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Der Diebstahl am Mittelstand

Der Stehsatz „Die Armen werden immer ärmer, die Reichen immer reicher“ wurde in der letzten Zeit so überstrapaziert, dass man ihn beinahe nicht mehr hören kann. Doch muss man wertfrei anerkennen, dass dieser Satz die Situation richtig beschreibt.  Allerdings betrifft er vor allem den arbeitenden und den Staat finanzierenden Mittelstand.

Denn vor allem der Mittelstand kann sich heute immer weniger leisten. Ein wesentlicher Grund dafür wird aber entweder aus Unwissenheit oder aus Vorsatz von Österreichs politischen Akteuren verschwiegen: Die kalte Progression. Diese betrifft nämlich das einzig relevante Nettoeinkommen. Dieser schleichende und heimliche Diebstahl des Staates an den Einkommen der Menschen ist für den größten Kaufkraftverlust des Mittelstandes seit Bestehen der 2. Republik hauptverantwortlich.

Historische Entwicklung

Beginnen wir mit der österreichischen Steuerreform von 1989. Mit jener Reform begann der Höchststeuersatz von 42 Prozent bei ca. 700.000 Schilling Jahresbruttoeinkommen zu greifen. 700.000 Schilling Jahresbrutto sind ziemlich genau 51,000 Euro. Siehe:
http://www.wifo.ac.at/bibliothek/archiv/MOBE/1988Heft11_610_622.pdf
auf Seiten 612 und 613 (bzw. Seite 3 und 4 des pdf).

Mit Ausnahme der Steuerreform 2009, in deren Folge die Progressionsgrenzen etwas angehoben wurden (beispielsweise greift der Spitzensteuersatz seit 2009 erst bei 60.000 Euro), gab es seit 1989 kaum eine Anpassung, um der Teuerung Rechnung zu tragen. Mehr noch, der Spitzensteuersatz wurde dazwischen von der Politik sogar von 42 auf 50 Prozent angehoben.
http://de.wikipedia.org/wiki/Einkommensteuer_(%C3%96sterreich)

65.000 Euro sind 2010 gemessen an der Kaufkraft nur soviel wert wie etwa 40.000 Euro in 1989. Trotzdem fällt man mit 65.000 Euro heute bereits mit Teilen des Einkommens in die höchste Progressionsstufe. So nimmt der Staat still und heimlich der arbeitenden Mittelschicht Kaufkraft (Nettoeinkommen) weg. Und niemand beschwert sich. Ein unglaublicher Skandal.

Berechnung

Der Verbraucherpreisindex notierte Anfang 1989 bei 104,4 Indexpunkten. Im November 2010 notierte dieser Index bei 167,4 Indexpunkten VPI:
http://www.statistik.at/web_de/statistiken/preise/verbraucherpreisindex_vpi_hvpi/zeitreihen_und_verkettungen/022809.html
)

Obwohl der Verbraucherpreisindex nur einen bestimmten Warenkorb misst und zB Immobilienpreise (für den österreichischen Häuslbauer sehr wesentlich!) nicht einfließen, so gibt er uns doch einen gewissen Anhaltspunkt für die Teuerung seit 1989. Ich bin mir aber bewusst, dass das subjektive Teuerungsempfinden der letzten 20 Jahre auch durch die Euro-Umstellung bei den meisten Lesern in Anbetracht von Kosten für Restaurantbesuche, langlebige Wirtschaftsgüter und Immobilien ähnlich wie bei mir wesentlich stärker ist. Beispielhaft war ein Haus für 5 Millionen Schilling Anfang der 90er Jahre (je nach Lage) eine Spitzenimmobilie. Für diese 363,000 Euro gibt’s heute nicht einmal ein qualitativ gutes schlüsselfertiges Fertigteilhaus, gar nicht zu reden von den Kosten für das Bauland.

Vor allem im Baukostenbereich sind die Preise wesentlich stärker gestiegen, als der Verbraucherpreisindex vermuten lässt. Im Jänner 1990 (leider gibt es keine Daten aus 1989) betrug der Baukostenindex für den Wohnhaus- und Siedlungsbau (Baumeisterarbeiten) 96,3. Im November 2010 betrug dieser 201,1. Das heißt, dass die Baukosten seit Anfang 1990 um 108.8 Prozent gestiegen sind.

http://www.statistik.at/web_de/statistiken/preise/baukostenindex/024778.html

Man kann also mit Fug und Recht empört sein, dass der Gesetzgeber die Steuerprogressionsstufen nicht zumindest um 60 Prozent angehoben hat (auf Basis Verbraucherpreisindex). Man könnte aber auch zu Recht argumentieren, dass ein Durchschnittswert zwischen VPI und Baukostenindex als Anpassung der Progressionsstufen verlangt werden sollte. Immerhin ist die Bauindustrie ein wesentlicher Bestandteil des Bruttosozialproduktes. Ein Durchschnittswert würde dann einen selbstgestrickten Inflationsindex bilden, dessen Anstieg seit 1989 ungefähr 84 Prozent betragen würde.

