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Die Geschichte der Krise oder: Wenn ein Dauersieger im Wettbewerb untergeht

Wenn einer eine Krise durchlebt, dann kann er was erzählen. Mit den Erzählungen über die Krise der letzten vier Jahre gibt es freilich ein großes Problem: Es kursieren so viele Geschichten über die Krise, so viele teils bewusste Lügen und Ablenkungs-Stories, so viele Irrtümer und Varianten des Wunschdenkens, dass sich die ganze Wahrheit zu dieser Krisen nur noch schwer durchzusetzen vermag.

In drei zentralen Gedanken das, was man heute nach bestem Wissen und Gewissen als Zusammenfassung dessen sagen kann, warum es zu dieser Krise gekommen ist (ganz abgesehen davon, dass es immer Krisen gegeben hat und geben  wird) und was sie bedeutet:

Erstens: All die Stories von Gier, Spekulation und zu kompliziert gewordenen Finanzprodukten erklären gar nichts; denn Gier und Spekulation gibt es, seit es Menschen gibt, ebenso wie scheinbar zu kompliziert gewordene Zusammenhänge; deshalb haben die linken Krisenerklärer Unrecht, die als Krisenursache beklagen, dass heute die Ökonomie mächtiger als die Politik ist; denn das war sie immer.

Zweitens: Viel größere, aber dennoch keine alleine ausreichende Erklärungskraft haben die Hinweise auf eine blasenbildungsfördernde Geld- und Subventionspolitik in Europa, Japan und Amerika, sowie auf die exzessiven und auf historisches Rekordniveau gekletterten Staatsverschuldungen vieler Länder.

Drittens, eine fundamentale historische Erklärung steht über all diesen Faktoren: Die genannten drei Regionen, die in den letzten Jahrhunderten die Weltwirtschaft und damit auch die Weltpolitik beherrscht haben, sind im globalen Wettbewerb gegen die aufstrebenden Schwellenländer entscheidend zurückgefallen, was sich lange nicht, aber dann im plötzlichen großen Erdbeben der Krise umso heftiger gezeigt hat.

Spanien und Irland waren gering verschuldet

Dass die Krise mehr mit Wettbewerbsveränderungen als mit Staatsverschuldung alleine zu tun haben muss, lässt sich an der Tatsache ablesen, dass keineswegs alle jener Staaten, die heute so heftig von der Krise erschüttert werden, vor der Krise eine hohe Staatsverschuldung gehabt haben. In Spanien und Irland war diese – im Gegensatz zu Griechenland und Portugal – sogar besonders niedrig. In diesen beiden Ländern war dafür die Privatverschuldung gegenüber dem Ausland besonders hoch (von Banken, Unternehmen, Privaten).

Allen Krisenländern gemeinsam ist damit, dass sie mehr Produkte und Leistungen des Auslandes konsumiert haben, als sie dem Ausland verkaufen konnten. Sie hatten insgesamt eine hohe Außenverschuldung (egal ob staatlich oder privat) und damit ein großes Zahlungsbilanzdefizit. Das sind zwangsläufige Folgen einer geschrumpften Wettbewerbsfähigkeit. Ein solches „Geschäftsmodell“ muss früher oder später kollabieren.

Nicht der Euro ist schuld, sondern seine falsche Nutzung

Daran ist aber auch nicht der „Euro“ an sich schuld, wie manche Anhänger von Verschwörungstheorien meinen. Jedoch: Der Euro ermöglichte es ein Jahrzehnt lang den südeuropäischen Krisenländern, anstrengungsfrei gut zu leben. Ungeachtet der Tatsache, dass sie die zuvor durch ständige Abwertungen immer halbwegs verteidigte Wettbewerbsfähigkeit gleichzeitig stark absinken ließen.

