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Wenn die Inder den Europäern den nackten Hintern zeigen

Rückkehr nach einigen Tagen Indien, Rückkehr mit einer Fülle neuer Eindrücke, mit einem veränderten Blick auf die asiatische Herausforderung an Europa. Während alle Welt nach China und dessen seit Beginn dieser Woche auch offiziell eingestandene Wachstumskrise blickt, macht sich Indien gerade daran, bevölkerungsmäßig zur Nummer eins auf der Welt zu werden. Bei dem südasiatischen Riesen hat einfach alles andere Dimensionen: sowohl die Erfolge wie auch die Misserfolge.

Bleiben wir zuerst bei den Sonnenseiten. Auch wenn Indiens Image nach wie vor mit Hunger und Elend verbunden ist, sollten wir uns klarmachen: Hungerkatastrophen hat es in dem Land schon lange keine mehr gegeben. Die modernisierte Landwirtschaft blüht – und kann nicht zuletzt dank neuer wissenschaftlich entwickelter Saatgut-Formen die inzwischen schon 1,3 Milliarden ernähren, was sie früher bei einer nur halb so großen Bevölkerung nicht geschafft hat. Panische Angst vor genveränderten Pflanzen oder vor allem, was mit dem Wort Hormon zusammenhängt, hat in Indien niemand. Das sind spezifisch europäische Krankheiten.

Das Thema der Werbung: Bildung

Fährt man durch die großen und kleinen Städte des Subkontinents, dann springt einem wie seit jeher der laute, dichte und chaotische Straßenverkehr ins Auge: mit einer im Vergleich zu einstigen Besuchen noch gewaltig vergrößerten Zahl an Autos, mit Fahrrad-Rikschas, mit jeder anderen nur denkbaren Form von Verkehrsmitteln, mit Elefanten, Kamelen und Kühen, mit Geisterfahrern jeder Art. Der zweite starke Eindruck sind die vielen Plakate. Auf diesen dominiert neben der Werbung für die soeben abgehaltenen Regionalwahlen vor allem ein Thema: Alles was mit Bildung zusammenhängt.

Auf den Werbeflächen werden die diversesten Schulen, Kurse und Universitäten beworben. Ein Mädchen-Internat genauso wie eine Computerschule, MBA-Ausbildungen genauso wie simple Englisch-Kurse. Ein Land ohne sonderliche Rohstoffe, aber mit einer unglaublich dynamischen Jugend weiß, wo seine einzige Zukunftschance liegt. Nur eine einzige Zahl: Das Durchschnittsalter beträgt 26 Jahre, in Österreich hingegen 43!

Daher ist in dem vielsprachigen Land in vielen Grundschulen der Unterricht in den letzten Jahren auf englisch umgestellt worden, auf die Sprache, die sowohl national wie global alle Tore öffnet. Selbstverständlich sind all die beworbenen Schulen und Kurse kostenpflichtig. Ihr Besuch wird daher auch ernster genommen als in österreichischen Gratisschulen.

Das Ergebnis der Bildungsexplosion lässt sich schon heute sehen: Jeder dritte Programmierer auf der Welt ist ein Inder. Zum Programmieren braucht man ja keine großen Maschinen-Investitionen, sondern „nur“ ein diszipliniertes mathematisches Hirn.

Auch in einer anderen postindustriellen Kreativ-Branche sind die Inder extrem erfolgreich: Die Bollywood-Filmindustrie ist die weitaus größte der Welt. Die voll Schmalz, Schmerz und Schönheit produzierten Filme sind auch in großen Teilen der islamischen Welt einsetzbar. Denn erstens sind sie professionell gemacht, zweitens billig, drittens haben sie verständliche Handlungen, und viertens sind sie garantiert frei von Sexszenen oder ähnlichem.

Gut ausgebildete junge Menschen sind auch das erfolgreichste Exportgut des Landes: In Großbritannien verdienen die aus Indien stammenden Menschen heute um rund zehn Prozent mehr als die Durchschnittsbriten. In den USA machen die Inder zwar nur 1 Prozent der Bevölkerung, aber 16 Prozent der Studenten an den Elite-Unis aus.

