überall wurde rhetorisch und unterschwellig ein Gleichgewicht des Bösen hergestellt. Hier ein (angeblich) schlechter und provokativer Film, dort Morde und Gewalttaten. Hier die Ursache, dort die bedauerlichen Folgen.

Sind solche Kommentatoren eigentlich von allen guten Geistern verlassen? Begreifen sie denn alle nicht, dass diese scheinbar objektive Äquidistanz ein unglaublicher Skandal ist? Man kann doch auch nicht den Hitlerschen Überfall auf Polen mit antideutschen Leitartikeln in polnischen Zeitungen vor dem 1. September 1939 austarieren! Um ein Beispiel aus der manchen Autoren ja einzig bekannten Geschichtsepoche zu holen.

Mit all diesen Kommentaren wird nämlich viel mehr als durch irgendwelche Demonstrationen eine fundamentale Grundlage des westlichen Rechtsstaats zertrümmert: Über eventuelle verbale Delikte sind einzig und allein die Gerichte zum Urteil berechtigt. Niemals darf private Rache ein auch nur indirekt akzeptiertes Instrument werden. Niemals darf eine subjektiv empfundene Provokation Mord und Totschlag rechtfertigen oder auch nur relativieren.

Noch schlimmer ist, dass in jenen Kommentaren zugleich ein weiteres Fundament des Rechtsstaats missachtet wird: das fundamentale Menschenrecht auf Meinungsfreiheit. Aber genau das passiert, wenn so getan wird, als ob die angeblich schlechte Qualität und aggressive Tonart eines Filmes oder die angeblich provokative Absicht eines Karikaturisten irgendeine Einschränkung der Meinungsfreiheit rechtfertigen. Das Wesen der Meinungsfreiheit besteht jedoch nicht darin, dass ein Dritter dasselbe sagen darf wie ich. Ihr Kern ist vielmehr, auch unerwünschte, unerquickliche, provokative Aussagen hinnehmen zu müssen (und mit gleicher Münze darauf antworten zu können).

Diese Meinungsfreiheit ist das wahrscheinlich wichtigste Fundament der westlichen Kultur und Demokratie. Da ist ihre angebliche – in Wahrheit gar nicht definierbare – Ausweitung zu einer Freiheit der Kunst gar nicht mehr notwendig. Obwohl ja mancherorts so getan wird, als ob die Meinung eines Künstlers höher stünde als jene eines normalen Menschen.

Aber jedenfalls sind Filme und Zeichnungen auch künstlerische Ausdrucksformen, die Anspruch auf diesen erhöhten Schutz haben, falls es den geben sollte. Oder sollte da gar jemand meinen, nur „gute“, nur mainstreamige Filme oder Karikaturen wären als Kunst zu schützen, jedoch keine „schlechten“? Das wäre absurd. Denn dann bekäme eine Handvoll Kulturjournalisten das Recht in die Hand, in jedem Einzelfall mit ihren total subjektiven und meist völlig widersprüchlichen Urteilen das letzte Wort über den Schutz der Meinungsfreiheit beziehungsweise Kunstfreiheit zu haben.

Natürlich stecken hinter all diesen Kommentaren zwei ganz andere Ursachen: Einerseits die knieschlotternde Angst vor aggressiven Moslems; andererseits die typischen islamophilen Denk-Verzerrungen linker Gutmenschen. Wenn ein Film des von ihnen angebeteten Ulrich Seidl fromme Katholiken verhöhnt, wird das verherrlicht. Wenn das mit Moslems passiert, wird ein Film fast automatisch als schlecht und damit verbrecherisch eingestuft.

Damit glauben zwar viele Journalisten, aufs erste die eigene Macht zu erhöhen. Aber sie begreifen nicht, dass sie damit langfristig die eigene Existenzgrundlage gefährden, also das, wofür unsere Vorväter mehrere Generationen lang gekämpft haben: die allgemeine Meinungs- und damit insbesondere auch Pressefreiheit.