Die Geldverleiher, die „Märkte“, haben ihnen viel zu billig viel zu viel Geld geborgt; sie haben sich in einem blamablen Vergessen wirtschaftlicher Grundtatsachen zehn Jahre lang nicht mehr die Kreditwürdigkeit ihrer Schuldner angeschaut; sie haben irgendwie an eine magische Wirkung einer gemeinsamen Währung geglaubt. Das Umdenken geschah dann umso heftiger.

Die Ursachen dieses Verlusts an Wettbewerbsfähigkeit sind vielfach und werden sicher noch Anlass zu spannenden Analysen sein. Eine zentrale Ursache der Krise ist jedenfalls, auch wenn es aufs erste paradox klingt, der unglaubliche Erfolg des westlichen Modells. Europa und Amerika haben seit einem halben Jahrtausend einen unglaublichen Aufstieg erlebt. Sie haben ökonomisch, kulturell, politisch die Welt beherrscht. Dieser Aufstieg hat sich in den letzten beiden Generationen seit dem Weltkrieg noch einmal vervielfacht, vor allem weil das EU-Europa zugleich die längste Friedensperiode der Geschichte genossen hat.

Zusammen mit der Nutzung zahlloser wissenschaftlicher Erkenntnisse, mit den Vorteilen einer globalisierten Wirtschaft, mit dem Nutzen eines halbwegs funktionierenden Marktes, mit stabilen demokratischen Verhältnissen, mit der Basis eines korrekten Rechtsstaats hat diese Periode den Menschen zuvor Ungeahntes ermöglicht, den weitaus höchsten  Massen-Wohlstand der Geschichte und eine Rekord-Lebenserwartung bei guter Gesundheit.

Der Sündenkatalog

Aber diese Periode hat Europa selbstzufrieden und müde gemacht. Mit fatalen Konsequenzen auf allen genannten Feldern.

  1. Die schlimmste Katastrophe ist zweifellos der Wohlfahrtsstaat, der in den letzten Jahrzehnten mit zunehmender Verschuldung erkauft worden ist, der immer mehr Menschen ein konsumorientiertes Leben ermöglicht hat, der zugleich viele Bürger und damit auch die Politik die Grundlagen des früheren Erfolges vergessen ließ;
  2. Die Menschen waren sich immer weniger der Notwendigkeit von Leistung und Anstrengung bewusst;
  3. die Schicht wirklicher Leistungsträger wurde durch immer höhere Auflagen und Steuern demotiviert;
  4. immer mehr Menschen glaubten ernsthaft, die Durchsetzung politischer beziehungsweise sozialer Forderungen schaffe die Grundlage des Wohlstandes;
  5. Staaten und EU lähmten die Wirtschaft mit einer ständig wachsenden Fülle von ökologisch, sozial, gesundheitlich und obrigkeitsstaatlich begründeten Regeln und Vorschriften, womit die europäischen Unternehmen im Wettbewerb gegen die sehr freien Konkurrenten in Übersee ständig weiter zurückgeworfen wurden;
  6. zugleich gelang es Panikmachern, den Menschen mit dubiosen Parolen gegen Atome, Gene, Hormone oder Klimakatastrophen Angst vor der Wissenschaft zu machen;
  7. die Gewerkschaften trieben in Tateinheit mit populistischen Politikern die Lohn- und Sozialkosten ständig steiler in die Höhe, als sie zugleich in den konkurrierenden Schwellenländern anstiegen;
  8. dazu kommen zunehmend die Folgen der Geburtenverweigerung: Europa wie Japan werden im Rekordtempo älter. Das wird im nächsten Jahrzehnt zu einem Kippen der sozialen Balance führen. Die rasch schrumpfende Schicht der Arbeitenden wird sich zunehmend weigern, der riesigen Menge an alten Menschen den erhofften Ruhestand mit dem heutigen Pensionsniveau zu finanzieren. Und die Zuwanderer werden sich da erst recht weigern; hatte man ihnen doch Europa nur als ein sozialstaatliches Schlaraffenland vermittelt, das man ganz anstrengungsfrei konsumieren kann.