Mit anderen Worten: Während Mitteleuropa primär die ungebildeten Sozialmigranten aus der Dritten Welt anzieht, gehen die bildungsorientierten Inder dorthin, wo die Steuern nieder sind und die Unis Weltklasse darstellen (und wo die Sprache Englisch ist).

Wer wie der Autor Indien schon vor mehr als 30 Jahren mehrmals besucht hat, kann heute auch eine signifikante Steigerung der industriellen und Infrastruktur-Investitionen feststellen. Die Flughäfen in Delhi und Mumbai sind moderner und großzügiger als alle europäischen Airports, die ich kenne. Aus Indien stammende Industrielle sind international heute etwa schon in der Schlüsselbranche Stahl führend. Aber auch Automarken wie Jaguar oder Land Rover sind schon in indischem Besitz. Dennoch reicht die industrielle Dynamik Indiens nicht ganz an jene etwa Chinas oder Vietnams heran.

Der Protektionismus bremst

Denn Indien ist – und hier wechseln wir zu den Schattenseiten – noch immer weniger investorenfreundlich als China. Viele westliche Konzerne halten sich von dem Subkontinent fern, weil die Gesetze sehr protektionistisch sind.

So hat jetzt beispielsweise Ikea die Pläne fallengelassen, nach Indien zu gehen: Das wäre nur erlaubt gewesen, wenn Ikea garantiert, dass 30 Prozent der verkauften Produkte aus Indien stammen. Was Ikea mit seiner globalen Produktionsweise nicht garantieren will. Dabei sind sich Experten einig: Gerade solche Handels-Weltkonzerne würden die industrielle Produktion im Lauf der Jahre in die Höhe ziehen. Sind die Gehälter in Indien doch trotz anhaltender Inflation noch immer sehr niedrig. Das gleicht das geringe Arbeitstempo eines indischen Arbeiters mehr als aus.

Ähnlich protektionistisch hat Indien auch den Flugverkehr abgeschirmt. Das führt dazu, dass derzeit nach der Reihe indische Fluglinien bankrott gehen, weil ihnen internationales Kapital und Knowhow fehlen.

Der Protektionismus hat zwar einige geschützte Industriellenfamilien sehr erfolgreich gemacht, das Land aber um die mögliche Dynamik gebracht. Zwar steckt Indien nicht mehr in einer sozialistischen Planwirtschaft, die das Land in den ersten Jahren der demokratischen Unabhängigkeit noch total gelähmt und verarmt hat. Aber Indien braucht eindeutig mehr Investitionen, um den jungen Menschenmassen eine gute Zukunft zu geben.

Denn Indien ist viel jünger als China, wo die Menschen als Folge der Einkind-Politik im Durchschnitt heute schon rund zehn Jahre älter sind als auf dem Subkontinent. Indien hat mit Ausnahme einer kurzen undemokratischen Periode unter Indira Gandhi nie eine Politik der Geburtenbeschränkung forciert. Für seine Familien sind viele Kinder zum Unterschied von Europa auch heute noch trotz aller Erziehungskosten ökonomisch besonders wichtig: Sie sind für die meisten Inder nach wie vor die einzige Altersvorsorge. Und werden daher in großer Anzahl in die Welt gesetzt.

Genauer gesagt: Das gilt nur für die Söhne. Töchter hingegen haben sich nach der Heirat ausschließlich um die Schwiegereltern zu kümmern, fallen für die Altersvorsorge der Eltern aus. Selbst Eltern, die nur Töchter haben, werden von der indischen Tradition eher auf die Versorgung durch Neffen verwiesen, als dass sie auf die Hilfe ihrer wegverheirateten Töchter rechnen dürfen. Das führt nun erstens dazu, dass weiterhin viel mehr in die Erziehung der Söhne als jene der Töchter investiert wird: 70 Prozent der männlichen Inder können lesen, aber nur 48 Prozent der weiblichen.

