Anthony de Jesay zu Gast in Wien

Am 26. April referierte der große liberale Philosoph und Ökonom auf Einladung des Wiener Hayek-Instituts zu dem Thema: „Der indische Seiltrick. Die logischen Grundlagen der Sozialen Gerechtigkeit“. Er wählte hierzu den ungewöhnlichen Zugang über die Linguistik.

Zunächst erläuterte er dazu anhand dreier „Mustersätze“ die Funktionsweise jener sprachlichen Tricks, deren sich die Herolde sozialer Gerechtigkeit bedienen:

  • „Veronika ist ein schönes Mädchen, aber ihre Haare sind blond“. Das „aber“ in diesem Satz verkehrt den positiven ersten Teil des Satzes in sein Gegenteil. Das ist absurd, da die Schönheit des Mädchens und die Haarfarbe in keinerlei Widerspruch zueinander stehen.
  • „Heute ist ein wunderbar sonniger Tag, aber es weht ein unangenehmer Wind“. In diesem Fall ist der Einsatz des Wortes „aber“ gerechtfertigt, da die beiden Satzteile miteinander durchaus im Einklang stehen und logischen Sinn ergeben.
  • „Die wirtschaftliche Entwicklung der Slowakei war in den letzten 15 Jahren sehr gut, aber die soziale Ungleichheit hat zugenommen.“ Wieder wird die positive Aussage des ersten Satzteils durch das „aber“ in sein Gegenteil verkehrt – indem in dessen zweiten Teil impliziert unterstellt wird, dass soziale Ungleichheit etwas per se Übles sei. Die Selbstevidenz dessen wird – willkürlich – vorausgesetzt.

Es gibt zahlreiche Adjektivpaare, die eine klare Hierarchie ausdrücken, so wie etwa gut und böse oder wahr und falsch. Hier haben wir es tatsächlich mit selbstevidenten Wertungen zu tun. Gut und wahr sind besser als böse und falsch.

Es gibt allerdings auch andere Adjektivpaare, die keine derartige Wertung zulassen – zumindest nicht unabhängig vom Kontext, in dem sie stehen: z. B. groß und klein, schnell und langsam. Es handelt sich hierbei um nicht-selbstevidente Begriffspaare.

Den Apologeten Sozialer Gerechtigkeit geht es darum, den Begriff Gleichheit „selbstevident positiv“ aufzuladen. Ungleichheit sei schlechter. Steht dies erst einmal außer Streit, leitet sich daraus alles andere ab.

Zur Untermauerung der These von der Überlegenheit der Gleichheit werden häufig folgende Standardbehauptungen ins Feld geführt:

  • „Gott hat alle Menschen gleich geschaffen!“ Ein offensichtlicher Unsinn. Gott hat ja nicht etwa gleichgeschlechtliche Zwillinge geschaffen, sondern mit Adam und Eva grundverschiedene Individuen.
  • „Jeder Mensch verdient gleichen Respekt!“ Ein nicht minder haarsträubender Unsinn. Wer würde Donald Trump denselben Respekt zollen wie etwa Mutter Teresa?
  • „Menschen unterschiedliche Qualitäten zuzuordnen, ist moralisch willkürlich“ – eine These, die vom linken US-Philosophen John Rawls („Therorie der Gerechtigkeit“, „Gerechtigkeit als Fairness“, Anm.) aufgestellt wurde. Hinter einem „Schleier des Nichtwissens“ (um die unterschiedlichen menschlichen Qualitäten, Anm.) wäre Soziale Gerechtigkeit zu erreichen.

Die Verwendung des Begriffs „willkürlich“ im letztgenannten Satz ist klar pejorativ. Das wiederum ergibt nur dann Sinn, wenn Ungleichheit negativ bewertet wird. Ein perfekter Zirkelschluss.

  • „Ungleichheit bewirkt den Schmerz des Neides.“ Die Herstellung von Gleichheit lindere demnach diesen Schmerz. Eine kaum zu haltende These, da das Phänomen Neid auch bei perfekter materieller Gleichheit nicht aus der Welt verschwände. Neid würde sich dann eben auf das bessere Aussehen des Nachbarn oder das freundlichere Verhalten von dessen Katze richten. Neid ist eben eine höchstpersönliche Sache, die charakterlich bedingt ist.
  • „Das Durchschnittseinkommen liegt oberhalb des Medianeinkommens. Mehr (Einkommens-)Gleichheit herbeizuführen, würde also bewirken, dass mehr Menschen davon profitieren, als verlieren.“ Diese These ist nur dann positiv zu interpretieren, wenn man die „Heiligkeit“ der Mehrheit außer Streit stellt. Es gibt indessen keinerlei Grund, der das rechtfertigen würde.
  • „Alle sozialen Dysfunktionen der Armen sind dadurch bedingt, dass es Reiche gibt.“ (nach Richard Wilkinson und Kate Pickett „Gleichheit ist Glück“, Anm.). In jeder Gesellschaft, in der keine totale Gleichheit herrscht, gibt es indessen notwendigerweise immer „Reiche“. Das „Unglück“ der Armen wird gelindert, indem sich ihre Lebensumstände verbessern, nicht indem man Reiche eliminiert. Er, Jesay, ziehe es vor, Wohlstandsniveaus miteinander zu vergleichen, anstatt Wohlstandsdifferenzen. Es handle sich dabei um die einfachere Theorie, die daher bei der Anwendung von Occam´s razor der Wilkinson´schen vorzuziehen sei.

Am Beginn der menschlichen Entwicklung stand eine Gesellschaft von Jägern und Sammlern. In dieser Phase hatte gleiches Aufteilen der Beute Sinn, da ein Transport oder eine Aufbewahrung des Überschusses nicht möglich gewesen wäre. Es war daher ein Vorteil für das Überleben der Gruppe, Überschüsse gleich oder nach Bedarf „sozial gerecht“ zu verteilen.

Später, mit Beginn der Landwirtschaft, die es möglich machte, haltbare Überschüsse zu produzieren, ging der Überlebensvorteil auf jene Gruppen über, die Reserven (etwa als Saatgut für das kommende Jahr) zurückbehielten und nicht mit anderen teilten. Wer dieses Prinzip heute aufzuheben wünscht, stellt sich damit, indem er die Regeln der nomadischen Horde wieder einführen will, gegen die natürliche Entwicklung der menschlichen Gesellschaft.

Abschließend fasste de Jesay seine Thesen wie folgt zusammen:

  • Die Überlegenheit sozialer Gleichheit ist alles andere als selbstevident.
  • Es gibt daher keinerlei Grund, sich die Erreichung von Gleichheit zum Ziel zu setzen.
  • Nur wenn ein zur Erreichung seiner Ziele verwendetes Instrument gut ist, sollte man es befürworten.
  • Gerechtigkeit verlangt nicht mehr als die Befolgung von bekannten Regeln. Im Gegensatz dazu kennt Soziale Gerechtigkeit keinerlei feste Regeln. Es gibt keine Satzung. Es handelt sich um eine glitzernde Schale, in deren Inneren sich nicht mehr als die Forderung nach Gleichheit befindet.
  • Mit der behaupteten „Selbstevidenz“ der Überlegenheit sozialer Gerechtigkeit ähnelt der Egalitäre daher dem indischen Fakir, der behauptet, auf seinem Seil in den Himmel klettern zu können – und das staunende Publikum glaubt daran…

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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