Die europäischen Machthaber lesen jedenfalls all diese Kommentare wider die Meinungsfreiheit schon begierig. Sie haben sofort erkannt, dass man nun den lästigen Journalisten und Bürgern mit deren eigenen Argumenten einen Maulkorb umhängen kann. Haben die doch selber nach einem solchen Maulkorb gerufen!

So blöd sollte eigentlich kein Journalist sein, dass er nicht begreift: Wenn die Obrigkeit wieder einen „schlechten“ Film verbieten darf, dann darf sie das mit der gleichen Argumentation künftig auch bei jedem für nicht objektiv erklärten und daher „schlechten“ Leitartikel. Welche Leitartikel etwa die Herren Faymann oder Ostermayer derzeit für sehr unobjektiv halten, braucht im übrigen wohl nicht lange erläutert zu werden.

Einige Zitate zeigen schon die Lust der internationalen Politik an der Zensur (wobei man übrigens erfreulich wenig einschlägige Aussagen österreichischer Politiker dazu findet. Bisweilen ist auch schon Schweigen ausreichender Anlass zum Lob):

  • Die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles fordert, die Aufführung des Films „mit allen rechtlichen und politischen Mitteln“ zu verhindern.
  • Das will auch der CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich, weil der Film „Beleidigungen und Schmähungen“ des Islams enthält (als ob darüber in einem wirklichen Rechtsstaat ein Politiker und nicht ein Gericht zu entscheiden hätte).
  • Der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach fordert ein Aufführungsverbot: „In dem Film geht es um eine gezielte Provokation, in der Hoffnung, dass es dann zu Unruhen kommt.“ (Er hat offenbar vergessen, wie oft schon mit dem Hinweis auf angeblich drohende Unruhen die Freiheit eingeschränkt worden ist! Hätte etwa 2000 die österreichische Parlamentsmehrheit nicht Schwarz-Blau ermöglichen sollen, nur weil die SPÖ Unruhen in den Straßen begonnen hat?).
  • Maria Böhmer, die Integrationsexpertin der deutschen Regierung: „Ein Video, das Unruhen, Hass und Gewalt sät, hat keinen Platz in unserem Land.“ (Wiederum die Verkehrung der Tatsachen: Meines Wissens nach wird in keinem der – derzeit ja nur teilweise auffindbaren – Teile des Videos zu Gewalt oder Unruhen aufgerufen, aber sehr wohl in so manchen Moscheen. Ohne dass bisher auch nur ein Prediger zur Rechenschaft gezogen worden wäre).
  • Der italienische Außenminister Giulio Terzi verlangt die Sperre von Internetseiten, welche die „Ablehnung von gegenseitigem Verständnis enthalten“ (Also wird dem Mann zufolge bald auch das Tagebuch zugesperrt, weil ihm ja jedes Verständnis für den Aufruf von Hasspredigern zu gewalttätigen Aktionen bis hin zu Terrormorden oder für exzessive südeuropäische Schuldenmacher fehlt).
  • Der französische Premierminister Jean-Marc Ayrault sagte, in Frankreich müsse Toleranz und Respekt gegenüber religiösen Überzeugungen walten (Wirklich? Auch wenn diese Überzeugungen Grundlage von Selbstmordanschlägen und heiligen Kriegen sind?)

Die unerquickliche Liste ließe sich lange fortsetzen. Der Objektivität halber sei hinzugefügt, dass es auch einige mutige Verteidiger der Freiheit in den Reihen der Politik gibt. Wenige freilich nur.

Nun werden manche die legitime Frage einwenden, ob wir etwa bei der Meinungsfreiheit nicht zu weit gegangen sind und Religionen zu wenig schützen. Das kann man sicher in aller Ruhe prüfen.

Bei einer wirklichen Erweiterung dieses Schutzes und damit einer Einschränkung der Freiheit sollte man aber sehr vorsichtig sein. Denn auch die Religionen sollten sich bewusst sein, dass die von den liberalen Vorvätern erkämpfte Meinungsfreiheit ja auch ihnen zugute kommt. Oder würden es Christen als gut empfinden, wenn Fürsten wie bis ins 18. Jahrhundert wieder die Rechtgläubigkeit von Predigten überprüfen könnten, in dem einen Land halt nach katholischer, im anderen nach evangelischer Art?

