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Die Sünden der Kirchenmänner

Kritische und autoritätsskeptische Menschen haben nicht erst der Häufung schrecklicher Berichte aus katholischen Instituten bedurft: Wer sich seinen persönlichen Glauben bewahren wollte – sofern er ihn je gehabt hatte –, der musste sich immer wieder klarmachen: Nirgendwo steht, dass Priester bessere Menschen sind als andere.

Sie haben zwar für gläubige Menschen durch ihre Weihe gewisse transzendente Befugnisse; wer das Neue Testament liest, weiß aber, dass sie im Schnitt genauso sündig wie alle anderen sind. Was freilich nichts ändert an der Widerlichkeit solcher Menschen, die sich als – geistlicher wie weltlicher – Erzieher sexuell oder sadistisch an Kindern und Jugendlichen vergehen. Die Traurigkeit dieser Gestalten ist alles andere als ein negativer Gottesbeweis. Freilich: ein positiver schon gar nicht.

Selbst wenn man annimmt, dass die sexuellen Täter eher die Verschämtheit geheimer Orte gesucht und  die Hilflosigkeit bestimmter Kinder ausgenutzt haben, dann ist es doch sehr wahrscheinlich, dass zumindest bei den sadistisch veranlagten Typen die Umgebung ziemlich genau Bescheid darob gewusst hat. In meiner Erinnerung an eine leider schon etliches zurückliegende Zeit ist es bis heute deutlich, dass wir als Volksschüler (und damit wohl auch der ganze Lehrkörper) alle gewusst haben, bei welchen Lehrern heftige Ohrfeigengefahr bestanden hat und bei welchen nicht.

Dennoch sind auch die guten Lehrer nie auf die Idee gekommen, etwas gegen die handgreiflichen zu unternehmen. Und das ist ein Teil dessen, was uns heute so schwer erklärlich ist.

Die Kultur der Gewalt


Freilich müssen wir uns über eines im Klaren sein: Erst im Laufe des 20. Jahrhunderts hat sich eine Kultur herausgebildet, die Kindern Schutz gegen Misshandlungen geben will (obwohl schon Christus in einem mehr als verständlichen Anfall von Rachebedürfnis die Täter, die sich an Kindern vergreifen, am liebsten mit einem Mühlstein um den Hals versenkt hätte). Bis dahin hat sehr intensiv das Prinzip geherrscht: Wer sein Kind liebt (oder es kontrollieren will?), der schlägt es.

Das war im Grund in allen Erziehungs-, Ausbildungs- und Kinderaufbewahrinstitutionen unbestritten, ob staatlich, ob kirchlich, ob privat. Man denke nur an die Berichte über die oft lieblose Strenge, mit der junge Habsburger aufgezogen wurden. Man lese den Jungen Törless. Brutalität war selbstverständlicher Teil der Rekrutenausbildung bis in die Weltkriege. Das war durch viele Generationen auch das handgreifliche Prinzip in den meisten Familien.

Und wenn ein Kind zu seinen Eltern gekommen wäre, um sich über einen Lehrer zu beklagen, dann wusste es meist schon im Vorhinein die Antwort: Der Lehrer wird schon recht haben (so wie Eltern heute umgekehrt fast automatisch den Lehrer beziehungsweise den Erzieher im Unrecht sehen).

Dort aber, wo Erzieher gleichsam die absolute Herrschaft über die Kinder haben, ist der Schritt vom gewalttätigen zum sexuellen Vergehen nicht mehr groß. Für manche Typen wohl fast verführerisch.

Ohne im Verdacht zu stehen, ein Feminist zu sein, sollte man noch etwas zu bedenken geben: Viele Untaten hängen höchstwahrscheinlich auch damit zusammen, dass bis vor wenigen Jahrzehnten Bildung und Erziehung – zumindest von Buben – überwiegend in den Händen von Männern gelegen sind. Und die hatten in einer lange gesellschaftlich akzeptierten, vielleicht auch biologisch determinierten Rollenteilung bei der Erziehung immer ihre Aufgabe in Härte und Konsequenz gesehen, während Frauen eher für die liebevolle Nachsicht zuständig waren. Vielleicht dominiert deshalb nach den männlichen Exzessen nun seit  dem Wechsel zu einer fast rein weiblichen Lehrerschaft der weibliche Exzess die Debatte, dass man jedem Jugendlichen eigentlich sein Zeugnis schenken sollte, weil Durchfallen eine zu harte Konsequenz für Nichtkönner und Nichtwoller wäre.