Ein Mädchen? Dann abtreiben

Eine weitere Konsequenz dieses archaischen Altersversorgungssystems ist in Kombination mit den Mitteln der heutigen Medizin noch viel dramatischer: Millionenfach werden alljährlich weibliche Föten gezielt abgetrieben. Die Geburtenzahlen kleiner Mädchen erreichen nur noch 91 Prozent der Zahlen der Buben, in manchen Regionen sind es sogar 82 Prozent.

Dieser in den letzten Jahren entstandene Trend wird wohl gewaltige, aber noch schwer konkret beschreibbare Konsequenzen haben: Wie werden sich all die jungen Männer künftig verhalten, die keine Frauen finden? Sind sie nicht eine potentielle Quelle für Kriminalität, Gewalt und Kriege?

Dennoch müssen viele Frauen heute auch heute noch – obwohl gesetzlich verboten – bei der Ehe eine ordentliche Mitgift mitbringen. Und wehe ihnen, ihre Familie stattet sie nicht ordentlich aus: Jede Jahr werden nach einer neuen indischen Studie über 8000 junge Frauen umgebracht, weil die Familie des Mannes enttäuscht ist über das, was da an Schmuck und Geld mit der Frau mitkommt. Das ist ziemlich genau jede Stunde eine tote Ehefrau. Und die Zahl der Morde nimmt im Langfristvergleich weiter zu – auch wenn sie oft als Unfälle, etwa als Verbrennungen beim Kochen, getarnt werden.

Ein Grenzstaat zum Islam

Eine ganz andere explosive Problemzone Indiens ist der Dauer-Konflikt mit dem islamischen Nachbarn Pakistan, der zum Teil auch mit Reibereien zwischen den 81 Prozent Hindus und den 13 Prozent Moslems verbunden ist. Nur ein kleines Beispiel: An einigen Plätzen einstiger Tempel, auf denen islamischen Großmoguln nach deren Zerstörung Moscheen errichtet haben, herrscht explosive Hochspannung. Viele Hindus wollen nämlich, dass statt der Moscheen wieder Hindu-Heiligtümer entstehen. Was die Moslems wiederum nicht akzeptieren wollen. Als Folge krachen bisweilen Bomben. Die damit verbundene Spannung merkt man auch an den Hunderten schwer bewaffneten Wachposten, die jeden Besucher an den umstrittenen Orten mindestens dreimal genau kontrollieren.

Ebenso beklemmende Situationen kann man am einzigen Straßenübergang der mehr als Tausend Kilometer langen Grenze Indien-Pakistan beobachten: Hier sind nicht nur kilometerlang Kasernen zu sehen. Hier warten auch tausende Lkw oft zwei Wochen lang auf die Umladung auf ein anderes Gefährt, weil indische Fahrzeuge nicht nach Pakistan dürfen. Und umgekehrt.

Dieser Grenzübergang wird am Abend jedes Tages in einer grotesken Zeremonie geschlossen: Tausende Zuseher auf beiden, aber vor allem der indischen Seite begleiten die Grenzschließung mit Sprechchören wie „Hindustan Zindabad“, Lang lebe Indien. Während es auf der anderen Seite eben „Pakistan Zindabad“ heißt.

Die Offiziere brüllen jeweils zur gleichen Sekunde wie ein Gegenüber auf der anderen Seite die gleichen Kommandos in Mikrophone. Jeder versucht dabei aber, den Befehlston länger anzuhalten als der Konkurrent auf der anderen Seite. Und er wird von seinen Landsleuten heftig akklamiert, sollte er es schaffen. Dennoch schütteln einander die beiden Wachkommandanten in einer von unsichtbaren Regie inszenierten Choreographie fünf Sekunden lang die Hände.