Bleiben wir aber beim Verbraucherpreisindex. Dieser ist seit Wirksamkeit der Steuerreform 1989 um 60,34 Prozent gestiegen. Die Progressionsstufen – vereinfacht gemessen an der höchsten Progressionsstufe – wurden aber mit der Steuerreform 2009 um gerade einmal 17,64 Prozent nach oben angepasst. Basierend auf Verbraucherpreisen fehlen also nach wie vor 42,7 Prozent an Teuerungsabgeltung in den Progressionsstufen, die der Staat den Steuerzahlern schuldig bleibt.

Würde man den „selbstgestrickten“ VPI / Baukosten Index von vorhin anwenden, müsste der Staat sogar eine Anpassung der Progressionsstufen um ca. 66 Prozent vornehmen.  Der Staat hat also vereinfacht gesagt die Steuerbelastung der Bürger seit 1989 nur durch die kalte Progression um mehr als die Hälfte erhöht, ganz zu schweigen vom Anheben des Spitzensteuersatzes auf 50 Prozent von damals geltenden 42 Prozent. Damit sind die Politiker und die staatliche Verwaltung für den massivsten Kaufkraftverlust des Mittelstandes seit Bestehen der 2. Republik verantwortlich.

Aber nicht nur das allgemeine Preisniveau ist gestiegen, sondern auch die Bruttolöhne sind dementsprechend gestiegen. Denn die Gewerkschaften, Sozialpartner und andere Klassenkämpfer rühmen sich jedes Jahr, wenn zumindest die Teuerung in den Gehaltsverhandlungen abgegolten wurde. Das ist ja nur fair und richtig. Was diese Herren Kämmerer und Gewerkschafter allerdings nie öffentlich anprangern, ist der massive Kaufkraftverlust durch diese kalte Progression. Dort wäre „Klassenkampf“ aber am ehesten angebracht und äußerst wichtig für den Wirtschaftsstandort. Sie tun es aber nicht. Vielleicht weil sie mit bestimmten Parteien im Parlament zu eng verbunden sind und diesen schleichenden Diebstahl absegnen?

Ein Großteil der Statistiken in Bezug auf Einkommensunterschiede bezieht sich leider meist auf das Bruttoeinkommen und nicht auf das kaufkraftangepasste Nettoeinkommen. Dieses ist es aber, was für den Bürger zählt.  700.000 Schilling bzw. 825.000 Schilling Jahresbrutto war auch gefühlsmässig im Jahr 1989 ein stattliches Gehalt. 51.000 bzw. 60.000 Euro Jahresbrutto sind aber heute wesentlich weniger wert, da das Preisniveau seit 1989 (wie oben gezeigt) merklich gestiegen ist.

Ein Bezieher eines 60.000-Eur-Einkommens ist bei weitem nicht mit Spitzenverdienern des Jahres 1989 vergleichbar. Gemessen am Verbraucherpreisindex dürfte der Spitzensteuersatz heute erst ab ca. 83.400 Euro zu greifen beginnen. Mischt man noch die meiner Ansicht nach wesentlichen Baukosten bei, dürfte dieser Spitzensteuersatz erst ab ca. 93.000 Euro zu greifen beginnen. Entsprechend diesem Prozentsatz müssten auch die unteren Progressionsstufen von der Basis des Jahres 1989 um ca. 60 Prozent (VPI) oder eben ca. 84 Prozent (inklusive Baukosten) angehoben werden.

Genau diese kalte Progression ist dafür verantwortlich, dass immer mehr mittelständische Erwerbstätige in die höchste Progressionsstufe rutschen. Nicht weil sie immer mehr verdienen oder immer reicher werden, sondern weil ihre Gehälter ungefähr mit der Teuerung ansteigen. Real (kaufkraftangepasst) verdienen sie damit aber immer weniger netto.

Dem arbeitenden Mittelstand bleibt dadurch leider immer weniger kaufkraftangepasster Nettolohn übrig. Eine Ungeheuerlichkeit. Leider scheinen dies die Bürger einfach so hinzunehmen. Sie spazieren fröhlich blökend wie die Lämmer zur Schlachtbank.

Vergleich mit anderen Ländern

Der folgende Link der OECD zeigt in einer einzigen Tabelle sehr gut die Systemunterschiede. Mehrere Länder passen die Progressionsstufen automatisch entsprechend der Teuerung (Inflation) an. Länder wie Dänemark, Schweden, USA gehören dazu. Ein Vorbild in dieser Sache ist auch wieder einmal die Schweiz. Österreich und Deutschland stechen in dieser Vergleichstabelle eindeutig als die Negativbeispiele heraus.

http://www.oecd.org/document/4/0,3746,de_34968570_34968795_42615620_1_1_1_1,00.html