Die Kirche als Tatort


Aber zurück zu den Kindes-Misshandlungen im kirchlichen Bereich. Warum war es dort so schlimm?

Erstens: War – oder: ist – es dort überhaupt schlimmer als anderswo? Die wenigen statistischen Vergleiche, die ich kenne, indizieren, dass nur ein ganz kleiner Prozentsatz der Fälle im kirchlichen Milieu spielt. Überdies gibt es für alle anderen Milieus nicht die zumindest neuerdings innerkirchlich breit aufgestellten Ombudsmänner, an die man sich auch unter voller Wahrung des Diskretion wenden könnte. Allen anderen Opfern und Zeugen bleiben oft nur staatliche, zur sofortigen Anzeige verpflichtete Stellen, an die man sich aber nicht wendet, wenn man sich aber schämt, sich als Opfer zu outen.

Zweitens: Primär ist dieser Eindruck eines rein kirchlichen Problems vor allem durch die Medien entstanden, die sich natürlich mit Begeisterung auf Missbrauchs-Themen aus dem kirchlichen Bereich stürzen. Das ist gschmackig, „normaler“ Missbrauch im großfamiliären Milieu ist fad, weil allzu häufig. Für die Leser und damit auch die Journalisten. Im kirchlichen Bereich ist das Thema natürlich schon deshalb viel spannender, weil sich die Amtsträger der Kirche – ganz im Kontrast zu allem, was man in der Bibel lesen kann –  auch als Person einen erhabenen moralischen Anspruch zubilligen. Vor diesem eigentlich absurden und durch nichts legitimierten Anspruch wird aber natürlich jede Verfehlung viel spektakulärer.

Drittens: Die Vermutung ist trotz dieser Relativierung durch die Statistik groß, dass priesterliche und andere kirchliche Berufe eine besondere Attraktion für jene Männer haben, die sich mit dem anderen Geschlecht nicht so leicht tun oder die sich primär zu Kindern hingezogen fühlen. Durch den Gang ins Kloster erspart man sich die blöden Fragen von Verwandtschaft & Co: „Hast Du endlich eine Freundin?“ Trotzdem ist klar: Die große Mehrheit der Priester, die ihre Keuschheitsgelübde brechen, verletzen diese durch Beziehungen mit erwachsenen Frauen und nicht durch pädophile Akte.

Viertens: Es fällt jedenfalls auf, dass außerhalb des kirchlichen Milieus der sexuelle Missbrauch primär einer ist, der von Männern an kleinen Mädchen begangen wird; einschlägige – zweifellos auch oft genug taktisch erfundene – Vorwürfe gehören fast schon zum Standardrepertoire jedes schärferen Scheidungskrieges. Im kirchlichen Bereich ist es umgekehrt – der gleichgeschlechtliche Kindesmissbrauch wird aber (trotz aller Schwulenehe-Propaganda) gesellschaftlich noch viel negativer gesehen als der heterosexuelle.

Verdrängen als Reflex


Fünftens: Bei so schmerzvoll peinlichen Taten wie Kindesmissbrauch haben nicht nur Täter, sondern auch Opfer und mit den Opfern mitfühlende Menschen vor lauter Scham meist einen Primärreflex: nur ja nichts nach außen dringen lassen, ignorieren, wegschauen, zudecken, vergessen, verdrängen. Man will dem Kind und oft genug auch sich selbst die Schande ersparen, allzu viel darüber reden zu müssen. Man akzeptiert auch allzu leichtfertig die - in Wahrheit kaum glaubwürdigen - Beteuerungen der Täter, dass "es" nie wieder vorkommen werde.