Aus all diesen und etlichen anderen Gründen weigern sich verständlicherweise China&Co, die heute auf Billionen von Dollar- und Euro-Noten aus ihren emsigen Exporten sitzen, dieses Geld so wie in den letzten Jahrzehnten in europäische Staatsanleihen und Banken zurückzuinvestieren. Sie kaufen sich lieber afrikanische Ländereien, um dort Landwirtschaft und Bergbau zur eigenen Versorgung zu betreiben, sowie europäische Spitzenindustrien, deren Knowhow sie brauchen.

Dementsprechend haben alle großen Schwellenstaaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika), also die Machtzentren der Zukunft, die heute schon die Hälfte der Weltbevölkerung stellen, in der Vorwoche bei einem Gipfeltreffen einhellig die egoistische und kurzsichtige Politik des Westens getadelt, sich durch wilde Geldvermehrung einen kurzfristigen Vorteil zu kaufen. Sie weigern sich auch, via Währungsfonds den Schuldenstaaten zu helfen.

Der schöne Schein des Krisen-Endes

Wieso scheint es dennoch seit einigen Wochen so, dass auch die zweite Welle der 2008 begonnenen Krise glimpflich vorbei wäre? Die Antwort ist ziemlich klar: Die europäischen und amerikanischen Zentralbanken drucken wie verrückt Geld, mit denen die Staaten (auf dem Umweg über die Banken) derzeit ihre alten Schulden in neue umwandeln. Das hat die unmittelbare Katastrophenstimmung gemildert. Dennoch versucht jeder sonstige Besitzer dieses Geldes dieses rasch in Sachwerte einzutauschen (seien es Qualitätsimmobilien oder Gold oder brasilianische Aktien).

Das ist natürlich ein Wirtschaftsmodell, das sehr bald platzen muss. Daher ist die Krise zweifellos nur kurzfristig unterbrochen.

Köstlich naiv ist der derzeit boomende Glaube vieler europäischer Politiker und Journalisten, man müsse nur die Dämme der diversen Krisenrettungsmechanismen hoch genug bauen, um jede Katastrophe verhindern zu können: 300 Milliarden, 500 Milliarden, 800 Milliarden, 1,3 Billionen, 10 Billionen: Fast im Wochentakt werden die Summen größer, die Dämme höher, mit denen ein Ausbrechen der Fluten verhindert werden soll.

Notenbanker zurück an die Uni

Aber die Finanzströme verhalten sich ähnlich wie die echten Hochwässer: Mit hohen Dämmen kann man zwar viele kleine Überflutungen verhindern. Kommt dann aber bisweilen das große Wasser, wird die Katastrophe umso größer. Irgendwann bricht immer irgendwo ein Damm, wenn der Druck zu groß wird; oder es steigen die Fluten einfach über jede denkbare Dammgröße hinaus und sind dann ein umso verheerenderer Schwall. Deswegen baut man ja jetzt beim echten Wasser wieder viele eng und hoch eingedämmte Flussläufe wieder zurück, lässt ihnen statt dessen in möglichst großen Flächen die Möglichkeit zur gefahrlosen Ausdehnung, um die menschlichen Behausungen selbst umso effektiver schützen zu können.

Vielleicht sollte man die Notenbanker und Regierungspolitiker Europas und Amerikas in eine Vorlesung über modernen Wasserbau schicken? Vielleicht lernen sie dann, dass man die Europäer in ihrer Unbeweglichkeit, wohlfahrtsstaatlichen Verfettung, Überalterung nicht durch immer höhere Schuldendämme vor den Folgen ihrer rasch schwindenden Wettbewerbsfähigkeit schützen kann. Sondern nur dadurch, dass man diese Wettbewerbsfähigkeit wieder offensiv verbessert. So wie es einst den Amerikanern nach dem Sputnik-Schock oder den Mitteleuropäern nach den Osmanen-Angriffen geglückt ist.