In der Schweiz wurden die Steuerprogressionsstufen bis 2009 automatisch an die Teuerung angepasst, sofern diese kumulativ 7 Prozent seit der letzten Anpassung erreicht hatte. Seit 2009 werden die Progressionsstufen automatisch jedes Jahr angepasst. Das heißt auch, wenn die Teuerung in einem Jahr nur 1 Proznt betrug, wird automatisch angepasst. Sowohl das Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer als auch fast alle Einkommenssteuergesetze der Kantone sehen den Ausgleich der Folgen der kalten Progression bereits heute vor.

http://www.nzz.ch/nachrichten/politik/schweiz/progression_kalte_ausgleich_jaehrlich_1.3317421.html

http://www.tagesschau.sf.tv/Nachrichten/Archiv/2008/12/05/Schweiz/Rascherer-Ausgleich-der-kalten-Progression

Schlussbemerkungen

Zusammenfassend kann man sagen, dass die kalte Progression dem Staat Steuereinnahmen beschert, die er nicht verdient hat. Wenn ein Staat die Progressionsstufen nicht an die Teuerung anpasst und trotzdem Budgetprobleme hat, dann muss etwas gewaltig faul sein. Der arbeitende Mittelstand verdient brutto (nominell) durch die Teuerung zwar mehr, netto (kaufkraftangepasst) verdient er aber immer weniger. Schuld sind nicht die bösen Unternehmer, auch nicht die bösen Kapitalisten oder Spekulanten, ja nicht einmal die EU. Es sind das Versagen der Systeme im eigenen Land und das Versagen der politische Kaste, die diesen Kaufkraftverlust verursachen. Aber die österreichischen Politiker haben sich ja mit Wichtigerem zu beschäftigen. Zum Beispiel damit, die Zwangskammermitgliedschaft in den Verfassungsrang zu erheben. Eine unglaubliche Situation und wahrlich nur einer Operettenrepublik würdig.

Es sind Unsummen, die der österreichische Steuerzahler in den letzten 20 Jahren dem Staat mittels kalter Progression zusätzlich überwiesen hat, um unnötige Staatsausgaben, aufgeblähte Bürokratenapparate, sozialromantische Transferleistungen und eine überdimensional große wie unnötige Politikerkaste zu finanzieren.

Dieses Thema ist höchst relevant für den kleinen Mann. Ein Beispiel: Arbeitende in Nachbarländern, in welchen die kalte Progression entschärft wird, können über ihre Lebensarbeitszeit wesentlich mehr kaufkraftadjustiertes Vermögen ansparen als ein Österreicher. Dies kann zum Beispiel dazu führen, dass sich Ausländer wesentlich leichter tun, ein Haus in Österreich als Sitz für ihren Lebensabend zu kaufen. Denn die Haus- und Baupreise steigen, aber der österreichische Staat passt die Progressionsstufen nicht an diese Teuerung an. Daher wird es für den Österreicher immer schwieriger, sich ein Haus zu leisten, da sein kaufkraftangepasstes Nettoeinkommen mit den Preissteigerungen nicht mithalten kann.

Dies ist nicht unwahrscheinlich, gilt Österreich doch beispielsweise immer mehr als ideales Land für Rentner, aber immer weniger als Land der leistungsbereiten arbeitenden Bevölkerung. Ich höre diese Punkte in sehr vielen Diskussionen mit Altersgenossen. Viele überlegen, ein Haus in den Alpen, unter anderem in Österreich, zu kaufen. Zuerst als Ferienwohnsitz, später als Alterswohnsitz. Ihr Arbeitsleben möchten sie aber lieber in mittelstands- und wirtschaftsfreundlicheren Steuersystemen verbringen.

Deshalb ist es ein Verrat und ein Diebstahl an der inländischen arbeitenden Bevölkerung, die Steuerprogression nicht an die Teuerung anzupassen.

Die kalte Progression ist einer der vielen Gründe neben Altersvorsorge, Qualität der Staatsverwaltung und Wirtschaftsfreundlichkeit, weshalb ich seit vielen Jahren mit meiner Familie in der Schweiz wohne und arbeite. So wie es aussieht, ändert sich in Österreich leider nichts zum Guten. Deshalb werden wir hier wohl noch einige Zeit bleiben. Viele junge Leute folgen diesem Beispiel. Junge fleißige Menschen können in der Schweiz wirklich noch Vermögen aufbauen. Österreich ist ein wunderschönes Land, das leider von einer nepotistischen politischen Kaste verwaltet wird und infolge ideologischer Grabenkämpfe zwischen Links und Rechts zu wirklicher Problemlösung nicht mehr fähig scheint.

Weitere Links

http://www.sueddeutsche.de/politik/kalte-progression-die-heimliche-steuererhoehung-1.275974

http://www.vimentis.ch/content/docs/steuerprogression.pdf

http://www.vimentis.ch/d/lexikon/233/Kalte+Steuerprogression.html

http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,549672,00.html

Capricorn ist Pseudonym eines aus Österreich stammenden Wirtschaftsexperten, der nach Stationen in New York, London und Frankfurt heute in der Zürcher Bankenbranche tätig ist. 

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