Sechstens: In der Kirche kommen noch zwei andere – einander eigentlich widerstrebende – Faktoren dazu: einerseits das Institut der Beichte, die mit großer Strenge die Anonymität von Sündern aller Art wahrt. Dieses Institut hat lange den Umgang auch mit Verbrechen wie Kindesmissbrauch geprägt, wo man nach diskretem Bekenntnis, Reue und Absolution die Taten gleichsam als abgewaschen angesehen hat. Und zwar auch dann, wenn kirchliche Institutionen außerhalb der Spielregeln einer Beichte von Missbräuchen erfahren haben.
Zweitens gibt es in den letzten Jahrzehnten in der Kirche aber umgekehrt auch eine neue - und außerhalb der Kirche völlig unübliche - Kultur der intensiven öffentlichen Selbstbezichtigung und Entschuldigung für lange zurückliegende Taten: für Verfahren gegen Astronomen genauso wie für Ketzerprozesse. Nach so viel Reue-Süchtigkeit der Kirche ist man dann ganz erstaunt, wenn man bei seriösen Historikern nachlesen kann, dass etwa der Großteil der Hexenprozesse und Folterungen von staatlichen Autoritäten begangen worden ist – von katholischen genauso wie von protestantischen; dass Päpste immer wieder versucht haben, diese Exzesse der Fürsten zurückzudrängen; dass nur ein sehr kleiner Teil solcher „Verfahren“ kirchliche Würdenträger als Täter involviert haben.

Siebentens: Milder zu sehen als die sadistischen und pädophilen Verbrechen sind die Fälle, die heute freilich differenzierungslos unter Missbrauch in der Kirche gezählt werden: Wenn etwa der 18-jährige Jugendführer auf einem Zeltlager mit einer 13-jährigen im vollen gegenseitigen Einverständnis „etwas hat“. Das ist gewiss verboten, in meinen Augen aber Lichtjahre von den nun berichteten Untaten entfernt.

Achtens: Letztlich kann man aber doch optimistisch sein: Die gesellschaftliche Kultur hat sich so stark gewandelt, dass kaum ein Opfer, Mitwisser, Zeuge oder sonstwie um Missbräuche Wissender heute noch schweigen würde, wenn in Schulen, in Heimen, in Lagern geprügelt wird, wenn sich dort einer an Kindern sexuell vergehen würde. Ob im kirchlichen Bereich oder außerhalb.

Neuntens: Am jüngsten Bericht eines Opfers in einer Fernsehsendung fiel auf, dass er einst die sadistischen Taten als viel schlimmer empfunden hat denn die sexuellen. Wir sollten daher unser kritisches Augenmerk mindestens mit der gleichen Intensität auf den Sadismus wie auf die Pädophilie richten. Auch weil die Brutalität oft das Tor zu sexuellen Taten öffnet. Und da ist unsere Kultur noch lange nicht so weit, dass man beispielsweise Gewaltfilme genauso streng verpönt wie etwa Kinderpornos. Diese werden im Gegenteil weiterhin in öffentlich-rechtlichen Medien aufgeführt. (Die besonders zynische Doppelbödigkeit des ORF noch in einem weiteren Zusammenhang hat eine wenige Stunden zurückliegende Tagebucheintragung aufgespießt).

Und zehntens: Die Jahrhunderte unter einem Glassturz stehende Kirche hat sich noch immer nicht daran gewöhnt, dass sich die Dinge ins Gegenteil verkehrt haben: Dass früher allzu viel Missstände verborgen geblieben sind, und dass jetzt jeder Fehler der Kirche (siehe etwa die Aufregung um die teilweise Pardonierung der Pius-Bruderschaft wegen eines anfangs unbeachtet gebliebenen Interviews eines dieser Brüder) zu einem Riesenthema wird. Was durch eine katastrophale Kommunikations-Strategie noch verschlimmert wird - von den ständigen selbstgerechten Auftritten von hiesigen Caritas-Funktionären bis zur römischen Alles-Zudeck-Mentalität.

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