Das Ganze ist eine groteske Mischung aus kindischem Imponiergehabe und nationalistischer Wichtigmacherei. Es bedeutet im Grund aber auch den Versuch einer Sublimierung eines Konflikts. Zwei Staaten suchen nach einem halbwegs geordneten Nebeneinander, wenn sie schon kein Miteinander schaffen. Immerhin sind es zwei Staaten, die wegen eines seit mehr als 60 Jahren umstrittenen Grenzverlaufs schon etliche Kriege gegeneinander geführt haben. Wobei übrigens keine einzige Schlacht mehr entbrannt ist, seit beide Länder Atomwaffen haben. Offenbar hat auch hier, so wie einst im europäischen Ost-West-Konflikt, die allesvernichtende Bedrohung durch jene Waffen eine gewisse heilsame Wirkung.

Armut: ja – aber weniger als einst

Längst werden sich viele Leser gefragt haben: Und wo bleibt die dramatische Armut der Inder? Wo bleiben die Folgen des Kastenwesens? In diesen beiden Punkten lassen sich die europäischen Augen leicht täuschen. Sie vergleichen mit dem heutigen Europa, die Inder vergleichen hingegen mit dem Indien eine Generation davor. Und in dieser historischen Sicht hat sich Vieles gebessert. Auch wenn die Dinge noch in keiner Weise Europa ähneln.

So gibt es schon Staatspräsidenten und Landeshauptleute aus der untersten Kaste der einst für unberührbar Gehaltenen. Und das ist auch allgemein akzeptiert worden. Auf der anderen Seite sorgt es immer wieder für böses Blut, wenn Angehörige unterer Kasten und Moslems bei der Aufnahme in bestimmte Universitäten oder Jobs durch Quotenregelungen bevorzugt werden, auch wenn ihre Qualifikationen nicht gleichwertig sind.

Und die Armut? Die scheint optisch nach wie vor allgegenwärtig. Das Bild täuscht. Man darf ja auch die dramatisch angewachsene Zahl von (professionell importierten) Bettlern in österreichischen Straßen nicht als ein Zeichen steil ansteigender Armut werten. Ebenso muss man hinter den vielen Bettlern und riesigen Slums Indiens eben auch das explosionsartige Ansteigen eines Mittelstands sehen.

Aber natürlich bietet Indien auch heute noch beängstigende Anblicke: Etwa, wenn man sich in der Pilgerstadt Benares durch Hunderte, oft arg entstellte Bettler seinen Weg bahnen muss. Etwa wenn man Delhi via Bahn verlässt und dabei noch etwa eine Stunde durch Teile der 20-Millionen-Metropole fährt: Denn die ganze Strecke über ist der Bahndamm links und rechts nicht nur eine einzige Mülldeponie, sondern auch ein einziges Klo. Man fährt also an Hunderten nackten Hintern vorbei, die unbekümmert ihre Notdurft verrichten und deren Besitzer interessiert dem drei Meter entfernt vorbeiratternden Zug nachschauen.

So ungustiös dies dem Europäer auch vorkommt, so sehr muss er sich doch fragen, ob Indien nicht bald der ganzen Welt sinnbildlich die Kehrseite zeigen kann, weil es die heute reichsten Länder weit überholt hat. Das wird freilich nur dann der Fall sein, wenn es seine vier Hauptaufgaben zu lösen imstande ist: also die notwendige Wirtschafts-Liberalisierung (die relativ leichteste Aufgabe), die Arbeitsplätze schaffen und die Inflation reduzieren würde; eine Reduktion der schier allgegenwärtigen Korruption; einen dauerhaften Frieden mit Pakistan; und eine Lösung der Altersversorgung, wodurch sich viele Sozial-, Demographie- und Frauendiskriminierungs-Probleme lösen würden.

Auf den meisten anderen Ebenen aber hat das Land gewaltige Vorteile: Seine Demokratie hat sich als stabil, überlebensfähig und zugleich ausreichend elastisch erwiesen; seine Bevölkerung als arbeitswillig und friedlich; und die meisten Fesseln eines Realsozialismus sind heute abgeschüttelt.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das neue unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

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