Entscheidend ist vor allem, dass es bei dieser Religionsschutz-Diskussion um eine Gleichbehandlung aller Religionen gehen muss und nicht nur um den Islam, weil der halt am aggressivsten ist!

Denn es ist Tatsache, dass diese Diskussion regelmäßig bei Satiren auf den Islam aufbrandet, bei solchen auf das Christentum hingegen nie. Das deutet entweder auf ziemliche ideologische Verblendung oder auf übergroße Angst hin. Wenn es Angst ist, mögen dies bitte die europäischen Staatsführer wenigstens offen zugeben und sagen: „Wir waren nicht nur außerstande, die Währung zu schützen; wir sind auch außerstande, Europas Sicherheit gegen islamische Hass-Taten zu verteidigen.“ Was natürlich keiner je sagen wird.

Wie einseitig die jetzige politische und mediale Aufregung ist, zeigt auch ein Bericht des „Observatory on Intolerance and Discrimination against Christians in Europe“. Es hat nicht weniger als 730 Fälle von Intoleranz gegen Christen in Europa aufgelistet. Ohne dass ich die im einzelnen nachprüfen kann, kenne ich selbst den Fall einer jungen Juristin, die mit lauter Spitzenbewertungen in den Zeugnissen nur wegen des seit einigen Jahren vorgeschriebenen psychologischen Gutachtens als Richter abgelehnt worden ist: Beim Gespräch mit dem „Gutachter“ hatte dieser freilich nur einen einzigen Aspekt thematisiert, nämlich die Frömmigkeit der Frau. Also kann nur das der Grund gewesen sein, warum sie nicht genommen wurde – beweisbar ist das freilich nicht. Für mich steht ohnedies seit langem die Objektivität all dieser Psycho-Gutachten in Zweifel.

Zurück zu der sich verbreitenden Christianophobie: Diese zeigt sich jedenfalls auch daran, dass weder Medien noch Politik den vom Obervatory aufgezählten Fällen irgendwelche Aufmerksamkeit zollen. Hingegen springen die Medien immer begeistert auf, wenn ein durch das rote Rathaus finanzierter Wiener Verein Fälle der Diskriminierung von Zuwanderern auflistet.

Tatsache ist ebenso, dass in Österreich schon zwei Frauen wegen antiislamischer Meinungsdelikte verurteilt worden sind, während die filmische Verhöhnung gläubiger Christen von den Medien bejubelt und von der Politik aus Steuermitteln gefördert wird.

Diese Verzerrungen des Zeitgeists und vor allem die Bedrohung unserer Verfassungsfundamente sollten uns viel mehr besorgt machen als das bedauerliche, aber unvermeidliche Berufsrisiko von Diplomaten in fremden Ländern. Wir sollten natürlich alles tun, um sie zu schützen, bis hin zum Abzug aller Diplomaten aus solchen Ländern. Wir sollten aber deswegen oder wegen der Angst vor islamistischen Demonstranten in unseren eigenen Straßen um keinen Millimeter von unseren Grundrechten abweichen. Wer hier den kleinsten Kompromiss macht, verliert alles.

PS.: Warum zeige ich eigentlich nicht selbst hier demonstrativ solche Karikaturen? Ganz abgesehen von Copyright-Fragen will ich nicht die religiösen Gefühle eines anderen ohne tieferen Grund verletzen. Ich will das aber selbst entscheiden und keinesfalls von der Obrigkeit zu irgendeinem Respekt gezwungen werden. Und ich will auch weiterhin eine Religion scharf, satirisch und sonstwie tadeln, die sich nach den zwei großen Totalitarismen nachweislich als die blutrünstigste, aggressivste, frauenfeindlichste und intoleranteste Ideologie der letzten 1300 Jahre erwiesen hat. Ich will das aber gerade angesichts der Größe der Bedrohung in aller Ernsthaftigkeit tun und gerade bei diesem Thema nicht in die Satire abgleiten.

(Nachträglich: Danke an alle Partner, die mich auf einen peinlichen Vertipper in Sachen Polen aufmerksam gemacht haben!)

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