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Die letzte Chance für Wiener Schwarze

Es waren mindestens ein halbes Dutzend Gespräche in den letzten zwei Tagen. Aber alle Gesprächspartner schlugen unabhängig voneinander dieselbe Lösung vor: nämlich für die Nachfolge des auswandernden Johannes Hahn als Spitzenmann der seit Jahr und Tag in Agonie dahinsiechenden Wiener ÖVP. Freilich werden die etablierten Funktionäre zur Freude der FPÖ wohl alles tun, um das zu verhindern.

Die Lösung trägt den Namen Wolfgang Schüssel. Er würde als Spitzenkandidat zweifellos die Chance eröffnen, dass die Wiener Volkspartei deutlich über 30 Prozent erreichen könnte, während ihr derzeit die meisten Experten kaum mehr als 15 Prozent prophezeien. Er war sich jedenfalls im letzten Wahlkampf nicht zu gut für eine sehr aktive Basiskampagne in Hietzing und Umgebung, die ihm mit mehr als 9800 die österreichweit meisten Regional-Vorzugsstimmen der ÖVP gebracht hat.

Schüssels Kandidatur würde aus dem Zweikampf Häupl-Strache einen Dreikampf machen und zum Unterschied von all den Micky-Maus-Kandidaten, die da derzeit genannt werden, bürgerlichen Wählern zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder Appetit auf Wiener Gemeinderatswahlen machen.

Schüssel könnte sowohl glaubhaft die Wirtschaftskompetenz der Volkspartei gegenüber der gegenwärtigen Verschwender-Partie im Rathaus ausspielen wie auch die wertkonservativen Bürger besser ansprechen als der gegenwärtige Kurs, bei dem die Wiener Volkspartei immer auf jene kleine, angeblich urban-intellektuelle Wählergruppe geschaut hat, bei der die Grünen punkten können. Ansonsten warten die wiener Restschwarzen nur darauf , Häupl wieder ins Amt zu helfen, wenn dieser die absolute Mehrheit verliert.

Und vor allem würde Schüssels Kandidatur dafür sorgen, dass die SPÖ mit ihrem gigantischen Werbe-Apparat die halbe Arbeit für die ÖVP macht, indem sie – insbesondere unter Vorschickung ihrer Propaganda-Kompanien bei „Heute“ und „Österreich“ – hasserfüllt gegen Schüssel trommelt. Das würde zugleich H.C.Strache viel von dem Drive nehmen, den ihm SPÖ&Co derzeit durch ihre Attacken spendieren. die ÖVP ist in wien hingegen so schwach, dass sie niemand mehr attackiert.

Abergläubige könnten ein weiteres Argument für Schüssels Kandidatur finden: Er ist gerade in China (eigentlich Tibet) – und dort war er auch 1995, als sich in der Heimat die ÖVP-Granden überraschend für den damaligen Mascherlträger als Parteiobmann entschieden.

Freilich ist es durchaus nicht sicher, ob sich Schüssel zu einem Wahlkampf mit einer nicht vorhandenen Kampfmannschaft bereit erklärt, oder ob ihm Wien nach seiner bisherigen Biographie nicht zu klein ist. Er wäre aber gut beraten, nicht länger auf eine wichtige Funktion in der EU zu hoffen. So wie die europäischen Zwerge gerade den von seinen Fähigkeiten her überragenden Tony Blair verhindern, so werden die österreichischen Zwerge jede europäische Karriere Schüssels verhindern.

An der Spitze Werner Faymann, der seit Tagen den Stehsatz von sich gibt: Den Namen Schüssel „habe ich nur in Österreich gehört“. Dabei gibt es insbesondere in Deutschland jede Menge Stimmen in diese Richtung. Aber wenn man nur die eigenen Boulevardblätter liest, dann mag einem so manches entgehen. Faymann wird jedenfalls aktiv keinen Finger für Schüssel rühren, was schon alle Möglichkeiten für diesen ruiniert.

Freilich gibt es auch in  der ÖVP genug Anti-Schüssel-Zwerge. Vor allem unter Wiener Parteifunktionären, die lieber als Minipartei mitregieren wollen, als den riskanteren Kampf um den Bürgermeisterposten anzutreten. Hahn kann kein Interesse haben, dass sein Nachfolger einen zu positiven Kontrast zu ihm abwirft; er will sich überdies so wie in der Vergangenheit die Wiener ÖVP als Flugzeugträger für eine spätere Rückkehr aus höheren Ämtern bewahren, indem er schwache Platzhalter platziert. Was freilich auch ohne Schüssel eine Absurdität ist.

Und für Josef Pröll ist zumindest die Versuchung groß, Schüssel auf Distanz und fern jeder sinnvollen Aufgabe zu halten. Hat sich Prölls doch anfangs vor allem dadurch zu profilieren versucht, dass böse Denunziationen über Schüssel & Co unter die Medien gestreut wurden. Dadurch sollte Pröll als positiver Strahlemann erscheinen.

Oder ist dieser doch auf dem Weg, ein großer Politiker zu werden, der es erträgt, dass bedeutende Vorgänger wichtige Aufgaben übernehmen? Ein Vorbild wäre etwa Angela Merkel, die den starken Vorgänger Wolfgang Schäuble jetzt schon zum zweitenmal in eine Schlüsselposition hievt. (Freilich auch nur deshalb, um Jungstar zu Guttenberg zu redimensionieren.) Wir werden es in Kürze sehen.

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