Die ToDo-Liste

Heute wäre natürlich - von der Annahme ausgehend, dass im Atomzeitalter die Auseinandersetzungen ehr wirtschaftlich und weniger militärisch sind - ein anderes, den Herausforderungen angepasstes Maßnahmenbündel nötig, durch das man die Wettbewerbsfähigkeit wieder erhöhen könnte:

  • Durch massive Deregulierung;
  • durch Offenheit gegenüber den Vorteilen der modernen Wissenschaft;
  • durch Wettbewerb und Vielfalt;
  • durch Reduktion der Sozialleistungen nur auf jene Menschen, die wirklich ohne Unterstützung existenziell bedroht wären;
  • durch flexible (also ebenso wie bei den Konkurrenten Kündigungen problemlos ermöglichende) Arbeitsmärkte, in denen wieder neue Jobs entstehen können;
  • durch mutiges Inkaufnehmen der Tatsache, dass in einer lebendigen Wirtschaft immer wieder der Tod von Unternehmen (also auch Banken!) in Kauf genommen werden muss, damit neues Leben entsteht;
  • durch niedrigere Steuern und Abgaben;
  • durch Verwaltungsvereinfachungen;
  • durch die moralische und finanzielle Ermutigung für junge Frauen und natürlich auch Väter, wieder viel mehr Kinder als wichtigste Zukunftsinvestition in die Welt zu setzen und diese auch ohne schlechtes Gewissen als hauptberufliche Eltern aufziehen zu können;
  • durch Stopp der Sozialmigration und Forcierung der Elitenzuwanderung;
  • durch eine schnelle, transparente und funktionierende Justiz.

Würden Europas Regierungen samt EU diese Ziele mit Schnelligkeit und großer Energie sowie Unterstützung der Menschen verfolgen, dann hätte dieser Kontinent noch eine Chance. Dann wäre das Hochziehen der Krisenpräventions-Dämme sogar sinnvoll, um zeitlich noch ein wenig Luft für die notwendigen Reformen zu gewinnen.

Die Schnellen zu bremsen statt die Langsamen zu beschleunigen?

Jedoch fehlt mir der Glaube, dass Europas Bürger diese Notwendigkeiten noch erkennen können. Weshalb die Politiker sie schon gar nicht erkennen wollen. Beide glauben in ihrer Mehrheit offenbar wirklich, dass durch diese Dämme aus Schulden die Folgen des Wettbewerbsverlustes dauerhaft abgewendet wären.

Ein epochaler Irrtum. Denn damit werden die teuren Schutzdämme zur Hauptursache der nächsten großen Krise. Als Folge konzentriert sich Europa jetzt nicht auf das knappe noch offen stehende Zeitfenster zur Wiedererlangung seiner Wettbewerbsfähigkeit, sondern glaubt offenbar wirklich, dass eine Fiskal- und Sozialunion die richtige Krisenprävention für die Zukunft herstellt.

Vor allem die Sozialdemokraten, aber auch etliche andere Parteien meinen: Wenn einmal die Löhne, Steuern und Sozialleistungen zwischen Griechenland und Deutschland (sowie allen anderen) angeglichen sind, wenn es also innerhalb Europas weniger Wettbewerb gibt, dann gewinnt Griechenland seine Wettbewerbsfähigkeit zurück. In Wahrheit aber tritt das genaue Gegenteil ein: Auch Deutschland und die paar noch halbwegs lebensfähigen Länder werden dann mit absoluter Sicherheit ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Dann gibt es kein böses Blut zwischen Deutschen und Griechen mehr, denn allen wird es gleich schlecht gehen.

Der Merksatz für alle weltfremden Theoretiker: Europa darf nicht seine Schnellsten bremsen, sondern muss die Langsamsten munter machen.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

 

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